Smarter Fremder Mann
Smarter fremder Mann.
Über Prakash Chitales Roman The Works
Von Stefan Hajduk
„Frauen, romantische Abenteuer, Sex?“, ist es nicht allein das, was er möge, fragt Marlies ihren untreuen Liebhaber. Der muss es zugeben. Zugleich aber möchte er dies differenzierter sehen. Ihm gehe es um mehr und um weniger. Mehr heißt hier: die Frau als Mensch. Es gehe ihm um die Erkenntnis des anderen in seiner affektiven Komplexität, um die Berührung von Denken und Leidenschaft. Weniger heißt hier: entspanntes Zusammensein, gemeinsames Genießen dieses Daseins, das nicht einfach selbstverständlich ist. So denkt kein dahergelaufener Don Juan, sondern ein feinfühliger homme à femme, den die Frauen insbesondere wegen seiner unaufdringlichen Zugewandtheit, seiner wissenden Aufmerksamkeit und seinem zärtlichen Verstehen dessen lieben, was zwischen ihnen und diesem smarten fremden Mann sich ereignet. Kurz: es geht um die Erotik authentischer Begegnung, nicht um den Sex affektierter Abenteuer. Und dabei spielt Erfahrung keine geringe Rolle, man agiert aus der Tiefe eines bereits zur Hälfte gelebten Lebens und lässt den jeweiligen Partner ruhig wissen, was es damit auf sich hatte.
So erfährt der Leser manches über die Lebensgeschichten von deutschen Frauen mittleren Alters, deren gescheiterte Ehen, über die verwöhnten Kinder und die in ihnen weiter schwelende Konflikten undurchschauter Verletztheiten; man lernt die Freundeskreise dieser Frauen kennen, hört von bürgerlichen Luxusproblemen und spürt etwas von der Atmosphäre der deutschen Wohlstandsgesellschaft der achtziger Jahre. Von größerer Bedeutung für das Romangeschehen aber sind die existenziellen Strategien dieser Frauen, die diese nach dem Zusammenbruch ihrer einst traditionellen Biographiekonstrukte in der nur äußerlich heilen Welt der guten alten Bundesrepublik überleben oder untergehen lassen.
Da ist zum einen die attraktive Marlies, die aus der DDR stammende Radiologin, wie sie aus ihrem selbstbewussten Singlestatus heraus sich keinen Illusionen hingibt, stets auf der Höhe der Lage ist, kompromisslos offen agiert und noch im Augenblick ihres Verlassenwerdens mit souveräner Sympathie zu reagieren weiß. Marlies bevorzugt die scharfsinnige Härte einer klaren Kommunikation mit sich und der Welt anstelle von wortreich erklärendem Gerede; und sie setzt entschieden auf die Wahrheit, wo andere noch weiterreden wollen.
Da ist zum anderen Elli, die gutsituierte Schöne, die den Mangel an Liebe in den familiären Beziehungen seit jeher durch innere Tapferkeit, äußere Haltung und einen ambitionierten Lebensstil zu kompensieren sucht. Aber ihre kultivierte Eleganz ist porös; durch die feinen Risse ihrer gepflegten Erscheinung sickert mehr und mehr das Fluidum der latenten Verzweiflung. Als sie mit dem Geld, das ihr nach dem Tod des Vaters als Erbe zukommt, das insgeheim schmerzlich entbehrte Familienglück sich gleichsam zurückkaufen will, fühlt ihr neuer Lebensgefährte sich von ihren großzügigen (von ihm als gewaltsam durchschauten) Gesten abgestoßen und verlässt sie. Er ist nicht länger bereit, dieser Frau, die er vielleicht liebt, den europäischen Ehemann, der er nie sein wollte, zu ersetzen. Er glaubt Elli zwar ihre Liebe, aber er fühlt sich nicht gemeint. Was aber macht diesen Mann interessant, um den sich nicht nur die ostfriesische Damenwelt, sondern der gesamte Roman dreht?
Er ist keiner der viel Aufhebens macht, aber genau hinsieht; keiner der seine Erfolge mit weiteren zu bestätigen sucht, sondern sie hinnimmt und allenfalls im Stillen genießt. Ein Mann in einem Alter, in dem man sich nicht mehr beweisen muss und nichts mehr wirklich beginnt, vieles längst aufgehört hat und das Wesentliche ebenso deutlich geworden ist, wie es im Fluss der Erscheinungen ins Ungreifbare entgleitet. Seine Ehe ist kaputt, doch es kommt nicht darauf an. Er macht neue Erfahrungen, aber sie bringen ihn nicht weiter; er geht in die Fremde doch diese ist nicht wirklich fremd. Er liebt das gute Leben, aber lässt sich nicht gehen. Auch begehrt ein solcher Mann die Frauen. Und diese sind in der Fremde vielleicht noch etwas begehrenswerter, ob langbeinig und schick oder einfach zutraulich, zuletzt sind sie eben einfach Frauen im männlichen Blick seiner fremden Augen. Jedoch ist er keineswegs ein cooler Draufgänger, eher ein etwas scheuer Schürzenjäger. In der Liebe wird ihm mangelnde Aggressivität ebenso vorgehalten wie im Berufsleben, er sei zu bescheiden, um wirklich Karriere zu machen, ihm fehle der „Killer-Instinkt“ (S. 385) und er neige zu Selbstverkleinerung, wo es fehl am Platze ist. Solche Spiegel, die ihm vorgehalten werden, interessieren diesen Mann allerdings wenig. Er sieht sich nicht anders, er will etwas anderes. Was aber will er? Und wie will er es erreichen?
Ajeet Ranade, Inder, Anfang vierzig, wird zufällig ein Job in Europa angeboten. Ohne große Erwartungen und ohne zu wissen, warum gerade er für diese Aufgabe qualifiziert sein soll, nimmt er sie an. Die gut bezahlte Stellung bedeutet ihm eigentlich wenig, umso besser füllt er sie aus. Er macht seine Arbeit gewissenhaft, ist fleißig, bleibt merkwürdig reserviert und hat Erfolg. Die sich daraus ergebenden Perspektiven interessieren ihn nicht. Wichtig ist nur, alles möglichst perfekt abzuwickeln, korrekt aufzutreten, zuverlässig, wenn nötig hart, immer professionell, dabei menschlich sauber und in jeder Beziehung unbestechlich zu sein. Dieser akademisch ausgebildete Übersetzer, Dolmetscher und auslandserfahrene Sprachlehrer besitzt die Kompetenz des innerlich unbeteiligten Machers, er ist souverän aufgrund seiner existenziellen Bodenlosigkeit, die ihn vom Zwang des Anerkanntwerdenwollens befreit und zum allseits geachteten Außenseiter im großindustriellen Geschäftsleben macht. Und zum Liebling der Frauen.
Es sind diese beiden Ebenen, das Geschäftsleben und das Liebesleben, auf denen das Geschehen in ständigem Wechsel seinen Lauf nimmt. Dieser doppelte Handlungsstrang ist durch realistische Dialoge sowie über eine weitgehend konstant gehaltene Erzählerdistanz sorgfältig ineinander geflochten. Erzählt wird in gleichmäßigem Rhythmus, epische Risiken werden vermieden und das Leserinteresse durch Einblick in die reichhaltige Welt der Fremderfahrung wach gehalten. Gleichwohl bleibt das Zentrum dieser Erfahrungswelt unbesetzt. Der Leser wird mitgenommen auf die lange Reise nach Deutschland, er spürt den von der Nordsee unentwegt über das flache Land blasenden Wind in seinem Gesicht, flatternd im blonden Haar der Geliebten und fragt sich doch: wer spürt hier, wer denkt und wer handelt?
Insgesamt ist die narrative Verbindung von Figuren, Geschehen und Schauplatz durchaus stabil; diejenige zwischen dem Text und seinem Leser ist hingegen locker geknüpft; mitunter verlockend eng, dann wieder sich auflösend hin zu einem fiktionalen Kern, dessen sonderbare Anziehungskraft wie die eines Vakuums wirkt. Der Rückzug des Erzählers hinterlässt eine Leere. Man könnte hierin einen Schwachpunkt des Buches erblicken. Dieser Eindruck mag sogar von Anfang an bestehen und über viele Seiten hinweg beherrschend werden, andauern bis zum Ende wird er kaum. Spätestens ab der Hälfte des aus neutraler Stilhaltung kommentarlos Erzählten – man weiß nicht wie – wird diese Irritation nach und nach überlagert durch einen zunächst ebenso undeutlichen, aber ganz anderen Eindruck, nämlich den der eigenen Ortlosigkeit. An die Stelle des Nullpunkts der Erzählerperspektive hat sich unmerklich das Subjekt der Lektüre geschoben, mit all seiner Offenheit für das ästhetische Spiel einer um es herum bewegten Wirklichkeit. Man könnte also die vermeintliche Schwäche einer eigenartig undeutlichen Position des Erzählers auch als genuine Stärke desselben verstehen, insofern der Leser kraft dieses Mangels zur Übernahme von dessen Blickwinkel verführt wird. Man wird hineingesogen in eine ‚erzählerlose’ Erzählung, sich sorgend um deren Figuren, die geschäftig geradlinigen oder aber desorientierten Inder im kalten Norddeutschland ebenso wie um die von Arbeitslosigkeit gebeutelten oder aber mit Beziehungsproblemen beschäftigten Deutschen in der ostfriesischen Provinz. Egal was gerade passiert – im Büro, im Tennisclub, in Bombay –, man möchte wissen wie es weiter geht. Und wenn gerade wenig passiert – mit den indischen Männern, mit den deutschen Frauen –, dann will man wissen, was als nächstes kommt.
Das epische Präteritum eines auktorialen Erzählers ist bei Chitale soweit neutralisiert, dass der Leser glaubt alles gegenwärtig vor sich ablaufen zu sehen. Die nüchterne Zurücknahme des Epischen zugunsten des Dialogischen steigert die Lebendigkeit der erzählerischen Sequenz. Dies ist auch deshalb notwendig, weil der situative Erzählstil den Romantext vor seinem Stoff ästhetisch intakt halten muss. Denn es droht Langeweile, wenn dem Leser ein raumzeitliches Kontinuum von über zwei Jahren vorgesetzt wird, in welchem – übrigens historischen Fakten entsprechend – ein wirtschaftlich unrentables Stahlwerk in Deutschlands äußersten Nordwesten demontiert und auf die Seereise nach Indien abtransportiert wird. Was soll an Gesprächen über zu verschickende Kopien von Werkplänen interessant sein, an einem vom Vorgesetzten kommenden Telefax mit Arbeitsanweisungen, an Managertelefonaten, in denen es um Kostenkalkulationen oder Personalführungsstilfragen geht?
Das Wie des künstlerischen Arrangements ist es; die Optik, Dinge, egal welche, sehen zu lassen. Die ödesten Marschfelder Ostfrieslands, Kuhweiden an der Grenze zu Holland oder eine Autofahrt vom betulichen Bremen ins noch betulichere Erden werden im narrativ erzeugten Blick des Lesers reizvoll. Die vom erzählergebundenen Standpunkt aus eingestellte Optik auf das Geschehen deckt sich freilich weitgehend mit dem Blickwinkel Ajeet Ranades. The Works hätte ebenso gut als Ich-Erzählung geschrieben werden können; die Entscheidung dagegen erhöht die Objektivität, mindert aber die für einen Ich-Erzähler besondere Authentizität des Erzählten. Diese wird stattdessen durch das Aufruhen desselben auf den Dialogen erreicht, in deren oft humorvolle Diktion sich die Ironie des Erzählers zurückgezogen hat. Da keine personengebundenen Innenperspektiven geboten werden, wird zudem das von anderen Personen Erlebte nur insoweit wiedergegeben, wie es von diesen dem Beobachter-Helden hätte erzählt worden sein können. Durch den Verzicht auf den großen Überblick der Außenperspektive zugunsten der Fokussierung auf die Figur Ranades erscheint das Erzählte als deren Erlebniswelt. Damit hätte aus Ajeet Ranade das werden können, was man einen round character nennt. Indessen bleibt er als solcher seinem psychologischen Charakter gemäß zurückhaltend gezeichnet, was überdies der modernen Skepsis gegenüber der Darstellbarkeit des Individuellen entspricht.
Dennoch ließe sich kritisieren, dass Ranade die ‚Ecken und Kanten’ für einen ‚runden Charakters’ fehlen. Man meint hier die allzu große Nähe von Autor und Held zu spüren, welche die falsche Bescheidenheit und verkehrte Vorsicht bei dessen Gestaltung auf Kosten der Lebendigkeit bewirkt haben mag. Stattdessen wird die Geschäftswelt, in der er sich bewegt, bis in kleinste Abläufe und buchhalterische Details mit einer Ausführlichkeit beschrieben, welche weder die Handlung voranbringen, noch die existenzielle Befindlichkeit des konzilianten Helden erhellen. Bei aller Ausstaffierung desselben in den kommunikativen und bürokratischen Vollzügen seiner geschäftlichen Tätigkeit bleibt er dennoch irgendwie versteckt und eigenartig blass. Dafür reicht auch nicht Mr. Ranades vornehme Distanziertheit als Erklärung aus. In dieser liegt zudem etwas allzu Souveränes, etwas, das im Unberührten leidet. Die persönliche Reserviertheit sowohl gegenüber seinen Vorgesetzten als auch gegenüber seinen Geliebten ist erzählerisch zu wenig reflektiert, als dass von ihr immer auch eine lebendige Wirkung ausstrahlen könnte.
Chitales Verletzung der ungeschriebenen Regel der literarischen Ökonomie, d. h. nichts zu schreiben, was die Figuren in Ihrem thematischen Kontext oder das Geschehen insgesamt nicht voranbringt, hat freilich auch einen Vorzug. Es gelangt dadurch manche Einzelheit ins transkulturelle Blickfeld, was für viele Leser von Interesse sein könnte. So hört man von Musikfestivals in Schleswig-Holstein, von Schlössern, die zwischen Hügeln und Seen vom herbstlichen Himmel des Hohen Nordens erleuchtet sind; man lernt etwas über Trinkgewohnheiten von österreichischen Arbeitern, ostfriesische Ballspiele auf Wirtschaftsstraßen (Bosseln), regionale Zugverbindungen oder sieht, wie eine Kultur- und Industrielandschaft sich im Blick aus einem Mercedes zu verzerren beginnt, der auf einer deutschen Autobahn auf über 200 km/h beschleunigt. Man sieht Inder, Angestellte eines weltweit agierenden Konzerns aus Bombay, die in Deutschland eine fremde Welt finden: so wenig Menschen auf dem Bahnsteig, geradewegs leere Straßen, alles an dieser sie umgebenden Unwirklichkeit ist anders. Fern der vertrauten Küche, dem heißen Klima, jenseits der traditionsgeleiteten Kultur herrscht mit kalter Hand das Unvertraute, Ungesicherte und zunächst Unbegreifliche.
Einer von Ihnen, den die Frauen schon zur Begrüßung in seinem neuen Umfeld von selbst anlächeln, kennt sich indessen aus. Er spricht die Sprache der Fremden. Sein Einsatzgebiet ist die Schnittstelle zwischen der indischen und deutschen Kultur nicht nur im Geschäftlichen. Als ihr professioneller Vermittler beherrscht er virtuos die Sprachspiele des Übergängigen: der Übersetzung, der Literatur, des Flirts. Überwiegend gesprochen wird indessen die Sprache des Alltags, der witzigen Telefonate, der knappen Worte des Geschäftlichen, die Sprache des Funktionalen ebenso wie die der charmanten Intention. Die Spannung zwischen den Sphären des Beruflichen und des Privaten wird immer wieder aufgehoben zu einer Verbindung im Menschlichen, aufblitzend im Esprit des prosaischen Managers und poetischen Liebhabers in Personalunion.
Diese Position des Dazwischen ist kennzeichnend für Ranade. Sich heraus lösend aus den traditionellen Lebensformen der Ehe sowie der beruflichen Festanstellung hinein in die offenen Formen ganz aufs Gefühl abgestellter Beziehungen mit Frauen sowie mit einem frei ausgehandelten Projektvertrag vollzieht sich seine gesamte Existenz im Modus des Übergängigen. Das Verlassen der Heimat, die Reise in die Fremde, die Rückkehr, dies bildet bei Chitale keineswegs das Entwicklungsschema eines Initiationsromans ab. Allenfalls könnte man in Ajeet Ranades Fall von einer Initiationsreise in die Fremde ohne Rückkehr sprechen, insofern er am Ende sich auch im heimatlichen Indien als Fremder wiederfindet.
Bis zuletzt bleibt das um diesen sanften Held arrangierte Geschehen eines, das den Leser auf eine Weise berührt, die unscheinbar ist wie die Wirklichkeit selbst. Es scheint, als liege gerade in der ins beinahe Konturenlose zurückgenommenen Zeichnung des Hauptcharakters die narrative Pointe des Romantextes, dass nämlich in dessen poetischem Zentrum jene Leere herrscht, die für das seit der Moderne sich nur mehr schemenhaft gegenwärtigende Individuum kennzeichnend ist. Dem faktischen Schwebezustand des Subjekts der Existenz entspricht die fiktionale Positionierung der Subjektivität der Hauptfigur im Binnenraum einer frei flottierenden Wirklichkeitserfahrung. Diese Korrelation wird unmerklich, aber durchgängig aufrechterhalten durch die Flüchtigkeit einer Erzählerperspektive, die sich mit der des Helden weitgehend deckt. Wie dieser hat auch der Erzähler keinen Einblick in die Innenwelten der anderen Figuren. Ranade und sein Erzähler wissen kaum etwas über die Gefühle, Gedanken und Wünsche, welche diese bewegen, es sei denn durch deren Handeln oder Äußerungen, wie sie ins Wahrnehmungsfeld des Protagonisten fallen.
Aus dessen innerer Befindlichkeit entsteht schließlich auch die Spannung, welche transversal in diesem angelegt ist zwischen der stoischen Statik des ästhetischen Beobachters und der geschäftigen Unruhe des verantwortlichen Projektleiters, zwischen dem unbekannten Autor von Romanen und Drehbüchern einerseits (eine mehrfache Anspielung auf die identifikatorische Beziehung Chitales zu Ranade) und dem erfolgreichen Manager andrerseits. Zugleich ergibt sich die Spannung der Liebesgeschichte von Elli und Ajeet weniger aus deren äußerem Ablauf; vielmehr ist sie in einem polaren Verhältnis der beiden vorstrukturiert. Während am weiblichen Pol kaum verdrängte Bindungswünsche, chaotische Emotionalität und Bedürfnisse nach familiärer Geborgenheit auf Befriedigung warten, stehen dem am männlichen Pol instinktive Loslösungsimpulse, individueller Freiheitsdrang und die Signale des rücksichtslosen Sich-nicht-festlegen-Wollens entgegen.
Aus diesem Spannungsverhältnis, das auch ein typisiertes Geschlechterverhältnis ist, gibt es bis zur finalen Katastrophe nur die gelegentliche Flucht in die relaxte Beziehung mit Marlies, die im übrigen eine Kompromissbildung der genannten konträren Ansprüche in sich trägt.
Ausgehend von der ‚Ich-Erzählerperspektive ohne Ich’ ist der indische Held in deutschem Ambiente durchgängig der strukturellen Ambivalenz zwischen Selbstbehauptung und Selbstverlust ausgesetzt. Sie überlässt ihn zugleich seinem Schicksal in jener Fremde, die erst im Eigenen entdeckt werden muss, um von dort jener anderen Fremde sich anzunähern, die selbst etwas ganz Eigenes ist.
Es ist nicht zuletzt diese interkulturelle Dimension der postmodernen Labilität des Subjekts, die Chitales Roman bei aller Konventionalität erkennbar werden lässt als einen solchen, welcher der literarischen Entwicklung eines Realismus angehört, dessen ideeller Kern am Nerv unserer Zeit liegt.
Dr. Stefan Hajduk
DAAD Lektor/Assistant Professor
University of Pune
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