Kinder
Wie lebten wir also? Wir waren fröhliche Kinder, wenn wir auch viel Leid erfahren hatten, nun aber wieder lachen konnten; wir waren gesunde Kinder, weil wir unser Dasein nicht mit ungesunden Nahrungsmitteln belasten mussten - weil sie nicht vorhanden waren. Wir waren lernbegierige Kinder, weil wir aus dem Zwang der staatlichen Behörden entkommen waren und nun eine freiheitliche Ordnung kennenlernen konnten!
Und wenn diese wichtigen Anliegen nicht zutrafen, gab es genügend Hilfestellungen, die uns zur Verfügung standen, um hier Ausgleich zu schaffen. (das war wirklich so - wenn es auch unglaubwürdig klingt.) Und mit viel eigener Willenskraft und Übung brachte wir oftmals all das mit unzureichendem Werkzeug und Material aus irgendwelchem Altgeräten das zustande, das heute nur von erfahrenen Fachleuten bewerkstelligt werden kann!
Das erste Jahrzehnt nach dem Krieg war eine schwere Zeit! Dieses erste Jahrzehnt war jedoch auch eine schöne Zeit! Es brachte das zum Vorschein, das der Krieg lange Zeit verschüttet hatte - das wunderbare Gefühl des »Miteinanders«, in der eigenen Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit. Kannst Du, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Gefühl nachvollziehen, wenn mehrere Laien etwas schaffen, das als Unmöglichkeit galt - und dennoch zu einem wunderbaren Ergebnis geführt hat?
Uns Kindern erging es nicht anders. Wir hatten nichts! Aber aus diesem Nichts brachte unsere Fantasie und Einbildungskraft so unendlich viel zum Vorschein, das man sich in der Gegenwart nicht mehr vorstellen kann,
Wir brauchten zur Kommunikation kein Smartphone, wir trafen uns nicht zum »Abhängen«, sondern brauchten unsere knapp bemessene Zeit für sinnvolle Aufgaben! Knapp bemessen deswegen, weil unser Vater entweder noch in Kriegsgefangenschaft war oder im schlimmsten Fall »für Führer, Volk und Vaterland« sein Leben auf dem »Felde der Ehre« gelassen hatte!
Wir schrieben noch Briefe - auf echtem Papier - und warteten dann sehnsüchtig auf Antwort! Etwas später trafen wir uns mit den Mädchen zum Tanzabend am Wochenende. Der Höllenlärm in den »Diskotheken« war uns fremd, es gab sie halt noch nicht! Ganz ehrlich: Sie haben uns auch noch nicht gefehlt! Lärm und Gefühl war damals noch etwas, das nicht zusammengehörte!
Und die Schulzeit? Nach den Hausarbeiten, die von den Lehrern aufgegeben wurden, war das Spielen am Nachmittag angesagt. Wir hatten noch die Möglichkeit in der Stadt, auf der Straße zu spielen! So manche beliebte Gemeinschaftsspiele fanden in Ermanglung von großen Spielplätzen eben auf der Straße statt. Man stelle sich das einmal vor, die Zufahrtsstraße zur Bundesstraße YX wäre von einem Haufen Kinder besetzt, die »Völkerball« spielen …
Rollschuhe wurden noch an den Schuhen angeschnallt, ebenso Schlittschuhe. Wenn wir bei uns Fußball spielten, hatten wir beileibe keine Fußballschuhe, von Turnschuhen bis zum Barfußspiel war da alles vertreten. Spaß hatten wir allemal. Ob Sommer oder Winter, ob Schnee oder Sonnenbrand, das Leben der Kinder war ohne die moderne Technik für uns Kinder lebenswert.
Bis - ja bis die modernen Geräte uns einholten, bis das Denken an einem Punkt angelangt war, an dem das große Schild angebracht war:
Kommentare (5)
Ja - lieber Syrdal, meist werden unsere Vergangenheitsgeschichten abgetan als Märchen aus uralter Zeit. Dabei vergessen diese Menschen, dass die "Märchen" für uns - heute alten Personen - zeitgemäße Wahrheiten waren, denen wir uns stellten (mussten), damit sie später überhaupt leben konnten!
Das ist kein »Besserwissen«, sondern natürliche Lebendigkeit in uns. Es ist kein Belehren, sondern um Verständnis bitten dafür, dass wir manchmal auch zurückschauen in die Unergründlichkeit des eigenen Lebens!
Was wären wir ohne unsere Vergangenheit? Seelenlose Gestalten im Nebel der Geschichte,
meint mit liebem Gruß
Horst
Lieber Horst,
hier hast Du wieder mal tief in meinen Erinnerungsschatz gegriffen, denn dazu fällt mir unser "erstes eigenes Zimmer" ein.
Es war im Sommer 1947, als wir an den Schutthalden im alten Steinbruch nach Scherben von buntem Porzellan und blumigen Tapetenresten suchten.
Unter Schlehen- und Holundersträuchern schufen wir kleine "Wohnungen", die mit herumliegenden Steinen und Brettern ausstaffiert wurden. Es entstanden kleine Tische und Bänkchen. Die Tapetenreste und Porzellanscherben wurden als Dekoration an Zweigen befestigt, ebenso das Foto von Helmis Papa in Uniform.
Daneben grub Hermine sogar ein Loch, das als Klo diente. 😄
Danke Horst, für diese lebendig gewordene Erinnerung.
Andrea
Der Winter 1947/48 war eisekalt.Jeder Junge musste ab und an
dafür sorgen das der Kanonenofen unsere Schulstunden wärmte.
Die Jungs klauten die Kohle, die vom Zug fiel. ( Kardinal Frings hatte
das ausdrücklich nicht als Sünde bezeichnet ) Wir wärmen und freuten
uns und am allermeisten de Jungs.
Danke heute noch diesen Jungen
Distel1fink7
@Distel1fink7
Jaja, genau, liebe Distelfink, an das Wort "FRINGSEN" kann auch ich mich gut erinnern, wußte jedoch noch nicht was es bedeutete.
Aber auch ich ging mit meiner Tante an den Bahndamm, um die von "besonderen" Männern herabgeworfenen Kohlen einzusammeln.
Himmel, was waren das noch für Zeiten!
Danke für die interessante Erinnerung.
Mit herzlichem Gruß,
Andrea
Lieber Horst, wie schmerzhaft richtig doch diese Worte sind:
„Wir waren fröhliche Kinder, wenn wir auch viel Leid erfahren hatten, nun aber wieder lachen konnten; wir waren gesunde Kinder, weil wir unser Dasein nicht mit ungesunden Nahrungsmitteln belasten mussten - weil sie nicht vorhanden waren. Wir waren lernbegierige Kinder…“
Mit Abendgruß
Syrdal