Plötzlich war Grossvater das Thema!


Plötzlich war Grossvater das Thema!
Mein Grossvater und meine Mama

Aufgrund eines Stichwortes, das ich kürzlich zu hören bekam, erinnerte ich mich an diese Geschichte:

Bereits andernorts erwähnte ich, dass meine Wurzeln bis nach Schlesien reichen, wo meine Mutter geboren und aufgewachsen ist. Ihr Vater, mein Grossvater, verliess damals die Schweiz als minderjähriger Verdingbub zusammen mit einem etwas älteren Freund in Richtung Deutschland. Er war von Beruf Melker und verdiente sich mit Melken das Geld bei den Bauern. Irgendwann erreichte er Schlesien, wo er eine Familie gründete und erstmal in einem kleineren Bauernhof in Kainzen lebte, bis er dann später einen grösseren Hof in Alt-Guhrau kaufte und umsiedelte.
 
Geburtshaus -Bauernhof Kainzen 1969 - m.Namen.jpg
 
Wohnhaus Stara Gora ca. 1980 - 01 - Name.jpg
 
Auf dem Hof gab es eine Anzahl Kühe, Pferde, Hühner und Gänse. Er besass einige Felder, die er mit Getreide, Hafer und Zuckerrüben anbaute.
Den Erzählungen nach hatte mein Grossvater ein enormes Wissen über die Haltung von Kühen und Pferden. Dieses Wissen war in der ganzen Umgebung bekannt, sodass sehr oft die anderen Bauern den Bauer Schenkel zu Rate zogen, wenn es in deren Stall ein Problem gab. Es ging sogar so weit, dass er einem Tierarzt vorgezogen wurde, oder man wollte zuerst seine Meinung über ein Tier hören, bevor der Tierarzt gerufen wurde. Anfang des 2. Weltkrieges war er lange Zeit sehr krank aufgrund eines erlittenen Stromschlages. Eines Tages wurde er von einem Bauer mit einem Wagen, worauf er liegen konnte, schwer krank abgeholt, weil dieser Bauer unbedingt meines Grossvaters Meinung über ein Tier wissen wollte…………..
 
Inzwischen geschah Vieles auf dieser Welt, wie wir wissen.
Meine Mutter flüchtete in die Schweiz mit einem längeren Zwischenhalt in Worbis, wo sie bekanntlich meinem Vater begegnete. Jedoch lernte ich weder meinen Vater noch meinen Grossvater persönlich kennen, sondern weiss nur vom Erzählen von ihnen.
 
In den 1980er Jahren besuchten meine Mutter, ihr Partner und ich ein Schlesiertreffen in Herzberg am Harz, und zwar zum ersten Mal. Im Restaurant waren lange Tische mit den entsprechenden schlesischen Ortschaften angeschrieben. Wir setzten uns an den Tisch Alt-Guhrau. Gespannt beobachtete ich, was da so abging – ich meine, mich erinnern zu können, dass meine Mutter ein paar wenige Leute wieder erkannt hatte.
 
Meine Mutter war gerade für einen Moment nicht an ihrem Sitzplatz, als ich drei Männer am Ende des langen Tisches stehen sah, die angeregt miteinander diskutierten und mit den Händen gestikulierten. Ich versuchte herauszufinden, worüber sie sprachen, und zu meiner ganz grossen Überraschung meinte ich, den Namen Schenkel gehört zu haben. Aufmerksam spitzte ich die Ohren und ich konnte es nicht fassen, die drei Männer unterhielten sich über meinen Grossvater – wie verlässlich und kompetent er war. Ich war wie gelähmt, als ich das hörte und war leider nicht im Stande, auf diese drei Männer zuzugehen und ihnen erklären, wer ich bin.
Was für Emotionen dieses Ereignis in mir auslöste kann ich gar nicht beschreiben – da sitze ich an einem Tisch und dort erinnern sich drei Männer an den Bauer Schenkel und die Enkelin sitzt wie angewurzelt da und starrt die Männer an……………
 
Jutta
 

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Kommentare (10)

Pan

Zu dem alten Gau Schlesien habe ich noch einiges hinzuzufügen:
Die beiden Landesteile Schlesiens - Oberschlesien und Niederschlesien waren in ihrer Struktur völlig unterschiedlicher Prägung! Während Oberschlesien in der Hauptsache  industriell geprägt war (ähnlich dem Ruhrgebiet) , hatte Niederschlesien, zu dem auch "Kainzen" und Guhrau gehörte, eine andere, auch kulturelle Prägung. Sie wurde durch den Lauf der Oder beeinflusst. mit einer reichen Geschichte und  einer wunderschönen Naturverbundenen Landschaft, dem Riesengebirge z.B.
Vielleicht interessiert das den Einen oder Anderen?
Grüsse von
Horst
 

Jutta

@Pan  

Lieber Horst,

Ich kann mir gut erinnern, dass meine Mutter immer wieder das Riesengebirge erwähnte, allerdings weiss ich nicht mehr in welchem Zusammenhang. Ob eventuell dort in der Nähe eine Klinik war, wo schwersterkrankte entweder zur Erholung oder gar "separiert" wurden - denn eine Schwester meiner Mutter hatte Tuberkulose (sie verlor Glieder wie Finger, Zehen und Nase), die offenbar nie mehr zurück nach Hause kam.

Herzliche Grüsse
Jutta

Pan

Sehr schade, Jutta. Es wäre doch sehr interessant gewesen, zu wissen, was  Dein Grossvater für ein Mann war, nicht nur in den Augen der  Mitbürger. Ich finde es ganz toll.
Manches  ist hier wohl falsch verstanden worden? Die Zeitläufe jedenfalls lassen eine andere Phase ahnen!
(Enkel sind nicht immer nur kleine Kinder, nicht wahr?)
Sei herzlich gegrüsst,
Horst

😅

Jutta

@Pan  

Lieber Horst,

Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Meine Mama erzählte mir so einiges über meinen Grossvater, dass er eben mit den Pferden und Kühen sehr gut umgehen konnte, dass er die Katzen verwünschte, weil sie ihm den Rahm auf der Milch in den Milchkesseln wegputzten. Er soll ein sehr strenger Vater gewesen sein, der viel zu schimpfen wusste und dem schnell mal die Hand ausrutschte. Wenn man aber bedenkt, dass er bereits als Minderjähriger auswanderte, war wohl seine Kindheit alles andere als positiv.
Ich argumentierte bei meiner Mutter, dass ich ihn sicher um den Finger gewickelt hätte, wäre ich ihm begegnet🤔

Herzliche Grüsse
Jutta 

Roxanna

@Pan  

Diese Spitze, Pan, gilt wohl mir. Ich habe es korrigiert, weil ich meinen Irrtum bemerkt habe, das ist dir wohl entgangen.

Beste Grüße
Roxanna

Roxanna

Sehr bewegend, liebe Jutta, was du erzählst und was für ein schönes Foto deines Großvaters mit deiner Mutter als kleines Mädchen. Wie gut, dass uns Fotos als Erinnerung bleiben.

Du weißt ja, dass meine Familie aus Ratibor in Oberschlesien stammt und ich kann sehr gut nachfühlen, wie es einem mit solchen Begegnungen geht. Sie elektrisieren förmlich. Mir erging es so, als ich nach Ratibor gereist und dort all die Stätten aufgesucht habe, von denen die Eltern in meiner Kindheit immer erzählt haben. Auf der Suche nach Menschen, die meine Eltern und das Cafe meines Vaters gekannt haben, bin ich fündig geworden und hatte einen interessanten schrifltichen Austausch, in dem ich vieles erfahren habe, was mich auch sehr bewegt hat.

Wir sind stark mit unseren Ahnen und ihrer Geschichte verbunden, mehr als einem vielleicht bewusst ist, auch wenn man sie nicht persönlich kennenlernen durfte. Vielleicht mit ihnen sogar ganz besonders. Meine Großeltern väterlicherseits habe ich leider auch nicht kennengelernt, weil sie zum Zeitpunkt meiner Geburt schon längst verstorben waren.

Dass du dich als Kind nicht getraut hast, dich als Enkelin deines so angesehenen Großvaters erkennen zu geben, ist sehr verständlich. Aber es hat sicher gut getan zu erfahren, wie angesehen und geachtet dein Großvater war.

Liebe Grüße
Brigitte

Jutta

@Roxanna  

Liebe Brigitte,

Danke für deinen Kommentar. Ja, ich las über deine Geschichte in Oberschlesien und ich denke, du hattest Glück, dass du dort Menschen getroffen hast, die über deine Familie berichten konnten.

Auf dem Hof meines Grossvaters waren Russen untergebracht, denen wir mit Händen und Füssen erklärten, wer wir sind - das letzte Mal im Jahre 1989, kurz bevor die Grenzen geöffnet wurden. Da hatten sie Angst, wir wollten das Grundstück zurück!!! Ansonsten trafen wir niemanden im Städtchen.

Ich wagte es leider nicht, diese drei Herren am Ende unseres Tisches anzusprechen, ich war derart überrascht. Allerdings zeigte sich auch meine Mutter nicht gerade mutig, denn sie hätte ja unter Umständen die drei Herren gekannt, wären sie ins Gespräch gekommen. Aber hinterher ist man immer schlauer!

Liebe Grüsse
Jutta



 

Roxanna

@Roxanna  

Liebe Jutta, kann leider nicht mehr verändern, aber wie ich nun darauf gekommen bin, dass du in den 80iger-Jahren noch Kind warst, ist mir selber schleierhaft😉. Längst warst du eine erwachsene Frau und auch als erwachsene Frau kann man mal blockiert sein, weil etwas sehr nahegeht, und nicht so reagieren, wie man es im Nachhinein sich wünschen würde.

Liebe Grüße
Brigitte

Globetrotter

@Jutta
Liebe Jutta,
dein sich "Nicht outen" als Enkelin kann ich gut verstehen, Hat man uns doch zu der Zeit noch eingebleut, nicht zu stören, wenn sich Erwachsene unterhalten. Auch ich hätte mich nie und nimmer getraut in solch ein Gespräch hineinzuplatzen.
Danke für diese Geschichte und die Fotos
Liebe Grüsse
Gisela

Jutta

@Globetrotter  

Liebe Gisela,

Danke für deinen Kommentar. Ich war damals derart überrascht, meinen Namen zu hören, dass ich wie gelähmt war. Ich meine, mich erinnern zu können, dass meine Mutter dann wieder zurück kam und ich ihr das erzählte und fragte, ob sie diese Männer erkenne - sie hätte ja auch mal mutig sein können.......

Grüessli
Jutta


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