Kennst du meine Internetliebe?


Kennst du meine Internetliebe?

Jegliche Ähnlichkeit mit vorhandenen oder zukünftigen Personen ist rein zufällig.



Muss ich Euch erzählen.
Internetliebe? Das geht nicht so einfach wie man sich das vorstellt.
Das ist nicht so, wie wenn man in den Bus steigt, schaut einer netten Dame in die Augen und dann knallts. Also nicht jetzt ne Ohrfeige, das geht räumlich nicht, zuviel Distanz. So einfach mal ins gegnerische Auge linsen.
Das soll im Herze knallen. So richtig volles Pfund.

Es kann auch im Bus passieren oder in der Bahn, ich will es ja nicht abstreiten, da gibt es auch ganz nette Leute.
Aber ich denke dabei an das Internet, so an die „Kommunikationsportale“.
Also für die nicht eingeweihten normalen Bürger: Das sind Bereiche, wo sich jeder treffen kann, also internetmäßig, ich meine so virtuell.
Wie ein Telefon, nur schriftlich.

Ich weiß schon, telefonieren ist eine reine Frauendomäne. Das kenn ich von den Teenagern und von den großen Frauen. Man hat sich eben erst gesehen und schon muss man sich schnell anrufen um zu erfahren, was es in den vergangenen 5 Minuten alles Neues ergeben hat.

Männer sollen, so hab ich gelesen, im Durchschnitt 35 Sekunden telefonieren und damit alles gesagt haben. Hab ich gelesen.
Also müssen die schreibtauglicher sein.

Aber ich komme ganz vom Thema ab.
Was also bewirkt einen Menschen, so wie Du und ich in die Steinzeit zurückzufallen und anstatt zu reden nur noch zu schreiben?
Es ist schwierig für mich, wenn meine Stimmbänder klemmen und ich mich nicht so richtig artikulieren kann. Dann winke ich auch mit den Händen, Zeichensprache oder Grimassen.
Aber das geht im Chat und im Forum auch nicht. Da sieht man nicht mein Winken, mein Gejohle und meine Heiserkeit. Oder mein Lachen.

Ich gestehe, man findet auch Freude an dem Geschreibsel. Schaust du in manche Foren, pure Freude. Das ist wie bei manchen Nachbarn: man hat sich richtig lieb. Man tauscht Feinheiten in den Rezepten aus, warum der Ehemann das nu wiederum gar nicht essen will, warum kommt der immer noch nach Hause… kein Mensch weiß warum.

Oder in den Sportforen: so viele Trainer gibt das nicht im Fußball. Wenn das alles Trainer wären, dann würde niemand im Stadion sitzen, da hocken sie alle auf einer Bank. 20.000 Trainer…
Oder 50.000 Leute in einem Ferrari. Oder einem BMW. Oder dem Schwarz-Silbernen.

Bei den Kiddies bin ich schnell wieder abgehauen, da wird das Informationsbedürfnis eingeschränkt auf: Wie heißt du, woher kommst du, wie alt bist du, bist du w oder m.
Da baut sich nichts auf.

Oder in den Seniorenforen. Leute da geht’s aber ab. Nicht so wie man das denkt, wie ich das von meiner Oma kannte, schön ruhig, betulich, Tässchen Kaffee, Kekschen.
Die sind alle moderner und haben neue Alkalizellen: Naturacell oder wie das heißt. Und was die alles wissen, erschreckend, man kommt sich so richtig vor, als ob man von der Schule nichts mehr gespeichert hat.

Aber meine Internetliebe, die kann das alles. Ich bewundere sie.

Da gibt’s ja noch die Tschätts, die Sprechbereiche in die man nur schreiben kann. Das sind die Dinger, die ich mit Steinzeit bezeichnet habe.
Und in diesen Chats gibt’s solche Visitenkarten oder ganze Homepages oder die Verweise dort hin. Man sieht wie die Leute leben. Oder wie sie leben wollen, oder wie sie es sich vorstellen. Manche bestehen nur aus bunten Bildchen mit hin und herwackelnden Tierchen, Hunde, Katzen, Möwen, Kühe, Enten, Schweine, Pferde, alles kannst da finden. Delphine auch.
Und dann gibt’s die Supermänner, mit Waschbrett-Muskeln. Wenn du genau hinsiehst sind da eher Waschbär-Muskeln. Meine Internetliebe sagt: nirgends wird soviel gelogen wie in der virtuellen Welt.

Und wenn man in so einem virtuellen Raum ist, das ist die Temperatur wie bei dir zuhause, je nach Stimmungslage. Und die Stimmung kann auch anders sein.

„Hallo, ich bin neu.“
Diese Worte in so einem Raum schlagen voll ein.
„Hi, folks, geht’s euch gut?“ Das haut keinen vom Hocker, keine Regung, das zeugt von Insiderwissen.

„Hallo, ich bin neu.“ Volle Granate, Renate. Als ob du Aussätzig wärst. Glauben tut dir das niemand. Gleich wirst du angemacht, aber richtig heftig.
Erst mal liest du verdattert mit, was oder wer du eigentlich sein sollst, ob das mein vierter oder fünfter Nick wäre, und außerdem ich soll mein dummes Maul halten.
Wie soll ich das machen wenn ich gleichzeitig schreiben soll? Hab ja nichts gesagt.
Nun schlagen die selbsternannten Chatpolizisten und -Innen zu.
Man weiß auch schon genau wer ich wirklich bin und meine Daten lägen alle offen vor denen. Verdutz schau ich auf meinen Reißverschluss: alles in Ordnung, nichts ist offen gelegt.
Und wenn ich nicht verschwinde, würde man mir einen Virus schicken.
Du flüchtest mehr oder weniger schnell in einen anderen Raum.
„Was willst du hier, du störst, kannst nicht wo anders hingehen?“

Das waren die ersten 5 Minuten in einem virtuellen Chat.
Heftig, aber irgendwie herzlich, wie man sich um mich gekümmert hat.
„Erfahrene Chatter werden Dich gerne beraten, wenn Du Dich als Neuling zu erkennen gibst und um Hilfe bittest.“
Vielleicht hätte ich um Hilfe betteln sollen.

Nur meine Internetliebe hat das nicht gemacht. Die schaut mich an, lächelt und ist ganz friedlich. Und lieb.
Die Lady, oben rechts, die meine ich, von dem ed-Magazin. Von der Werbung. Lilly Pharma heißt sie glaube ich. Aber ob das stimmt?
Ich glaube nichts mehr.
Aber lieben tu ich sie trotzdem.


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