Hoffeste im "roten Wedding Berlin"1950 - 1955
Am Festtag gab es ein großes Gewusel, der Hof wurde geschmückt, ein provisorischer Grill aufgebaut, Tische und Stühle nach draußen geschleppt, “wann is n 5 ?” Endlich, die Stimme von Onkel Pelle, es gab kein Halten mehr. Wir stürmten den Hof, blieben andächtig stehen, alles war so schön geschmückt, “kiek mal, soville Essen!” Es roch nach Würstchen, Kuchen, sauren Gurken, wie Weihnachten im Freien. Onkel Pelle warf händevoll Bonbons, und wir stürzten uns drauf. Dann setzen wir uns barfuß auf den Boden und lauschten, einige Nachbarn hatten alte Instrumente und spielten erstmal für uns und die Gäste aus den anderen Häusern das Lied von der Krummen Lanke:
“Und denn saß ick mit de Emma uff de Banke.
Die Orgel, ach die hat so schön jetönt,
wir dachten beede an die Krumme Lanke,
Und die janzen vielen Tanten ham jeween…”
Wir alle sangen aus voller Kehle mit und so manche Träne is jeflossen. Dann begann das Programm, mein Vater als Besitzer des einzigen Tante Emma Ladens hielt eine Rede im Berliner Jargon. “ Kiek ma, Vater hat jute Laune!” "Na klar manne, der will ja neue Kunden habn, die bei ihm koofen!" Nach einem reichlichen Schmausen, wir stopften alles in uns rein, bis uns fast schlecht war und vor lauter Lachen bekamen wir Bauchweh . Es gab Wettspiele, Würstchen schnappen, Rätsel raten und zwischendurch "ooch mal eine Maulschelle", wenn wir es zu arg trieben. Um 20 Uhr wurden alle Kinder ins Bett geschickt, denn nun begann für die Erwachsenen das tanzen und der Alkohol floss in Strömen. Wir wohnten Parterre und konnten noch lange unsere “Neesen” am Fenster platt drücken und die Erwachsenen sehen, wie sie tanzten, torkelten und johlten, bis wir trotz der Lautstärke müde, erschöpft und glücklich einschliefen.
Kommentare (6)
@Komet
Liebe Ruth, solche Feste waren damal Sternstunden im grauen Alltag von Berlin. Die Menschen waren erschöpft und arm. Aber für so einen besonderen Tag erwachten sie zu neuem Leben und gaben alles. Für uns Kinder war es wie ein Traum, wir durften essen, soviel wir wollten und die Erwachsenen lachten, sangen und trieben ihre Späße mit uns.
Liebe Malina,
da macht sich ja direkt eine "Sehnsucht" breit, in der "Krummen Lanke" hammer schon gebadet...Du hast es uns Lesern ganz wunderbar "erleben" lassen. Dann kennst Du sicher auch noch die
"Laubenpieper"? Und natürlich " olle Bolle"?....der zu Pfingsten reiste?
Dieses Erlebnis ist eben so schön, wie Deine Erlebnisse mit "Marie"
(5 Wörter)
mit Freude gelesen
herzlichst 🐞-ladybird
@ladybird
Danke für deinen lieben Kommentar, ja, als Urberlinerin kenne ich die ganzen Gassenhauer und an diesem Tag wurde noch viel gesungen. Das war im damaligen grauen und trostlosen Berlin eine Sternstunde, an der viele Menschen tatkräftig mitgewirkt haben. Und für uns Kinder war es Freiheit, sich satt essen und sich über die strengen Erwachsenen lustigmachen,
Liebe Andrea, je mehr ich schreibe, um so mehr Erinnerungen werden wach. Diese Sternstunden in dem armen und kaputten Berlin ließen für einige Zeit die Trostlosigkeit vergessen. Die Erwachsenen erwachten wie aus tiefem Schlaf und gaben ihr Bestes zum Gelingen des Festes. In der Woche darauf gab es in den Familien nur Schalzstullen, da alle Vorräte und das wenige Geld aufgebraucht waren.
Lieben Gruß, Malina
Liebe Malina,
Eine tolle Erinnerung, vor allem auch mit Berliner Dialekt. Der mischt Deine Geschichte noch zusätzlich auf. Kommt mir vor, wie "Zille sein Milljö".
Auch das Foto ist super. Und dann och mit de Emma uff de Banke...
Jesses, und das alles in der noch halb zerstörten Umgebung von Berlin.
Was waren das für Zeiten. Heute nicht mehr vorstellbar.
Danke für die nette Erinnerungsgeschichte und liebe Grüße von
Andrea
Liebe Malina,
herrlich Dein Bericht. Ich habe es gern gelesen und mich an viele Dinge erinnert.
Herzliche Grüße
Ruth/Komet