Meine Zuckertüte


Meine Zuckertüte

Komisch, immer wieder denke ich an meine Zuckertüte. Dabei ist es schon so lange her. Aber ich will der Reihe nach erzählen. Ein bisschen aus meinem
Kinderalltag sozusagen.
Ich musste mich ja erst mal anmelden, dass ich überhaupt am Leben teilnehmen
möchte. Genau das habe ich im Mai 1947 gemacht, sogar zwei Monate zu früh.
„ Hier, hier bin ich, zeigt mir die Welt!“ hat mein erster Blick gesagt.
Ja ja, neugierig auf das Leben bin ich schon immer gewesen und das hat sich bis heute nicht geändert. Das kleine thüringische Dorf, in dem ich geboren bin, wurde aber nicht meine Heimat. Nein, meine Familie ist mit mir und meinen Geschwistern nach Stendal, in eine Stadt in der Altmark, gezogen.
Viele Kinder gab es dort zum Spielen und das hat mir sehr gefallen.
Wir haben einen Zirkus gegründet, uns die Kostüme dazu genäht und waren mit vollem Eifer dabei.
Aber ich konnte auch gut allein spielen z.B. mit Knöpfen.
Blumenknöpfe wurden von mir in leckere Torten umgewandelt wenn ich Verkäuferin in einem Bäckerladen gespielt habe. Schließlich riecht es dort sehr gut und Hunger hatten wir ja ständig. Der Gedanke, dort zu arbeiten, war sehr schön.
Bei einem anderen Spiel habe ich mir die Bauern des Schachspiels von meinem Vati geholt. Das waren dann meine Kindergartenkinder. Sie haben mit mir gesungen und ich habe ihnen Geschichten erzählt. Lesen konnte ich ja noch nicht. Die kleinen Figuren haben mir zugehört.
Wenn ich allerdings meine Oma in Berlin besuchen durfte, war ich am glücklichsten. Endlich hatte ich eine Person für mich ganz allein und das
Wichtigste daran war, meine Oma hatte Zeit für mich.
Ich habe mir unter dem Wohnzimmertisch eine kleine Wohnung gebaut. Ringsherum habe ich alles mit Decken zugehängt, damit es richtig kuschelig war. Ich denke jeder ist gern Gast bei seiner Oma. Sie schimpft nicht.
Omas haben die Aufgabe lieb zu sein und das können sie sehr gut.
Meine Oma und ich haben uns eigentlich nie gestritten.
Wenn sie ihren Besuch angekündigt hat, konnte ich es kaum erwarten sie vom Bahnhof abzuholen. Damals allerdings Anfang der 50iger Jahre hatten die Züge oft Verspätung. Das konnte ich nicht verstehen, also bin ich an der Bahnhofssperre stehengeblieben und habe auf den Berliner Zug gewartet.
Dieser Bahnhofsmensch hat doch keine Ahnung, wie schnell meine Oma sein kann. Er irrt sich ganz sicher.
Die Zuckertüte sollte aber alles ändern? Plötzlich stand „Schulkind“ auf dem Plan. So richtig hat mir das nicht gefallen. Eigentlich hatte ich dazu überhaupt noch keine Lust. Ich wollte spielen und nicht auf der Schulbank sitzen.
Meinen Geschwistern hat die Schule gefallen. Na ja, dachte ich dann, vielleicht
ist es ja doch gar nicht so schlecht dort.
Dann ist mir die Sache mit der Zuckertüte eingefallen und das ist ja was Gutes.

Außerdem näht mir meine Oma ein neues Kleid und einen Schulranzen gibt es auch. Das mit dem Kleid weiß ich noch sehr genau, es war rot und an den Ärmeln hatte es eine schwarze Borte. Es war nicht von meiner Schwester.
Das war sehr wichtig für mich.
Der erste September 1953 war schließlich doch ein schöner Schulanfangstag
für mich und meine Zuckertüte, die war bunt und groß. In der Spitze lag
Sportzeug für mich, dann waren da noch Schokolade und Kaugummi aus dem
Westen und ein paar Tüten Bonbons. Den Abschluss der Zuckertüte bildeten
fünf Stundenlutscher, die wie eine Blume zusammen gebunden waren.
Für mich ist es die schönste aller Zuckertüten gewesen.
Ein Foto von meiner Mutti, mir und der Zuckertüte wurde dann auch noch gemacht. Die Zeit hat sich aber rasant weiter entwickelt und ich habe erlebt,
dass hier in Sachsen die Zuckertüten am Zuckertütenbaum wachsen.
Kleine bunte Zuckertüten werden an einen Baum gebunden, der meistens auf dem Schulhof steht. Den Kindern wird dann erzählt, dass sie schnell groß werden, wenn sie fleißig lernen. Und damit dass auch alles gut geht, bekommen sie dann von den Eltern die üblichen Zuckertüten.
Ja, ja, so ändern sich die Zeiten.
Mal sehen, wie die Sache mit den Zuckertüten bei der nächsten Generation ist.
Ich lass mich einfach überraschen.

Na, denkt von Euch auch manchmal noch jemand an den ersten Schultag
und an seine Zuckertüte?


Liebe Grüße velo79

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Kommentare (7)

KarinIlona Da hast du eine schöne Erinnerung ausgegraben, liebe velo, und gleich möchte man mit einstimmen, auch seine eigene Tüte hervorholen und zeigen... ich habs mal gemacht. Im Hintergrund ist die Schule zu sehen, in die ich gern ging.
Heute ist sie still gelegt, es gibt keine Kinder mehr und kein Geld sie zu erhalten... Das ist die traurige Seite.Familie(karilona)



LG KarinIlona
velo79 Liebe Traute,
ja, so ist das manchmal mit den Erinnerungen, die kommen
einfach und lassen Dich dann nicht wieder los.
Es ist schön, dass ich hier davon schreiben kann und
schön ist es auch, dass ich bei anderen auch Erinnerungen
wach rufen kann. Manchmal kann an dann seine eigenen
Erlebnisse besser verarbeiten.
Liebe Grüße und einen schönen Tag
wünscht velo79
velo79 Liebe Ruth,
ich freue mich, dass wir eine richtige schöne Gemeinsamkeit hatten. Nämlich die Knöpfe. Meine Omi war
Schneiderin und hatte wirklich einen riesigen Sack mit
verschiedenen Knöpfen.
Ich freue mich, dass Dir meine kleine Erinnerung gefallen hat.
LIebe Grüße velo
seelchen hast du uns aus deiner kindheit erzählt......
ich habe sie gerne gelesen....
ja...die omas schimpfen nicht viel...und dürfen die enkel auch ein wenig verwöhnen.....lache.....

danke...für deine geschichte....
liebe grüsse...seelchen..

....kennst du das auch noch??...es passt prima zu deiner zuckertütenzeit.......
Komet danke für Deinen schönen Artikel.
Meine Zuckertüte war eigentlich für die damalige Zeit ziemlich groß - aber was drin war? - kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war mitten im Krieg und wir haben uns über jede Kleinigkeit gefreut.
Übrigens habe ich auch gern mit Knöpfen gespielt.


Herzliche Grüße Ruth
finchen ..auch in Anhalt pflückte man die Tüte von dem Baum, die mir unverhofft von hinten in die Arme fiel.
Oh wie gut kann ich mich an meinen ersten Schultag erinnern, der gelbe Backssteinbau, die lange Treppe und das rosakarierte Kleid. Der große Klassenraum und die Bänke und das Nachhausegehen mit der großen Tüte in den Armen drin.
Und ein Jahr später sah es mit der Gemütlichkeit und Euphorie ganz anders aus.
es wurde eisekalt......
mit schwärmerischen Grüßen
Dein Moni-Finchen
Traute wie schön Du das geschrieben hast, ich stand neben Dir und habe mich über Deine Zuckertüte gefreut.
Dein Tisch-Höhlenspiel habe ich auch gespielt und wie habe ich mich über Süßes gefreut.
Was hatten wir für eine Kindheit und wie haben wir das ausgehalten ohne zu zerbrechen?
Einige sind zerbrochen und einige leiden heute noch fürchterlich.
Sie schleppen einen Rucksack voll Elend herum und können es sich nicht von der Seele schreiben, wie wir.
Im Ganzen gesehen, haben wir auch sehr schöne Erlebnisse und können uns damit trösten.
Danke für Deine so besonders geschriebene Chronik.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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