Nach Lothars Einsätzen an PCs und Druckern rief ihn plötzlich eine Kollegin an, um mitzuteilen, dass es ihr nicht gut ginge und sie bat deshalb nach Hause gehen zu dürfen. Zwar war Lothar überhaupt nicht berechtigt, jemanden nach Hause zu schicken, weil aber kein Chef anwesend war, übernahm er die Verantwortung und gab ihr frei.
Leider stellte sich kurz darauf heraus, dass es für die betreffende Kollegin zum nach Hause gehen schon zu spät war, denn sie war gerade ohnmächtig geworden, was Lothar sofort gemeldet wurde, da er einer der wenigen Mitarbeiter war, die die Sonderrufnummern 110 und 112 wählen konnten und durften. Deshalb rief er die Feuerwehr an und eilte danach zu der Ohnmächtigen. Bis zum Eintreffen der Feuerwehr musste die kollabierte Kollegin auf dem Fußboden ihres Zimmers liegengelassen werden, was in diesem Fall das Beste war. Nachdem er ihre Beine hochgelegt hatte, wie er es einst gelernt hatte, kam sie bald wieder zu sich. Nach all den Jahren nützte ihm tatsächlich noch seine Ausbildung als Gesundheitshelfer. In der Regionalstelle gab es keinen sogenannten Ersthelfer, obwohl es Pflicht war.
Als Lothar mit der Kollegin allein war, da die anderen essen oder rauchen gegangen waren, begann sie plötzlich an ihrem Rücken zu nesteln. Nach einer Weile gab sie auf und sagte matt: „Mich drückt etwas in den Rücken. Kannst du mal nachsehen, was das ist.“
Lothar verstand, dass sie in dieser Stellung mit hochgelagerten Beinen nicht an ihren Rücken herankam, aber es war ihm schon ein bisschen komisch zumute, als er versuchte ihren Wunsch zu erfüllen. Er beugte sich über sie und fühlte, dass sie genau auf einer harten, eckigen Kupplung lag, die zwei Kabel miteinander verband. Nachdem er es nicht schaffte, das Kabel von der Seite unter ihr wegzuziehen, musste er mit einer Hand ihren Rücken anheben, um mit der andern Hand das Kabel zu entfernen. Just in dem Moment, als er auf seine Ellenbogen gestützt quasi auf ihr lag, ging die Tür auf und der Regionalleiter trat ins Zimmer. Er blieb erschrocken stehen, um dann entsetzt zu fragen: „Was ist denn hier los? Was machen Sie da?“

Lothar konnte nicht mehr antworten, denn genau in diesem Moment trafen die Rettungssanitäter der Feuerwehr ein und beschlossen nach kur­zer Untersuchung, die kollabierte Kollegin zu einer gründlichen Kontrolle ins nächste Krankenhaus zu bringen. Dazu setzten sie sie auf einen Bürostuhl, um sie bis zur Treppe zu rollen. Einer der Rettungssanitäter schob sie ziemlich schnell vor sich her, aber an der Stelle, wo die Brandschutztür war, gab es eine Querleiste aus Aluminium, die den Stuhl abrupt stoppte, wodurch die transportierte Kollegin in hohem Bogen auf den Fußboden geschleudert wurde. Als sie auf der eilends geholten Trage lag, hatte sie eine blutende Nase und Schmerzen in beiden Armen und Handgelenken. Sie wurde nun liegend zum Krankenwagen gebracht. Für die nächste Woche würde sie wohl außer Gefecht gesetzt sein, wobei später Streit darüber entbrannte, ob es sich bei dem Sturz um einen Betriebsunfall handelte oder nicht.

Aus dem Buch "Er war stets bemüht" von Wilfried Hildebrandt


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Kommentare (2)

Lenova46

Der Textauszug sagt mir zu.

Nebenbei bemerkt: so etwas kommt tatsächlich vor.

Wilfried

Liebe Lenova46,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich natürlich, dass dir der Beitrag gefallen hat.
Das Beschriebene ist tatsächlich vorgekommen. Etwa 90 % der in dem genannten Buch geschilderten Ereignisse sind authentisch, nur hin und wieder habe ich etwas hinzugedichtet oder weggelassen, um es auf den Punkt zu bringen.
Während ich in meinen ersten drei Büchern überwiegend von wahren Ereignissen erzähle, bin ich dann ab Buch 4 davon abgegangen und zum Schreiben von Romanen übergegangen. Das heißt aber nicht, dass meine neueren Bücher keine autobiografischen Elemente enthalten.
Viele Grüße
Wilfried


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