Nähe erleben dürfen
Die schönste Nähe erlebt ein Kind im Schoß oder in den Armen seiner Mutter. Dieses Gefühl wurde mir als Kind früh genommen und nach ihrem Tod zu Beginn meines siebten Lebensjahres verwies mein Vater seine Kinder aus seiner körperlichen Nähe, wohl weil es zu der Zeit, Nachkriegszeit, noch so unüblich war, dass auch Väter offen ihre Liebe zu ihren Kindern zeigen konnten – einfach unmännlich … ??? Dafür war doch seine Mutter, unsere Oma da!
Und Omas Schoß war stets von unserer Jüngsten besetzt, Oma vertrat damals dann Mutterstelle an uns. Als ich zehn Jahre alt war, wies mein Vater mich zurück, als ich mich mit einem Gute-Nachtkuss fürs Zu-Bett-Gehen von ihm verabschieden wollte. „Du bist doch schon groß, dann tut man das nicht mehr!“
Wenn ich heute sehe, wie mein 10-jähriger Enkel und seine Mama diesbezüglich miteinander umgehen, kommt schon gelegentlich eine gewisse Sehnsucht bei mir hoch. Ich sehe noch vor mir, wie vorsichtig mein 56 Jahre alter Sohn vor kurzem "es wagte", mir seine Umarmung anzubieten.
Damals wuchs in mir der heimliche Wunsch, den ich eigenen Kindern einmal erfüllen würde: sie stets bei Bedarf innig in die Arme zu schließen. Mir fehlte diese Innigkeit, diese Nähe so sehr und dass ich es als Erwachsene kaum mehr ausüben konnte. Erst meine eigenen Kinder lehrten es mich wieder.
Die Belohnung erhalte ich heute: meine Zwei, längst fast im Oma- und Opa-Alter angekommen, nehmen mich zur Begrüßung nach längerer Abwesenheit liebevoll in ihre Arme! Und sogar von meinem gut 10 Jahre alten Enkel bekomme ich einen liebevollen Blick, da gelegentliches Umarmen für ihn zurzeit kaum eine Option ist, wenn er sieht, dass seine Mama mich umarmt. Seine Umarmung fällt etwas ungeschickt aus. Lediglich seine Mama überfällt er bei großem Bedürfnis so seitlich von hinten … Mag auch etwas mit der Größe oder dem Alter des Heranwachsenden zu tun haben.
Auf mich wirkt das immer wie eine Verabschiedung von einer gern geübten Geste. Doch natürlich darf auch er so langam „groß“ werden. Es beginnt ja auch für ihn eine Zeit des Erwachsenwerdens. Da beginnt die Zeit der Auswahl, wen man (noch oder schon und wie) in die Arme nimmt.
Es ist erst vor wenigen Monaten passiert, dass ein hochbetagter Onkel, der Mann einer Schwester meiner Mutter, mich nach Jahren des sich nicht Treffens fragte, ob er mich auch einmal in den Arm nehmen dürfe. Meine Tante, seine Frau, war schon längst verstorben ... die Sehnsucht oder auch Erinnerung überfiel ihn. Ich nahm ihn kurz in die Arme.
Kommentare (5)
Wenn ich das so lese, liebe Uschi, bin ich froh, in meinem ganzen Leben kaum etwas anderes erlebt zu haben als Empathie.
Allerdings trübt sich die Kindheit dahingehend etwas ein, als das ich kaum tiefe Erinnerungen an unsere Mutter habe, da sie bereits mit 40 an Krebs starb. Manchmal frage ich mich..., hat sie uns eigentlich in die Arme genommen...?
Da ist eine Lücke, die meinen weiteren Weg trotzdem nie beeinträchtigt hat, zumal ich schon als junge Frau genau wusste, dass es meinen Kindern mal so richtig gut gehen sollte. Ich kenne es garnicht anders, als alle in die Arme zu nehmen und dolle zu drücken..., auch heute noch ist unsere gesamte Familie im Umgang sehr herzlich miteinander, einschließlich der "Hinzugekommenen".
Auch meine Enkel..., derweile 17, 2x15, 2x13 sind da keine Ausnahme. Sie drücken mich/uns fest und innig und das ganz freiwillig. Sie sind allesamt so aufgewachsen, können Liebe geben und man spürt, dass sie glücklich sind und es auch wollen und brauchen!
Selbst Exfreundinnen meines Sohnes lieben unsere Familie immer noch..., weil wir offen, freundlich, herzlich und unkompliziert waren und sind.
Ich bin so froh, dass ich diese tiefe Liebe weiter geben konnte, das macht mich stolz und zeigt auch, wie wichtig Gefühle sind für die Entwicklung eines Menschen.
Hat man nie lieben dürfen, Gefühle zeigen können, ist man sehr "arm" dran und kann auch nichts Schönes weitergeben, weil alles von ganz tief innen kommt!
Kristine
@werderanerin
Liebe Kristine!
Die Erinnerung an meine leibliche Mutter zeigt mir eine Situation, in der ich Siebenjährige an ihrem Krankenbett sitze, es kaum wage, ihre Hand zu nehmen und sie flüstert mir zu, dass ich, wenn sie nicht mehr da sei, ihr Glöckchen bekäme, mit dem sie wegen ihrer kraftlosen Stimme Hilfe ans Krankenbett rufen konnte. Das Glöckchen war nach ihrem Tod verschwunden.
Stattdessen bekam ich ihre "gute" Armbanduhr, die ich an ihrem Handgelenk nie gesehen hatte. Die Uhr mochte ich aus emotionalen Gründen nur wenige Tage tragen, weil sich meine Haut am Arm unter dieser Uhr sofort schwarz färbte, wenn ich sie trug - so wenig, wie ich mich in dem "Sterbebett" meiner Großmutter als 15-Jährige wohl fühlen konnte. Die Armbanduhr liegt seit 73 Jahren ungenutzt in meiner Schmuckkassette.
Für Omas Bett verlangte ich eine andere Matratze und neues Bettzeug! Die erste Nacht darin vor dem Austausch des Bettzeugs habe ich kaum einschlafen können, bereit dazu, irgendwas oder irgendwen sofort wegzustoßen, sollte sich "der Tod" in der Nacht meiner bemächtigen wollen ... Es war eine emotional unerträgliche Situation für mich! Einschlafen war kaum möglich ... Aber wem sollte ich davon erzählen -- meinem Vater??
Hat man nie lieben dürfen, Gefühle zeigen können, ist man sehr "arm" dran und kann auch nichts Schönes weitergeben, weil alles von ganz tief innen kommt!
In dieser Zeit entstand mein Vorsatz, sollte ich jemals Kinder haben, ihnen so viel Liebe und körperlche Nähe zukommen zu lassen, wie sie es mochten.
Erst gestern war ich mit meiner Tochter-Familie essen gefahren. Sie hat mich nicht nur einmal dafür in den Arm genommen und mir ein Küsschen geschenkt!
Ich durfte als Mama Gefühle zeigen und bekomme sie reichlich zurück!!
Das Leben kann schön sein!!
@werderanerin
... und gerade ist meine Tochter hier, steckt aber trotzdem in einem langen Telefonat mit einer Freundin, deren Tochter in Max' Klasse geht und sie tauschen sich über die schulischen heutigen Schulgeschehnisse ihrer Kinder aus ...
Da kommt sie zu mir herunter, um von meinem Tag zu hören, und nun sitzt sie telefonierend in meiner Küche...
Den Umgang mit meinen Kindern konnte ich tatsächlich so gestalten, dass ich meinem Sohn auch noch als 18-Jährigem einen Kuss auf die Wange drücken durfte. Er fand es überhauptnicht peinlich! Und wenn wir uns heute mal treffen, dann nimmt auch er mich wie selbstverständlich in seine Arme.
Es ist schon sehr merkwürdig, wie - ja, auch vor diesem Hintergrund - sich mein Leben entwickelte.
Als 17-Jährige lernte ich meinen späteren Mann kennen. Er war für seine jüngeren Geschwister "Mutterersatz"! Seine Mutter war wegen ihrer manisch-depressiven Erkrankung im LKH, es gab nur selten ein paar Wochen, die sie zuhause verbringen konnte. Schnell nahmen ihre krankhaften Stimmungswechsel dann stets wieder so zu, dass sie immer wieder ins LKH musste, weil ansonsten bei ihr Suizidversuche drohten. Eine schreckliche Vorstellung für ein Kind, einen Menschen so vorzufinden. Ich hatte leider (oder zum Glück?) das Pech, sie nach ihrem ersten Suizidversuch (ich war als 17-Jährige das erste Mal bei ihm nach Hause gekommen) so vorzufinden. Das Bild geht mir nie aus dem Kopf ...
Für den Vater der Familie war es schwer, seinen Arbeitstag mit den täglichen Bedürfnissen der Kinder (6, 12 und 19 Jahre) unter "einen Hut" zu bringen. Als Hausmeister einer von Nonnen geführten Hauswirtschaftsschule hatte er allerdings die Hilfe, dass seine "mutterlose" Familie mittags dort mit ihm versorgt wurde und die Kinder die Möglichkeit hatten, "bei Papa" ihre Hausaufgaben zu erledigen. Als ich die Familie kennenlernte, war der jüngere Bruder meines Mannes 12, die kleine Schwester 6 Jahre alt. So ein wenig klammerten die Zwei durch ihren großen Bruder sich dann eine Zeit lang an mir fest ....
Ich hatte lange Angst, dass auch mein Mann von dieser Psyche etwas haben könnte. Doch das war nie bei ihm der Fall und ist bis heute auch nicht an meinen / unseren Kindern oder meinem Enkel festzustellen. Im Gegenteil: meine Tochter setzt sich mit aller Kraft dafür ein, dass Familien, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen, Hilfe bekommen. Die starke Bereitschaft, jenen zu helfen, die familiär "aus dem Rahmen zu fallen drohen", ist bei ihr - mehr noch als bei mir - sogar beruflich gegeben! Und durch die Erlebnisse als Kind, die sie am Rande doch mitbekam (wie sie schon mehrfach beichtete), hat sie sich sogar beruflich in diese Richtung entwickelt.
Auch ich durfte ihrer Freundin mit ihren Kindern, bedingt durch häuslich ähnliche Vorkommnisse bei der Familie der Freundin, schon helfen. Wie es der Zufall wollte, war ich zur Kur, und gleich in der 1. Woche ergaben Geschehnisse bei der Freundin zuhause die Notwendigeit, dass sie von jetzt auf sofort mit ihren Kids aus dem Haus ihrer Mutter flüchten musste, eine andere Unterkunft vorübergehend benötigte, um sich und ihre Kinder vor der Oma zu schützen. Wir waren alle froh, dass meine Wohnung derzeit gerade unbewohnt zur Verfügung stand!! Und die kranke Oma wusste von dieser Wohnung nichts ...! Erst vergangene Woche ließ sie mich mal wieder wissen, wie sehr sie die damalige Hilfe genießen konnte.
Heute weiß sie allerdings, dass nicht sie mit ihren Kindern in einem solchen Fall aus der Wohnung müsste, sondern die Oma wohl eher in stationäre Unterbringung käme. Kindeswohl geht vor und eine Krankheit berechtigt nicht, dieses Vorrecht zu übergehen.