' kurze Geschichte der Menscheit' v. Yuval Noah #Harari
Was soll ein "Geschichtsbuch" in dieser Rubrik? Vielleicht fragt Ihr Euch das, weil meistens hier wohl Romane besprochen werden. Nun, der israelische Geschichtsprofessor Harari hat zwar ein "Geschichtsbuch" geschrieben, wer aber nun eine mit Jahreszahlen gespickte chronologische Abfolge von Schulbuchwissen erwartet haben sollte, wird sehr positiv überrascht sein, denn nichts dergleichen wird er antreffen. Stattdessen hat Harari eine äußert spannend zu lesende Reflexion über die Geschichte der Menschheit geschrieben, so spannend, dass sie für mich persönlich jeden Krimi in den Schatten gestellt hat. Harari hat es geschafft, mich fast auf jeder Seite mit einer neuen Einsicht zu überraschen.
Es geht Harari nicht um eine chronologische Nacherzählung möglichst kriegerischer Ereignisse. Nein, er handelt Themen ab und innerhalb eines Kapitels kann er Beispiele aus ganz unterschiedlichen Jahrtausenden zur Illustration heranziehen. Harari erzählt die Geschichte der Menschheit von ganz weit oben, d. h. aus großer Distanz und gibt sich mit nichts, denn mit den wirklich wichtigen Fragen zufrieden. Er beobachtet die "Geschichte" quasi aus der Perspektive eines interessierten Aliens.
Ich habe seit meinen Kindertagen die Angewohnheit Bücher durch Randnotizen "zu verbessern" bzw. mir besonders wichtige Passagen anzustreichen. In Hararis Buch hätte ich am liebsten fast auf jeder Seite dicke Ausrufezeichen platziert.
Das 526 Seiten starke Buch ist in 4 Teile untergliedert:
Teil 1: Die kognitive Revolution
Hier beschreibt Harari wie sich Homo sapiens von einem ziemlich unscheinbaren Tier zum Herrscher der Welt aufgeschwungen hat und warum Homo sapiens sich gegenüber den anderen gleichzeitig lebenden Menschen (z. B. gegen die Neanderthaler) durchgesetzt hat.
Teil 2: Die landwirtschaftliche Revolution
Harari sieht in dem Seßhaftwerden der Menschen einen großen Verlust an Lebensqualität, aber er legt in überzeugender Weise dar, warum die Menschen nach und nach, fast unmerklich und im Laufe vieler Generationen, in diese "Falle" getappt sind. Der Bauer muss wesentlich härter und mehr für seinen Lebensunterhalt schuften als der Jäger und Sammler, der auf einer sehr dünn besiedelten Erde sich die schönsten Jagdgründe aussuchen konnte. Zudem legt Harari überzeugend dar, warum das, was wir als kulturelle Höherentwicklung definieren, nicht unbedingt bedeutet, dass es dem Individuum besser geht, auch wenn die landwirtschaftliche Revolution dazu beigetragen hat, dass die Bevölkerungszahl der Menschheit dramatisch anwachsen konnte.
"Die Geschichte ist nicht gerecht", ist eine seiner wichtigen Schlussfolgerungen.
Teil 3: Die Vereinigung der Menschheit
Nach Harari leben wir derzeit in einer Weltkultur, isolierte Kulturen gibt es nicht mehr. Unsere biologischen Instinkte sind jedoch nur hinreichend für das Zusammenleben in kleinen Gruppen, deshalb braucht es "kulturelle Instinkte", Riten etc. Er sieht die Erfindung der Religionen als einen wichtigen Faktor bei der Regulierung des Zusammenlebens moderner Gesellschaften. Zu den Religionen zählt er jedoch nicht nur Judentum, Islam, Christentum, Islam und Buddhismus etc., sondern auch den Kommunismus, Sozialismus und Kapitalismus, jedenfalls alle fiktiven Gedankengebäude, die das Denken vieler Menschen synchronisieren.
Teil 4: Die wissenschaftliche Revolution
Im Gegensatz zu den Religionen behauptet die moderne Naturwissenschaft nicht, alles zu wissen und ein vollständiges Weltmodell zu besitzen. Der Erfolg der Wissenschaft basiert auf der Entdeckung der Unwissenheit. Er erklärt den Zusammenhang zwischen Kolonialismus und dem Siegeszug der Wissenschaft (Neugierde) und wie das Räderwerk der Industrie sich darin einfügt.
Harari sieht den Menschen auf dem Weg von den Tieren zu den Göttern. Er greift das Bild der "Singularität" auf, auf die sich die Menschheit aufgrund der permanenten, sich selbst antreibenden wissenschaftlichen Revolution zubewegt. Er gibt zu nicht zu wissen, ob das Wesen, das der Mensch durch seinen eigenen Umbau und die Ergänzung durch Technik, durch "Intelligent Design" am schaffen ist, noch Mensch sein wird oder etwas vollkommen Neues, ein "Gott".
Auch wenn die Macht des Menschen sich durch die Wissenschaften fast zur Allmacht steigern lässt, weiß niemand das Ziel, auf das wir hintreiben. Harari endet im Nachwort mit dem Satz
"Gibt es etwas Gefährlicheres als unzufriedene und verantwortungslose Götter, die nicht wissen, was sie wollen?"
Ihr habt es geahnt. Ich empfehle Euch dieses Buch. Es ist wie ein Apfel vom Baum der Erkenntnis.
Karl
P.S.: Hararis Buch hatte ich nach dem Beginn des Lesens von "Superintelligenz. Szenarien einer kommenden Revolution von Nick Bostrom begonnen, aber dann als erstes fertig gelesen. Bostroms Buch kommt jetzt wieder an die Reihe. Es liest sich wie die Fortsetzung der kurzen Geschichte der Menschheit (ist aber deutlich schwerere Kost). Dieses Buch werde ich hier als nächstes rezensieren!
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