"Karpfen blau"
"Mach' doch einfach Kartoffelsalat mit Würstchen" hatte ihr Mann gesagt. Und das für ein Weihnachtsessen, dachte die junge und relativ unerfahrene Hausfrau und beschloss, dass es "Karpfen blau" geben sollte so wie bei ihrer Freundin, die aus Königsberg war. Karpfen blau, das klingt so schön nach Günter Grass, nach Butt, nach Salz und Meer, sagte sie und ihr Entschluss stand fest.
Trotz fehlender Erfahrung mit ganzen Fischen, wurde ein großer Karpfen mit Augen, Schuppen, Gräten und Schwanz beim Fischhändler erstanden.
In Weinsud mit Kräutern garte er an Heiligabend in der Küche so vor sich hin, während die Tischgesellschaft vor der dampfenden Suppe saß.
Das vierjährige Kind schwatzte mit dem Großvater und dem alten Nachbarn und lachte wie immer, als sein Vater wieder einmal den Schrei eines Truthahns lebensecht nachahmte. Die Hausfrau freute sich, dass alle so friedlich zusammen waren.
Da ließ ein dumpfes Geräusch sie alle erschrocken zusammenfahren. Die Frage "Was war denn d...?"- wurde von einem Zischen und Kreischen aus der Küche übertönt. Als die Frau zum Herd rannte, fiel sie fast über die in Panik herausstürzenden, schreienden und fauchenden Katzen.
Auf dem Gasherd lag die Kasserole aus Jena-Glas in zwei saubere Hälften zerplatzt, Fischsud mit Petersilie und Gewürzen überall. Der Karpfen hatte sich durch den Kontakt mit der offenen Gasflamme selbst entgrätet. Fischfetzen klebten an der Wand, lagen auf Herdplatten, Fußboden, Stühlen und Tisch und sogar die Zimmerdecke hatte etwas davon abbekommen. Der Kopf des Karpfens mit den trüben Augen war noch durch die Hauptgräte mit den Schwanzflossen verbunden, was erschreckend und traurig aussah.
Ich habs doch gesagt, mach' Kartoffelsalat mit Würstchen aber Salzkartoffeln ohne Karpfen geht auch, hörte sie hinter sich ihren Mann sagen.
Es wurde doch noch ein schöner Abend, denn Salzkartoffeln mit viel Butter schmecken nicht schlecht.
Karpfen blau gab es nie wieder, nicht ganz und nicht in Stücken.
Ella, Dezember ©2018
Foto: Salzkartoffeln ohne Karpfen, E.Z.privat
Kommentare (4)
@ Syrdal
Danke für den schönen Reim auf meinen "Karpfen blau". Wenn der mit Essig traktierte arme Fisch nicht explodiert wäre, würde er sich sicher auch freuen
Ella, die unnachahmliche Erzählerin mit dem reichlichen häuslichen Erfahrungsschatz!
Wären doch mehr von ihren Anekdoten hier als Blogs zu lesen. Man kann auch aus Elend oft noch das Positive herausklauben, in der Erinnerung sowieso. Sollten doch alle im ST von dem Gedanken beseelt sein, dass der rückschauende Augenblick und die Bewegung darin zählt. Nur das schafft uns die Freiheit, auch mit Sichten aus der Literatur umzugehen.
Eine frohe 2. Adventswoche
Manfred
@ Manfred
Danke für die Lorbeeren (passt zu Fisch) und für die Ermutigung zur "Erinnerungsarbeit". So lange man mir nachsieht, dass ich nicht reime, kann gelegentlich Fortsetzung folgen.
Dir wünsche ich ebenfalls eine schöne Zeit im angeblich beschaulichen Advent -
Und die Moral von der Geschicht:
Wende den Blick vom Karpfen nicht,
selbst wenn er schon im Kochtopf schwimmt –
wer weiß, ob er nicht Ausreiß nimmt,
denn eines weiß man doch genau:
kein Karpfen mag es essigblau!
Nur der Koch, der stets aufmerksam,
den Karpfen blau sevieren kann.
Guten Appetit wünscht
Syrdal