Spaziergang mit den Augen auf einem Kirchenfenster


Das Ostfenster der Jacobi Kirche zu Rinteln
Mein Spaziergang mit den Augen

Uwe Kurt Stade, Rinteln 2011


Foto: Karl Appel, Rinteln, 2007



Das Ostfenster der Jacobi Kirche zu Rinteln

Warum eigentlich diese Arbeit?
Spannender finde ich ja eigentlich die Predigten unseres Pastors, doch immer wieder werde ich zur Meditation im Anblick unseres Ostfensters verführt. Oft ertappe ich mich auch bei der Verfolgung des wunderschönen, an der gegenüberliegenden Wand entlang wan-dernden Farbenspiels des Ostfensters bei Sonnenschein.
Dabei frage ich mich: Was hat uns der Künstler sagen wollen? Letzt-lich aber lasse ich mich treiben bei der Betrachtung.
Eines Tages übergab mir Pastor Buitkamp die mit viel Bestimmtheit verfassten, betrachtenden Auslegungen von Frau Dipl. Kunstwiss. Kristiane Frank aus Leipzig. Ich wunderte mich allerdings, warum Frau Frank nur so und nicht anders empfand, denn sie bezeichnete das Fenster nicht als gegenstandslos, eine abstrakte Darstellung sei kategorisch als ein Irrtum anzusehen. Zur Erklärung: seinerzeit (Kir-chenratsprotokoll 1971) gab es keinen anderen Auftrag an den Künstler, als lediglich „gegenstandslos“. Ihr Auge aber suchte etwas Bekanntes, sie fand für sich eine Stadt mit Türmen, Giebelkränzen, Stadtmauer und Toren, setzte dieses gleich mit der Himmelsstadt, dem himmlische Jerusalem, dem neuen Paradies. Irgendetwas aller-dings fehlte mir an ihrer Deutung, auch das warum.
So fasste ich alle meine Kenntnisse, mein Symbolwissen und allerlei Unterlagen (siehe Quellenverzeichnis) zusammen und startete 2006 mit meiner ersten Reise auf dem Ostfenster, mittlerweile sind es wohl an die hundert Reisen geworden.
Doch noch immer sucht mein Auge in diesem Glasbild etwas dem Bekanntes, versucht ein Gerüst zu finden, an dem sich meine Ge-danken entlanghangeln könnten – vergeblich? Entscheiden Sie am Ende der Lektüre.
Geschichte unserer Kirche in Schlagworten
Das 13. Jahrhundert war eine Zeit des Aufbruchs und der Blüte, auch bei uns in der Grafschaft Schaumburg. Es war ein Zeitalter voller Schaffenskraft und Innovationen und in dem Kirchen- und Kathedra-lenbauer außergewöhnliche Gotteshäuser errichteten, die eindrucks-volle Zeugnisse der Blütezeit des mittelalterlichen Christentums wur-de.
Unser heutiges Gotteshaus ist das einzige erhalten gebliebene Bau-werk des ehemaligen Benediktinerinnenklosters, benannt nach der hlg. Maria und dem Apostel Jacobus aus dieser Zeit. Es wurde um 1238 in klassischer Ost-West-Ausrichtung als einschiffige gotische Hallen- (auch Saal-) Kirche in der schlichten Architektur der Zister-zienser erbaut, erste urkundliche Erwähnung findet sich 1257.
1621 zieht die Universität Ernestina in das Klostergebäude und die Jacobikirche wird zur evangelisch-lutherischen Universitätskirche.
Als Rinteln mit der Grafschaft Schaumburg nach dem Dreißigjährigen Krieg hessisch wurde, gründete der Landgraf Wilhelm VI. 1659 dort für seine Beamten und Soldaten die evangelisch-reformierte Ge-meinde. Er wies ihr die heute 770 Jahre alte Kloster- und Universi-tätskirche St. Jakobi als Predigtstätte zu.
1971, in der Amtszeit von Pastor Herlyn, wird der Innenraum der Kirche grundlegend, der puristischen Tradition einer evangelisch-reformierten Kirche folgend, erneuert. Die Kirche konnte wegen der seinerzeitig berüchtigten „Kirchenluft“, den Feuchtigkeit und Moder der nassen Fundamente ausströmte, zwischen 1965 und 1971 nicht benutzt werden. Die Fußbodenheizung führte endlich zu „warmen Füßen“, wie in einem Brief an den Kirchenrat das Gemeindeglied G. Martensmeier nach dem Umbau erleichtert feststellte.
Emporen und Kanzel werden entfernt. Dadurch wird das alte Ostfens-ter freigelegt und erhält neues künstlerisches Glas. Der Abendmahl-tisch steht jetzt direkt unter dem Ostfenster, das sich beim Gottes-dienst in den schönsten Farben auf den Wänden widerspiegelt. 1973 wurde sogar das Ostfenster temporär durch einen Scheinwerfer von innen beleuchtet, um die Rintelner Bürger an der Schönheit des Fensters teilhaben zu lassen.
Der Nordausgang, bis dahin für Beerdigungen genutzt, wird zuge-mauert und die Grabplatte des Juraprofessors Herrmann Zoll vorge-setzt. Eingang ist jetzt nur noch die Südseite oder durch das Pfarr-haus.
Gebäude einer ev.- reformierten Kirche - Bilderverbot
Schon 783 bis 787 gab es zwischen Byzanz und Rom einen leiden-schaftlichen Bilderstreit, jegliche Darstellung figürlicher religiöser Motive zu verbieten. Dieses Verbot hielt sich lange in der orthodoxen Kirche, während in den westlichen Kirchen Skulpturen, Glasfenster und Gottesdarstellungen eine künstlerische Blüte erlebten. Im Islam heißt es bis heute: „Ein Gott, der sich im Wort offenbart, kann nur durch das Wort gelobt werden“.
Die Begründung für dieses christliche Bilderverbot liegt in den Zehn Geboten, besonders im Gebot „Du sollt Dir kein Bildnis … machen!“ (Mos. 5 und Mos. 20). Wir Evangelisch-Reformierten nehmen dieses Verbot von Gottesbildern aus den 10 Geboten sehr ernst.
Die Evangelisch-Reformierten haben das Bilderverbot auch nie infra-ge gestellt, sondern eher noch bekräftigt. Die meisten evangelisch-reformierten Kirchen fallen deshalb durch figürliche Darstellungsar-mut und eine Schlichtheit auf, so auch unsere heutige Jacobi-Kirche.
Wichtigster inhaltlicher Bestandteil der Glaubensausprägung evange-lisch-reformierter Christen ist der „Heidelberger Katechismus“, der die Bilderverehrung problematisch sieht, weil Gott nicht in Bilder gefasst werden kann. In dieser Ablehnung des Gottesbildes in einem Gottes-haus stimmen die Evangelisch-Reformierten überein mit dem Juden-tum und dem Islam, bei denen figürliche Darstellungen in Synagogen und Moscheen ebenfalls fehlen.
Dies ist nun aber beileibe keine Kunstfeindlichkeit. Bei Renovierun-gen evtl. hervortretende oder freigelegte Darstellungen vorreformato-rischer Zeit werden heute nicht mehr verdeckt (siehe Kloster Möllen-beck).
Wir laden die Gläubigen ein, den lebendigen Gott in seinem Wort kennen zu lernen. Daher steht im Mittelpunkt unseres Gottesdienstes das zu predigende Wort!
Gemäß Kirchenratsprotokoll vom 24. März 1971 wollte der Kirchenrat der Amtszeit von Pastor Herlyn eine „stark farbig gehaltene Vergla-sung“, und „gegenstandslos“ sollte es sein. Der Kirchenrat hatte zuvor einen Entwurf für die Kirche in Alfeld, aber auch die Fenster in Stadthagen und Hessisch Oldendorf angesehen. Der Rintelner Archi-tekt Friedhelm Wehrmann als Generalunternehmer für die Renovie-rung beauftragte Heinz Lilienthal über seinen Mitarbeiter, Herrn Kramm, der am 4. März 1971 in Rinteln anwesend war, mit entspre-chender Ausführung.
Äußerliche, steinerne Form des Ostfensters
Das Ostfenster ist im steinernen Maßwerk sechsgeteilt. Wir sehen das große, dreiteilige Hauptfenster und darüber die drei kleinen Fens-terchen in Kleeblattform, zweimal vierblättrig, darüber dreiblättrig; die Dreieinigkeit symbolisierend; entsprechend getrennt voneinander und doch eine Einheit bildend. Die Dreiteilung des Maßwerkes des Haupt-fensters hat sicherlich nur mit konstruktiven Möglichkeiten der dama-ligen Zeit zu tun.
1971 wird das Ostfenster freigelegt, und unsere Kirche erhält unter Beibehaltung der mittelalterlichen Stein- und Form- Architektur das Glasmotiv durch Heinz Lilienthal.
Wer den großen Schatz der Jacobikirche in Rinteln, ihrem bunten Ostfenster, erfahren will, muss schon durch das Südportal hineinge-hen, denn von außen scheint es grau und dunkel zu sein. Allerdings sollte am besten die Sonne scheinen; es erschließt sich nämlich nur dem, der Licht durch sie hindurchscheinen sieht.
Ein wenig zu Farben
Was wäre unser Leben ohne Farben? Auch für unser Ostfenster ist es wichtig zu wissen, dass seine Farben nicht nur schön und herrlich sind, sondern dass sie - genau wie die Farben in den Gemälden der großen christlichen Kunst - eine eigene (Symbol-) Sprache sprechen. Mit ihrer Kenntnis kann man das Ostfenster verstehen.
Seien wir uns aber auch darüber im Klaren, dass Farben eigentlich das Geschiedene, das Getrennte, also die Verschiedenheit symboli-sieren.
Farben hell und dunkel, im Kontrast verwendet, symbolisieren Mate-rialisierung des Lichtes. Da für uns Christen Gott das Licht ist, ist Gott somit auch der Ursprung aller Farben.
Wir Menschen ordnen in der Regel unsere Gefühle und Empfindun-gen bestimmten Farben zu. Farben können verschiedene Gefühle auslösen, weil wir im Laufe unseres Lebens mit jeder Farbe spezifi-sche Erfahrungen gemacht haben. Mit diesen Erfahrungen assoziie-ren wir, wenn wir eine Farbe wahrnehmen. Und wenn wir diese Er-fahrungen so oft gemacht haben, dass sie verinnerlicht sind, lösen sie automatisch-unbewusste psychologische Wirkungen aus.
Insofern ist eine Farbinterpretation immer auch eine spekulative, eine individuelle.
Ein Wechsel von Teilen der Farbsymbolik ist allerdings schon vom AT zum NT zu beobachten. Ist für Jesaja rot noch das Symbol für die Sünde (Jes. 1,18), so verändert rot später seine Bedeutung bis hin zur Gottesfarbe. Die große Bedeutung der christlichen Farbsymbolik des Mittelalters ist in der christlichen Welt bis heute allgemeingültig.
Blau und Purpurblau
Blau symbolisiert Wahrheit, Offenbarung, Loyalität und Treue, Keuschheit u.v.a.m. Sie ist die lunare Farbe. Blau ist das Symbol der zeit- und grenzenlosen Ewigkeit Gottes und soll die göttliche Welt-herrschaft verkünden. Im AT ist Blau zudem die Farbe der göttlichen Offenbarung.
Blau ist ebenfalls die Farbe des Himmels, blauer Himmel spiegelt sich im lebensspendenden Wasser als weibliches Prinzip. Wegen seiner Deutung als Beständigkeit, makellosem Ruf, Frömmigkeit und Frieden haben viele Christus-Abbildungen einen Blaugrund. Blau und Rot gemeinsam sind die Gewandfarben himmlischer Personen wie oft an Maria dargestellt wurde. Blau ist sprichwörtlich die Farbe der Treue, der Treue Gottes, aber auch der Weisheit, wenngleich es zu den kalten Farben gehört.
Im jüdischen Glauben ist Blau die Farbe des Bundes und des Geset-zes (Est. 8,15) und in der Kabbala bedeutet blau Gnade und ist dort auch die Gottesfarbe. Blau war die Decke der Stiftshütte und die Einhüllung der Geräte (4. Mos. 6,15). Blau ist die Farbe des Freimau-rerlehrlings.
Braun
Braun ist in fast allen Kulturen das Symbol und die Farbe von Erde. Unsere Welt mit Erde und Steinen, wird mit braunem Tönen gedeu-tet, aber auch als Entsagung (Mönchskutten) oder Erniedrigung ist braun gedeutet worden.
Gelb und Gold
Gelb ist die starke, solare Farbe, bedeutet u.a. Glaube und Güte, dunkles Gelb den Neid.
Dem Gold entspricht Gelb. Es ist die göttliche Farbe schlechthin, die den Glanz Gottes zeigt. Gelb symbolisiert als Gold besonders die geoffenbarte Wahrheit. Um das Haupt Jesu und anderer christlich hervorragenden Gestalten erleben wir auf vielen frühen Gemälden das Gelb oder Gold als "Heiligenschein" (Nimbus): Seht! Hier ist der Herr, der Sohn Gottes!
Unsere jüdischen Glaubensvorfahren sahen Gold einfach nur als Symbol der Schönheit, siehe Tempelbau in 1. Könige 5, 15-32, und 1. Könige 6,2-29 sowie 2. Chronik 1,18-2,13. In der gesamten Bibel kommt die Farbe Gelb nicht vor (Lutherbibel 1984)
Wir finden weder Gelb noch Gold in unserem Ostfenster.
Grau
Gleichmäßig aus Weiß und Schwarz gemischt ist sie das Neutrale, aber auch Asche, Bußfertigkeit, Unsterblichkeit der Seele. In der christlichen Symbolik deutet diese Farbe zudem auf die Auferstehung der Toten hin (Christus als Totenrichter trägt auf mittelalterlichen Bildern einen grauen Mantel).
Der Graue (Eck-) Stein tritt in der Bibel im. 1. Brief Petri, Kap. 2, Vers 4 und 5 in Erscheinung, wo zunächst Christus als „lebender Stein, der von den Menschen verworfen“, dann aber die Gemeinde selbst als die „lebendigen Steine“ bezeichnet werden, „die sich zum geistli-chen (heiligen) Haus bauen sollen“.
Petrus zeigt im 6. Vers, gestützt auf „in der Schrift“, woher das Sym-bol stammt: „Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eck-stein in Zion.“
Grau ist im jüdischen Symboldenken die Weisheit.
Grün
Grün steht für die den Glauben, der standhaft bleibt, d.h. die Farbe, in der Bekenner und Märtyrer leuchten. Also die Glaubensfarbe schlechthin. Frühlingsgrün bedeutet Unsterblichkeit, Hoffnung und das Wachsen des Heiligen Geistes im Menschen.
Da die Juden grün als Siegesfarbe betrachteten, bedeutet grün folge-richtig im Jüdischen die Ernte als den Sieg über Erde und Saaten.
In anderen Fenstern Heinz Lilienthals wird Grün oft als die Farbe für Leben und Unsterblichkeit gedeutet.
Dem Islam ist grün ebenfalls die heilige Farbe des Glaubens.
Höhere Freimaurergrade symbolisieren mit Grün Beständigkeit bei der Arbeit an der Vervollkommnung.
Rot und Purpurrot…
… dagegen sind eigentlich "irdische" Farben. Sie deuten auf Blut, Feuer, aber besonders auch auf Liebe und Macht (Gott) hin.
So wie die weltlichen Könige früher purpurne Mäntel trugen, so weist Rot besonders auf die Hoheit und Macht Jesu, dem Weltenherrscher hin. Im Ostfenster sind mehrere Nuancen Rot zu sehen; Gottes Macht wird ja auch verschieden erfahren: im Feuer seiner Liebe, aber auch in den dunklen Phasen des Lebens.
Jüdische Kabbalisten betrachten Rot als die Farbe der Strenge. Scharlachrot symbolisiert Blut und Leben, purpurrot ist die königliche Farbe.
Hochgrade einer freimaurerischen, sog. Schottischen Lehrart benut-zen rot, weil sie sich als irdisch (auf dem Boden bleibend) betrachten.
Schwarz
Schwarz ist in fast allen westlichen Kulturen die dominierende Farbe der Trauer (siehe auch unter Weiß). Bei Christen ist sie u.a. die Far-be des Teufels, der Hölle, Erniedrigung und des spirituelle Dunkels. Sie wird bei unseren katholischen Glaubensbrüdern für die Toten-messe am Karfreitag benutzt.
Die jüdische Kabbala betrachtet das Verständnis und das Königreich in schwarzem Symbol, dem Islam ist sie eine heilige Farbe (Ka’aba), den alten Ägyptern stand schwarz für Wiedergeburt und Auferste-hung.
Der Freimaurergeselle wird in einem schwarz geprägten und mit Trauersymbolen verzierten Tempel zum Meister erhoben, bevor nach seiner Erhebung wieder das Licht im Tempel dominiert. Der Freimau-rer Goethe dichtete daraus sein „Stirb und werde!“
Weiß
Weiß ist die Farbe aller Farben, aber eigentlich doch keine Farbe und dennoch symbolisiert weiß in vielen Kulturen die Jungfräulichkeit, Unschuld, die geläuterte Seele und tugendhaftes Leben.
Weiß ist, wie wir schon wissen, die Farbe des Lichtes, die Summe aller Farben.
Jesus sagt von sich "Ich bin das Licht der Welt" (Joh.8,12). Weiß ist die Farbe des Lamms, das für Jesus steht, der sich für uns opferte (Offb. 5,1-14). Weißgekleidete Gestalten erscheinen am Leichnam Jesu (Joh. 20,12) und bei seiner Himmelfahrt (Apg. 1,10). Für Tauf-kleider (aber erst nach der Taufe) wählten Christen schon früh die Farbe weiß.
Nach alter Symbolik ist die Trauer erst schwarz, dann grau, dann weiß, damit ist weiß auch das Symbol der Erhebung der Seele aus dem dunklen Grab zur Unsterblichkeit.
In orientalischen Kulturen und frühchristlicher Zeit wird weiß als Trauerfarbe getragen.
In der jüdischen Kultur bedeutet weiß Grundlegendes, die Freude, Reinigung und die Krönung, aber auch Licht und Reinheit. Weiß ist die Priesterfarbe. Engel tragen weiß.
Freimaurer tragen weiße Handschuhe als Ausdruck der Reinheit des Herzens und einen weißen Schurz zum Zeichen Ihres aufrechten Bemühens um Vervollkommnung.

Der Künstler Heinz Lilienthal ( † 2006)
Der durch Arbeiten in Glas, Metall, Holz und Mosaik in Norddeutsch-land sehr bekannte Künstler wurde 1927 geboren und fand nach der Flucht aus Ostpreußen in Bremen eine neue Heimat. Heinz Lilienthal schuf überall wichtige Werke in Betonglas und der alten Bleiglas Technik. Die seit 1949 in seiner Bremer Werkstatt entstandenen Arbeiten in Glas, Stein und Metall für Sakral- und Profanbauten öf-fentlicher und privater Auftraggeber betrafen die Gestaltung des Innen- wie des Außenraumes.
Lilienthal hatte seine Ausbildung an der Bremer Kunstschule als Glasmaler erhalten, vermied bei seinen Fenstergestaltungen aber immer das Nur-Malen auf Glas, sondern setzte seine Kompositionen aus farbigen Glasstücken zusammen, die er nach alter Tradition mit Bleistegen verband oder in moderner Form in Beton einbettete.
Den Arbeiten von Heinz Lilienthal sagt man nach, sie seien geprägt von seinem Ringen um eine gültige Form und einer bleibende Aus-sage.
Rund 250 Objekte hat er im Verlaufe seiner künstlerischen Tätigkeit geschaffen, darunter Fenster in der Universität in Tokio oder im Nie-dersächsischen Landtag, Objekte in der Bundesanstalt für Geowis-senschaften, im Regierungsgebäude in Lüneburg oder im Überland-werk Hannover. In vielen Kirchen finden sich vielfältige Spuren seines Schaffens – so zum Beispiel in Bremen die „Grohner Bibel“, mit ins-gesamt 46 eindrucksvollen Kirchenfenstern mit Motiven aus dem Alten und Neuen Testament.
In seinen nicht bildhaften Werken erscheinen zumeist keine Formen, die er unverändert aus der Natur übernimmt. Seine Abstraktion schließt Abbilder der Wirklichkeit und eine gefällige Illustration aus.
Wir können davon ausgehen, dass Heinz Lilienthal. sich der unter-schiedlichen, aber besonders sowohl der christlichen Farbsymbolik als auch der evangelisch-reformierten Haltung zur figürlichen Darstel-lung bewusst war. Heinz Lilienthal erhielt für unser Ostfenster seiner-zeit ein Honorar von DM 18.000 und arbeitete sehr schnell. Er wurde im März 1971 beauftragt, bereits im September erhielt er die Rest-zahlung für das fertige Fenster.

Mein Spaziergang mit den Augen, eine Reise auf dem Ostfenster

Grundsätzliches zu Fenster und Licht
Fenster aus Glas haben zu allererst einen praktischen Grund, näm-lich Helligkeit und Licht hindurch zu lassen. Sie sind damit gleichzeitig Symbole der Transparenz.
Hes.1,22 und Offbg. Joh. 4,6 beschreiben ein gläsernes Meer oder Kristall unter Gottes Thron.
Da das Glas jeden Gegenstand durchscheinen lässt, ohne ihn zu verletzen, ist es bei unseren katholischen Glaubensbrüdern auch das Symbol der unbefleckten Empfängnis.
Die bei vielen Völkern vorzufindende Lichtsymbolik gewinnt ihren ersten starken biblischen Ausdruck durch das „Es werde Licht!“ in Mos. 1, 3. (Das Licht der Erkenntnis)
„Gott ist das Licht und die Finsternis hat es nicht begriffen“ heißt es im Prolog zum Evangelium des Johannes.
Viele Tempel und besonders die gotischen Kathedralen, ja selbst einfache Kirchen beeindrucken uns immer wieder durch ihre ganz besonders großen, schönen Fenster, mit architektonischer Lust in Form gebracht.
Wenn aber schon Fenster, warum also nicht auch bunt oder farbig?. (Dr. theol. Alfred Rauhaus hält dies in Evangelisch-Reformierten Kirchen allerdings für überflüssig). Berühmte Künstler schufen über die Jahrhunderte wunderschöne, symbolträchtige Kirchenfenster oder erzählten uns damit biblische Geschichten. In der bereits damals als ganzheitliche Betrachtung eines Kunstwerk zu Ehren Gottes wurden beim Kirchen- und Kathedralenbau in romanisch und besonders in gotischer Zeit neben den Steinmetzen und Maurern schon sehr früh-zeitig die Glasbauer in die Baupläne einbezogen.
Unser Ostfenster
Von der Macht eines Bildes und was wir in ihm sehen, kann sich niemand befreien! (Zitat Lilienthal)
Der Eine sieht in unserem Ostfenster die Darstellung der Kirche im allgemeinen oder die heilige Stadt Jerusalem, andere halten es für total abstrakt, und der Nächste wiederum erkennt versteckte Karika-turen oder leitet die gesamte Kirchengeschichte aus ihm ab. Auch hörte ich aus dem Konfirmandenkreis, dass die Darstellung wie ein einäugiger Science-Fiction Kampfroboter sei, der den inneren Be-reich einschließt, um ihn zu vernichten. Ein Arzt sagte mir spontan zu dem Kirchenfenster: „Ich sehe eine Gebärmutter mit einem Embryo, Nabelschnur etc.“ Widersprüchlicher kann eine Darstellung nicht sein.
Ich will unser Ostfenster auf meine Art verstehen, versuchen, meine Faszination für dieses Kunstwerk zu schildern. Eine Interpretation des Künstlers selbst konnte ich bei meinen Recherchen nicht mehr bekommen, da Heinz Lilienthal bereits 2006 in Spanien verstorben ist. (Auskunft der Pressestelle der Freien Hansestadt Bremen im Januar 2007. Ich kam ein paar Monate zu spät.)
Es ist aber davon auszugehen, dass Heinz Lilienthal, in alter Traditi-on, den Betrachter von unten nach oben führt, unser Ostfenster auch so verstanden sehen will.
Blau und rot in vielen Nuancen sind die dem Betrachter zuerst ins Auge springenden Farben. Folgen wir obiger Farberklärung, dann herrscht mit Blau die Wahrheit, die Offenbarung, die Loyalität und Treue vor, die göttliche Farbe also (… den Glauben an Gott).
Im großen Teil des Fensters umschließt das Blau in seinen verschie-denen Nuancen mit schwarzen Elementen der Trauer fast die gesam-te Darstellung. Dieses starke blaue Farbelement ist wie verwurzelt im unteren steinförmig ausgeführtem Grau, welches als Fundament zu verstehen ist.
Das Blau formt sich nun zu einem alles umschließenden Bogen, zum ewigen, göttlichen Himmelsgewölbe, auch als Symbol für die zeit- und grenzenlose Ewigkeit anzusehen. Diese blauen Elemente um-fassen alles – also vom Glauben eingefasst?
Die grauen (christlichen Gemeinden?) und die grünlichen (Islami-schen Gemeinden?), steinförmigen Elemente unterstützen als Fun-dament diese Gewölbekonstruktion mit Glauben, Stärke und Stabili-tät.
Betrachten wir unter Berücksichtigung der weiter oben unter „Grau“ beschriebenen Ausführungen diesen Teil der Darstellung, dann sind die steinförmigen grauen Passagen des unteren, beinahe wüsten, noch ungeordneten Teils des Ostfensters sicher ein Symbol für die vielen Gemeinschaften der Gläubigen. Hier herrscht zwar kein Chaos mehr, aber eine große Ordnung ist auch nicht zu erkennen.
Die vielfach durch grau symbolisierte Erniedrigung, Trauer oder das „Asche auf mein Haupt“ des Schuldanerkenntnisses ist sicherlich nicht gemeint. Im Gegenteil: in den Steinen sehe ich Stabilität, Dau-erhaftigkeit und Zuverlässigkeit, also das Ewige. Folge ich also den diversen Symbollehren-Varianten dort, wo sie miteinander überein-stimmen, betrachte das Gesamtbild von unten nach oben, dann könnte unser Ostfenster die Darstellung des christlichen Verständnis-ses „…von Ewigkeit zu Ewigkeit“ sein.
Im Sinne oben dargestellter Farbsymbolik erkenne ich, dass das durch das Blau eingegrenzte Rot seine starke Macht nicht weiterfüh-ren wird und kann. Wie es nach oben, durch den wie ein Gewölbe überdeckenden göttlichen Himmel zur machtlosen Größe wird. Dieser Bogen lässt mich die Darstellung der göttlichen Dreieinigkeit, symbo-lisiert durch die drei blauen turmartigen Enden sehen. Weiter wan-dern die Augen zu den drei oberen Fensterchen, bevor dann (fast) alles im Göttlichen, im reinen Weiß aufgeht - Farben als Gleichnis und Glaubensinhalt.
Aber auch als eine Höhle kann der Blaue Bogen erkannt werden. Im Keltischen, im Mitrasglauben, Hinduismus und anderen Kulturen ist die Höhle die Stätte der Initiation oder Geburt, der sichere Schoß der Mutter Erde, im Griechischen die Stätte im Weltenzentrum, wo sich das Selbst und das Ich vereinigen. Die christliche Ostkirche stellt die Geburtsstätte Jesu als Höhle dar. Seit Porphyrios (neuplatonischer Philosoph, * 234 n. Chr. in Tyros, † 304 n. Chr. wahrscheinlich Rom) wird die Höhle vielfach noch heute als ein Symbol des Universums angesehen. Jesu Grab wird in der Bibel (Mark.15, 46) als ein aus dem Felsen gehauenes Grab, also eine Höhle, benannt.
Die Höhle ist seit Alters her das Symbol sowohl der Bestattung, als auch der Wiedergeburt und steht in enger Beziehung zur Symbolik des Herzens als das geistige und Initiationszentrum. Das Gewölbe einer Höhle ist mit der mütterlichen Gebärmutter und dem schützen-den Himmelsgewölbe gleichzusetzen.
Es ist aber noch mehr zu sehen in unserem Ostfenster.
Das Formen- und Farbenspiel des Inneren Teils verführt den Bet-rachter an ein Labyrinth zu denken. Dieses Farbenlabyrinth könnte für eine Reise der Seele vor dem Eingehen in den Himmel stehen. Der Symbolgehalt eines Labyrinthes ist enorm vielfältig, steht aber auch in intensiver Beziehung zur Höhlensymbolik. Es ist zu umfang-reich, um an dieser Stelle darauf im Detail einzugehen.
Es sind einige bogenförmige Brückenelemente, Stufen (Jacobsleiter? 1. Moses 28, 10-22) und andere Verbindungen auszumachen, auch rechts im unteren Mittelteil, durch das Grün symbolisiert, vielleicht zu den anderen Varianten eines Glaubens an Gott?
Rot im Mittelteil der Darstellung deute ich als Liebe, Kampf, Blut und Feuer innerhalb der Glaubensentwicklungen, dem Ringen um Wahr-heit als Weg, als eine Reise. Rote Elemente sind sonst nirgends außerhalb der blauen Umrahmung dargestellt. Denken wir an die vielen Situationen der Glaubensentwicklungen, wo sowohl von Fana-tikern der einen als auch der anderen Seite mit Feuer und Schwert der jeweilige Glaube durchzusetzen versucht wurde, ja noch heute um den einzig wahren Glauben gekämpft wird und wahre Blutströme in der Erde versickerten lässt.
Dieser mittlere, farblich dominierende rote Teil macht einen großen halbmondförmigen Richtungswandel innerhalb der blauen Umrah-mung und endet in einem erdfarbenen, dreidimensional dargestellten kubischen Element. Der kubische Stein nun aber ist ein eindeutiges Symbol für Vollkommenheit, das zusammengefaltete Kreuz. (Wer einen kubischen Würfel aufbreitet, gewissermaßen dessen „Netz“ zeichnet, der entdeckt, dass dem Würfel das Kreuz zugrunde liegt.) Es ist also nahe, hier einen Weg, eine Reise zu einem (dem!) Ziel zu entdecken.
Kann es sein, dass das sich rechts davon befindende Element, wel-ches einem Kardinal mit einer Augenbinde außerordentlich ähnelt, seinen Blick auf diesen Kubischen Stein richtet. Durch seine verdeck-ten Augen nichts erkennt? sich dadurch Erkenntnis und das Fort-schreiten nach oben in das göttliche Himmelsgewölbe verwehrt? Also doch eine Karikatur? Ich will aber, aus der evangelisch-reformierten Tradition heraus, dieses künstlerisch bemerkenswerte Fenster als ein durch Licht und Farbe wirkendes Kunstwerk ohne figürliche Darstel-lung verstehen, daher diesen Gedanken nicht weiterführen.
Es ist sicherlich nicht richtig, in unserem Ostfenster Figürliches ent-decken zu wollen, wir sollten es vielmehr als Ganzes in uns aufneh-men, so, wie seinerzeit der Kirchenrat den Künstler beauftragte, nämlich „gegenstandslos“.
Alle Elemente und alle Farben des Ostfensters unserer Jacobikirche sind natürlich auch Verschiedenes im Sinne der obigen Anfangssätze zu Farben. Erst zusammen sind sie das Vollkommene, von dem das Glaubensbekenntnis in seiner Trinität redet, wenn es Gott, den Vater, den Allmächtigen, Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unse-ren Herrn und dem heiligen Geist bekennt.
50 Jahre nach der Einweihung des Ostfensters ist es auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil und ein großer Schatz der Jacobikirche in Rinteln, an dem wir uns alle erfreuen können, wenn wir gemeinsam Gottesdienst feiern.


Quellenverzeichnis

• Die Bibel
• Jerusalemer Bibel-Lexikon, The Jerusalem Publish-ing House, 3. deutsche Auflage 1995
• Georg Plasger, Evangelisch-Reformiert, Eine Kirche stellt sich vor, Leer
• Evangelisch-reformierte Gemeinde, Rinteln Kir-chenbücher, Rechnungen und Protokolle, Webseite und andere Kirchenunterlagen
• Walther Maack, Die Grafschaft Schaumburg, Bösen-dahl, Rinteln, 1964
• Prof. Dr. Dr. Nicolaus Heutger, Die ev.-reformierte Kirche in Rinteln – ein Monument der Zisterzienser-kunst, Vortrag am 24. Okt. 1975 in Rinteln
• Dipl.-Kunstwiss. Kristiane Frank, Leipzig, Erschei-nungsjahr unbekannt, Betrachtungen zum Glasfenster der evangelisch-reformierten Kirche zu Rinteln
• Kloos, Werner, Heinz Lilienthal, Werdegang und Werk, Gestaltung in Glas, Stein und Metall. Carl Schü-nemann Verlag, Bremen, 1985
• Dr. Alfred Rauhaus, Kleine Kirchenkunde, reformierte Kirchen von innen und außen, März 2007 bei V+R, Göttingen
• Focke-Museum, Bremerhaven (im Internet)
• Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts e.V.
• Jean Gimpel, Die Kathedralenbauer, 1980 Edition du Soleil, Paris, Deutsch im Deukalion-Verlag, 1996
• Klementine Lipfert, Symbol-Fibel, Eine Hilfe zum Be-trachten und Deuten christlicher Bildwerke des Mittelal-ters J. Stauda-Verlag, Kassel 1964
• J.C. Cooper, Lexikon der traditionellen Symbole, 1978 Thames and Hudson Ltd., London Drei-Lilien-Verlag, Wiesbaden, 1986
• Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, Bilder, Far-ben und Zeichen der christlichen Kunst, Eugen Diede-richs Verlag, München 1971
• Franz Immoos, Farben, Wahrnehmung, Assoziation, Psychoenergetik
• Heinrich Schmidt, Neuendettelsau, Von der Macht des Bildes, Aufsatz 1964
• Reinhold Dosch, Deutsches Freimaurer Lexikon, Die Bauhütte Bonn 1999
• Pressestelle der Freien Hansestadt Bremen
• Wikipedia, Die Freie Enzyklopädie im Internet

Sakrale Glasfenster des Künstlers, für diesen Aufsatz gesehen
• Marktkirche St. Nicolai, Hameln
• Trinitatis-Kirche, Marburg-Wehrda
• Johannes-Kirche, Kaarst-Büttgen
• Johannis-Kirche, Bramsche

Profanes Fenster
• Tierärztliche Hochschule, Pharmakologie, Hannover

Leider habe ich es noch nicht gelernt, ein, und in diesem Faslle das Fotoeinzubinden. Hilfe wird dankbar angenommen
Euer Kadosch


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