Im Feuer der Psalmen

Autor: ehemaliges Mitglied

>.... Bibliothek im Gewölbe oberhalb der Kirche:


Stephanus Reyntjes-Vorberg:


"Im Feuer der Psalmen des Herrn"

Oder

Wenn dem Chorgeist die Luft wegbleibt



Vorn in der funkelnd durchglühten Apsis, die herrliche Vorbereitung:

Ein großer Chor stellt sich auf.

Schöne Gestalten, liebliche Körper mit weltberühmte Stimmen. Perlende Choräle fließen von sanften Lippen. Frauen in langen, schwarzen Röcken und weißen, bis zur Hüfte fallenden Chorhemden mit pludrigen Rochett-Ärmeln. "Groß sind die Siege des Herrn."

Werden sie vom weißhaarigen Mann dirigiert:
"Und jetzt aber besser, weicher, intonabler.
So, wie, so - ja: züngelnder, flammabler! Ist doch Pfingsten! - Herrlich-herzlicher: Der Bischof soll erbeben, wenn wir diesen Psalm intonieren:

"Heil, David, Heil,
Der die Philister schlug!
Strahlender du des Herrn!
Leuchtender heller dein Stern
des strahlenden Feuers.
Tausend Saul erschlug,
Aber zehntausend David!"


Zwischen den sich rhythmisch wiegenden Sängerinnen kriecht her und hin ein flinker Knirps. "Kleiner Geist, du, Kevin! Darfst mit, wenn du lieb bist!" "Zur Kirche? Äh!" - "Da fahrn wir nachher ins Park-Resto zu Paps…!"
"Yeah! - Wow!"

Keine Sängerin nimmt Notiz von ihm.

Hier tut sich ihm ein Gasse auf, dort schließt sich wieder die Reihe. Das Kerlchen ist gerade hindurchgehuscht. Unterm Gesang findet es Platz. Es rudert mit den Armen, brummbrumm. Umkreist die Frauen, die hehre singen und ihre Oberkörper wiegen, ihre Köpfe. „Groß sind die Siege des Herrn. Hallelluja!“

Zwei gebrochene Laiber Brot liegen auf einer Stufe, im Leinenweiß. Milch im Becher daneben.
Da setzt es sich hin, holt Zündhölzer aus seinem Jäckchen, schlägt ein Feuerchen, das rasch, unbemerkt vom Kantor und seinen Frauen, hochschlägt, die Kleider und die Leiber erfaßt, alles verbrennen will.
Die Flammen ziehen hoch, als wollten sie in den Himmel aufsteigen. Fensterscheiben platzen, Altar, Gestühl, Kanzel knacken, knarren, stöhnen ob der Hitze.

Die Kirche der Augustiner-Chorherren wird im vorderen Teil von glühend brünstig steigenden Flammen, einem Heer von stichelnden Zungen, niedergemacht.

Chor, Altarraum, Kanzel, die feste Burg, brennen nieder, bevor noch die Feuerwehrhauptleute Feuer rufen können. Das Langhaus des einschiffig himmelhohen Kirchenraumes glüht platzend und berstend aus, versinkt in brodelnd-stiebender Funkenasche, Stunde für Stunde.

Nachbrunst vollzieht sich in Geprassel pfingstlichen Züngelns. Stille dann.

Die zum abenddunklen Westen gelegene Orgelempore ist unversehrt geblieben, schwarz verblockt; die Mauern klaffend, ungeschützt vor Wind und Wetter und den Objektiven aller herangeschafften Kameras, der verstörte Kirchenraum wund und bloß.
Bis fleißige Menschen aus den umliegenden Dörfern und Bauernhöfen kommen und nehmen auf die Arbeit, die betenden Mühen. Sie planen, zeichnen, sägen, mauern, hämmern, schütten Beton, setzen brandrote, heimische Klinker; ziehen geborstene Stützpfeiler hoch und rüsten das Dach ein, setzen Blitzableiter. Die erhalten gebliebene Kirche mit Portal und Orgelwerk auf der Empore wird rekonstruiert und gereinigt; Etagen, Treppenhäuser, Feuerlöscher mit Polyäthyl-Irgendwas ziehen ein. Menschlein steigen schweigend in die kleine Wohnburg, die Kirchenfeste: Alte, Berber, Arbeitslose, Obdachlose und Psychotiker - Querulanten; ein gemischtes Völkchen besiedelt den Kirchenruine.
Die Menschen verstummen noch am ersten Tag, sagen aber ihren Kindern: Wir müssen froh sein. Hier wohnen zu dürfen!

Ein Mädchen in rotstoppligem Haar begibt sich in der sonnig-stillen Mittagsstunde des Sommertags drauf zur Suche nach einem Spielfreund. Gelangt über Treppen, Stiegen, Galerien, unverschlossene Türchen, verschnörkelte Wendelgitter, durch einen staubig verspinnwebten Kriechgang in einen unter dem Dach eingerichteten Kuppelraum.
Als sie am Abend, nach ruhigem Schlaf, schreiend hier oben erwacht und sich im Dunkel nicht mehr hinuntertraut, wird sie spät bis in den letzten Dämmerminuten gesucht.

Geduckt, aus Äuglein lauernd betritt, mutig suchend, die Mutter des Mädchens den Raum. Sie richtet sich auf, ihr Kind stürzt ihr entgegen, es drängen die Nachfolgenden hinauf.
Scheu treten sieein, schauen sich um.
Und finden den Raum leer und öd.

In diesem Augenblick, erzählen sie sich später bei Bier und Prasselgebet, fallen vom Kreuzgewölbe die an langen Sehnen hängenden Ohrlappen herab.

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Kommentare (3)

ehemaliges Mitglied Ja, es ist eine fast groteske Traumgeschichte...

Dass nach der Rettung in den Turm hinein, der zum Wohnen hergerichtet wurde, die Lauscherohren abfielen, zeigt mir, dass die Überwachung in diesem religiösen System, die die Menschen lähmte und zu Kunstprodukten macht - zu Ende ging.

Die Menschen haben sich befreit, nicht nach einer Weltuntergangsflut; aber nach einem
religiösen Feuer, nach einer eigenartigen Revolution, deren Chancen die Menschlein nutzten...
Medea das ist ja eine grausliche Geschichte an heiligem Ort. Wessen Ohrlappen fallen herab .....?
Da schlägt meine Fantasie Purzelbäume.

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