Für die letzten Tage des alten und die kommenden Tage des neuen Jahres (Fortsetzungen)



















[b][size=14]Ein kleiner Winterkalender[/size]
[/b]
[b][i][color=red]Ich werde den BLOG über unsere zweitägig-beschränkte Weihnachtszeit, über Silvester und Neujahr bis über den "6. Januar", der "Epiphanie", dem Weihnachtsfest der Orthodoxen, fortsetzen... - Friedensvorstellungen, ob für den Einzelmensch und Völker oder die vielfältige Natur und unseren einmaligen Globus - können nicht zeitlich begrenzt gelten, sozusagen saisonal...[/color][/i]
[/b]


[color=teal]Keine zweck-weihnachtliche, aber eine normal winterliche Metapher: Eiszeit zwischen Weib und Mann...?
[/color]

[b][color=teal]Ursula Krechel
[i]Aufs Eis[/color][/i]
[/b]
[b][color=navy]Ich ging aufs Eis mit bloßen blauen Zehen
wollt eine Lanze brechen
für dich traurigen Ritter
im kalten Hauch. Doch unversehens
ist der Stab über dir gebrochen bin ich
eingesunken nicht ertrunken
der halbe Leib erfror.
Ein Eichelhäher pfiff.[/color] [/b]

*


[color=purple]Wer sich über diese Liebeswerbung in eisigen Zeiten oder den Versuch, einen Ritter, den sein Pegasus davon getragen hat über brüchig-dünnes Eis, informieren will:
[/color]

[url=http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/886709]Interpretation zu "Aufs Eis"[/url]


Das Eishöhlen-Bild aus „Der Heilige Berg“ - dem Film von Arnold Fanck.
Zwei Freunde verlieben sich in die Tänzerin Diotima. Einer träumt sich im Tod des Erfrierens hinein in eine Hochzeit, bis vor den Eis-Altar: Erlösungssehnsucht… - künstlerisch, statt religiös gestaltet.

[i][b]Im Gedicht der Ursula Krechel sind keine religiösen Assoziationen eingebunden, sondern unsere alltäglichen.

Insofern ist das Bild der Eiskathedrale nur durch die eigenen innere Wunschwelt des Künstlerischen oder
Glaubensmäßigen oder eines anderen, gemeinschaftlichen Erlebnisses als Extremaufgabe zu rechtfertigen...[/b][/i]


* ~ *


[b][color=purple][size=14]Traumbild deutscher Seligkeit:[/size]
[/color][/b]


[img]http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/bildende_kunst/weihnachten/stille_nacht/Zink_Traum__800x1499_.jpg[/img]



[b]Als Gegensatz ein alt-deutsches Winterlied, das volksliedartig die Gefühle der Ausgeschlossenen, der Erstarrten, Erkälteten, der Kalt-Gewordenen, der Eis- und Einsamen, der Nicht-Geschützten vermittelte.

Und das kein Kirchenlied wurde, weil das Hoffnungsgedöns nicht vermittelt werden konnte. Zäh und real udn unprivilegiert das Leben der Nicht-Gesicherten. ABer es gb immer Dichter, die solches beschrieben, auch weil es ihr eigenes Geschick war.

[/b]


[b][color=blue]Winterlied

Es ist ein Schnee gefallen
Und ist es doch nit Zeit,
Man wirft mich mit den Ballen,
Der Weg ist mir verschneit.

Mein Haus hat keinen Giebel,
Es ist mir worden alt,
Zerbrochen sind die Riegel,
Mein Stüblein ist mir kalt.

Ach Lieb, laß dich's erbarmen
Daß ich so elend bin,
Und schleuß mich in dein Arme!
So fährt der Winter hin.
[/color][/b]
*
[i]Die Volksliedstrophen stammen aus dem Umkreis der anonym überlieferten deutschen Volksdichtungen de späten Mittelalters und ist nach einer Handschrift von 1467 in viele Anthologien aufgenommen worden.
Mörike schickte es am an seinen Freund Bauer mit dem Zusatz „nit so in Orplid, mei Ludewig!“.
[/i]


* ~ *


ICH WERDE DIE VORWEIHNACHTSSAMMLUNG FORTSETZEN MIT GEDICHTEN UND PERSONENPORTRÄTS; VORNEHMLICH VON (fast) VERGESSENEN AUTOREN:

Ein erschütterndes Zeugnis als Erinnerung an die schwerste Zeit der Deutschen und aller Mitteleuropäer im vorigen Jahrhundert: [color=black][font=helvetica]W e i h n a c h t e n 1945[/font][/color]


Ein Text von E R N S T W I E C H E R T , dem Spezialisten für die "Dritte Reich"- und Nachkriegszeit; einem Widerstandskämpfer, einer, der Nazizeit und das KZ Buchenwald überlebte und nach seiner Befreiung viel Widerstand erfuhr von den Deutschen, die nichts von Schuld, von Reue, nichts von Veränderungen wissen wollten.


[b]Ernst Wiechert:
[i]WEIHNACHTSANSPRACHE AN DIE DEUTSCHE JUGEND
[/i]
Es werden nun um diese Weihnachtszeit viele Tausende von der deutschen Jugend auf den Landstraßen sein, weil sie keinen Raum haben in den Städten der Menschen und der Arbeit. Vielleicht werden sie in den Jugendherbergen sitzen, ein fahrendes Volk, und der Herbergsvater, wird ihnen eine kleine Tanne aufstellen. Vielleicht werden sie an den abendlichen Waldrändern stehen, über den weißen Ebenen, und sich mit einer kalten Bitterkeit der Hirten erinnern, die auf den Feldern waren. Und vielleicht werden sie dem Geschlecht fluchen, das den Krieg verloren und seine Kinder ausgestoßen hat aus Besitz und Arbeit, daß sie wie junge Wölfe in das Elend gehen müssen.

Aber um diese Weihnachtszeit, wenn der Stern des Adventes wieder aufsteigt über unserm Alltagsland, sollen sie wissen, daß wir, die wir vielleicht in der Sicherheit leben, ihrer nicht vergessen haben. Daß wir, wenn wir am abendlichen Fenster stehen, nicht von der Sattheit unseres Lebens träumen, oder von seinem Glück, oder von seinen Schätzen, sondern daß unsere Augen hinausgehen bis zu ihren Landstraßen und zu ihren gebeugten Stirnen, zu ihren zerrissenen Schuhen und der Bitterkeit ihrer Herzen. Du junge und bittere Jugend«, werden wir sagen, »es ist nicht wahr, daß ein Abgrund ohne Brücken zwischen ist. Ja, wir wuchsen im Frieden auf, aus dem Kinderland in die Schule, aus der Schule in das Amt, aus dem Amt in die Ehe, und aus der Ehe in... euch. Aber auch unsere Jugend hatte die echolosen Wälder, durch die sie tastete, die rötlichen Nebel ihrer Frühe und die schweigenden Dämmerungen ihrer Knabenabende. Auch wir kannten das Unrecht, die Kerker der Seele und das Schreiten des Schicksals, die Opferfrage »Wo hinaus?« Auch wir waren im Elend, vier Jahre lang, an den Waldrändern über den weißen Ebenen, und unsere bitteren Lippen schmeckten Erde und Tod. Und haben eure Mütter euch nicht mit Schmerzen geboren wie uns die unsrigen?
Glaubt mir, das Gesetz der Erde ist nicht zerbrochen, Rechnet den Menschen nicht an, was aller Schicksal ist: den Hunger und das Leid, den Irrtum und den Tod. Wir hatten den Acker statt der Landstraße, den Besitz statt der Armut, die Lampe statt der Sterne. Aber fiel euch nicht ein großes Schicksal zu? Das einer neuen Tapferkeit und einer neuen Geduld? Eine neue Erde wird geboren, mit Schmerzen, wie alles Geborenwerden. Und sie wartet nicht auf uns, sondern auf euch. Immer war es unser Los, die Brücke zu bauen. aber immer war es das eurige, über diese Brücke hinauszuschreiten nach den neuen Ufern.
Noch ist der Haß zwischen den Ufern und das Elend und der Tod. Nehmt dieses unser Erbe nicht an! Habt die Menschen lieb und löscht das Kainsmal aus von unserer Stirn. Nie war ein anderes Salz der Erde außer der Jugend. Seht, daß das Salz nicht dumpf werde, denn dann, dann erst zerbricht die Welt.

- Und bedenkt auf euren Elendswegen, daß das Licht der Welt von einem Kinde ausging und daß sein Weg die Passion hieß. Und sollte euer Auge im Schnee eurer Wälder auf eine weiße Blüte fallen, die die Christrose heißt, so beugt euch nieder zu dem Wunder der Blüte, die aus den, Frost der Erde steigt: das Zeichen des neuen Bundes, den ihr mit einem neuen Gott schließen sollt.

[/b]~ *
[i][color=navy](Vor Weihnachten 1945 geschrieben; ungedruckt geblieben, ohne genaues Datum überliefert: aus: E.W.: Sämtliche Werke. Bd.10.1957. S. 33ff. - Es ist die bekannt pathetische, beeindruckend sentimentale Sprache Wiecherts. Seine Aussagen bleiben allgemein; sie sind streng moralisch intendiert; sie sind nicht politisch zentriert. - Jeder Leser, jede Leserin muss sie sich - besonders nach sechzig Jahren seit der Niederschrift selber erschließen.

[b]- Solche Texte stehen in keinen Wellness-Weihnachts-Anthologien, in den auch für den Geschmack des Trink- und Speisebedarfs mit extravaganten Prozenten, mit edlem Gemüsen, kostbaren Lebensmittel und feinem Tafelgerät gesorgt wird, so dass ein [font=courier]Weihnachtsbuch-User[/font] seinen guten Geschmack erproben kann, mit dem er sich selber ins feine Weihnachtsgelichter rücken und für das Lob der selbstzufriedenen Mittafler vorbereiten mag.)
[/b][/color][/i]


* ~ *

[color=teal][b]Nicht nur für Räucherkerzchen, für Rauch-Engelein - auch für Orignal- Werberaucher und Ewigraucher (so lange die Koronargefäße immer wiede repariert eerden....):[/b]
[/color]


"Raucher! Wir folgen dir!

"Raucher! Wir folgen dir!"

Herr EXitus-Schmidt könnte sich mal selber "psychologisieren"; da käme zwar nix bei herum; weil er es betreiben würde, wie das Vergiften seiner Koronar-Gefäße oder wie das Vertribung vonGefühlen und Verantawortung - oder wie Hunde-Dressur.

Aber solches Dreist-Führertum braucht "Deutschland i. A." (Germania ... in Armut) zur Zeit.

Billionen € für die Privatgeschäfte von Spekulanten, die die vom ihm konstruierte "Gesellschaft" finanzieren soll.

Das ist nach Schmidt die Verantwortungsgemeinschaft.

Hochzeit für die fällig Krippenzeit, für die psychische Ver-Krüpplung :

Schmidt hat es mit keinem Gedanken, keinem Wort, keiner "Zigarette" geschafft, den Krüppelszustand seiner Ex-SPD zu analysieren; aber auch das braucht er nicht, wenn ihm nicht die ärztliche Diagnose gesetellt wird:

Das fällt ihm bei der Euphorisierung seines Großhirns nicht auf.

Das würde - pardon: muss - er als Psychologisieren ablehnen..:

Nicotin wirkt für den Raucher stimmungshebend im Bereich des Großhirns. Dies führt zu einer psychischen Abhängigkeit nicht nur von der Rauchgewohnheit (als bedingtem Reflex), sondern vom Nicotin selbst.

Alkaloide wie Nicotin greifen in die Endorphinmechanismen des Gehirns ein. Diese Ersatz-Endorphine haben einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden besonders des männlich sich gerierenden und "weiblich" symbiotisch paradierten Menschen, da besteht nicht nur Gefahr der Abhängigkeit; sondern sie wird schon demonstriert. - Und alles weil die Herrschaften sich bei den Jugendlichen und anderen geistig Nicht-Selbständigen so erfolg-, so segensreich - achja: erzieherisch - gebärden wollen. - "Raucher! Wir folgen dir!"

Webung kann die ZEIT mit einem solchen erleuchtenden Krankheitszustand nicht sehr lange machen. - Das ist so überheblich und geht so schnell vorbei wie die Rechtschreibreform-Hysterie als PR-Jonglage bei WELT, FAZ und BILD.

[b][color=red]"Chor"
(aus „Germanus an die rauchenden Kinder“):

Horchet! – Durch die Nacht, ihr Brüder,
Schmauchen-Unser kommt hernieder?
Stehst du auf, Germanen-Rüder?
Ist der Tag der Brache da?[/color][/b]

(Nachzuprüfen an Kleists ebenfalls stilistisch edlen Wähnungen:

http://www.zgedichte.de/g...

Soweit zu dem blauen Dunst, der in dieser Weihnachtszeit als Werbung-Nebel der ZEIT so penetrant verbreitet wird, wie früher nur mit Weihrauch in Kirchen (besonders vorzüglich und menschenverstörend in Pontifikalämtern der Hohen Feiertage. - Schmidt ersetzt glänzend-eigenvernebelnd drei solcher Würdenträger in Solo-Präsentation.)


[i]Vgl. "13 Zigaretten" - einschließlich Kommentare:[/i]

http://www.zeit.de/2008/52/Redaktionsalltag

*

Es gibt nichts am Nico, das nicht als -tin und Teer daherkommt. -Vor de Finalzeit setzt jahrelanges Verdämmern ein; Lust und Wonne für das billig bezahlte Pflegepersonal.



* ~ *

[b]Zum 4. Advent:
[/b]
Eine Kurzgeschichte von Andrej Kurkow:

Ein Podcast:

Lesezeichen 12: “Weihnachtsüberraschung”

[url=http://www.mein-lesezeichen.ch/media/Lesezeichen_12.mp3]Podcast "'Weihnachtsüberraschung' ... in der Ukraine"[/url]

~ * ~

Weihnachtsgediche, über viele schwere Zeiten hinweg:
Aus der Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" (1808):

Bert Brecht hat eine Akutalisierung zusammen mit anderen Liedern für sein Drama "Mutter Courage und ihre Kinder" (1939) geschrieben.
Die Courage singt das "Wiegenlied" in der 11. Szene des Stücks neben der Leiche ihrer toten, stummen Tochter Katrin.
Es ist ein Lied bitterster Trauer, in dem Hunger und Elend der Zivilbevölkerung im Krieg aufgerufen werden.

[b]Eia popeia
Was raschelt im Stroh?
Nachbars Bälg greinen
Und meine sind froh.
Nachbars gehn in Lumpen
Und du gehst in Seid
Ausn Rock von einem Engel
Umgearbeit'.


Nachbars han kein Brocken
Und du kriegst eine Tort
Ist sie dir zu trocken
Dann sag nur ein Wort.
Eia popeia
Was raschelt im Stroh?
Der eine liegt in Polen
Der andre ist werweißwo.
[/b]
*
[i](Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000)
[/i]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/893277

* ~ *

[b][color=teal]Erich Fried:
[i]Weihnachtslied[/color]
[/i]
Eine Streu von Stroh
Eine Wand von Wind
Eine Woge als Wiege
Ein Kind

Ein Schwamm voll Essig
Eine Kammer voll Gas
Eine Waage am Wege
Eine Grube im Gras

Eine Gasse voll Dirnen
Eine Gosse voll Wut
Eine Stirne voll Dornen
Eine Mutter voll Blut

Eine Streu von Stroh
Eine Wand von Wind
Eine Woge als Wiege
Ein Kind [/b]

*
(E.F.. Gesammelte Werke. Bd. 1. Gedichte. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 1993; (c) Claassen Verlag.

Interpretierende Gedanken unter:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/893276

~ * ~


Hugo H a r t u n g (1902 - 1972) ist fast völlig ins literarische Abseits gerutscht.

Er schrieb ansprechende, intelligente Unterhaltung; erhielt 1936 Schreibverbot; sein größter Erfolg war "Ich denke oft an Piroschka" (1954).Sein wichtigster Roman wurde - auch wegen der Verfilmung - "Wir Wunderkinder" (1957), unvergesslich...
Der Polizeibericht bestand nur aus wenigen Zeilen und war völlig uninteressant:


[b]Hugo Hartung:
[/b]

"Der vermisste und von der Polizei gesuchte fünfjährige Dieter G. konnte wohlbehalten in einem Gehöft, zwölf Kilometer von der Stadt entfernt, gefunden werden. Unverständlicherweise machte die Frau, die das verirrte Kind aufgenommen hatte, den Behörden erst nach drei Tagen Meldung."

Eine Zeitung hatte den Bericht tadelnd überschrieben: "Sträfliches Verhalten bei Kindesauffindung". Im Übrigen schien die Angelegenheit zu belanglos, als dass ihretwegen Reporter bemüht oder Photos in die Zeitung aufgenommen wurden. Dennoch möchte ich von ihr erzählen, weil ich meine, dass sie mit dem Polizeibericht noch nicht zu Ende ist.
Dieter stand an einem Dezemberabend im dunklen Zimmer der Parterrewohnung seiner Mutter und sah den milchigen Dunst über den hohen Mietshäusern in einem ungewohnten und unwahrscheinlich durchdringenden Violett leuchten. Er wollte wissen, woher dieses sonderbare Licht käme. Die Wohnung war verschlossen, weil die Mutter von der Fabrik weg gleich ins Kino gegangen war. Sie würde es nicht merken, wenn ihr Junge durch das niedrige Küchenfenster in den Hof hinabstiege und später auf demselben Wege zurückkehrte.
Niemand achtete in den belebten Straßen der großen Stadt auf ein kleines Bürschchen, das an diesem kalten Abend ohne Mantel war und zu einem Dach hinaufstarrte, darauf hohe Neonröhren violette Buchstaben an den diesigen Nachthimmel schrieben. Dieter, der nun wusste, woher der neue Glanz aus der Höhe stammte, ging dennoch wie gebannt weiter. Je mehr er sich der Stadtmitte näherte, umso wunderbarere Dinge sah er. Funkelnde Lichterketten spannten sich über die Straßen, die Fassaden von Kaufhäusern waren übersät mit riesigen leuchtenden Silbersternen. Goldene Engel flogen in Schaufenstern über starr lächelnde Modepuppen, in anderen Fenstern rasten Spieleisenbahnen über Brücken und durch Tunnels.
Menschen, die bunte Pakete mit silbernen und goldenen Schnüren trugen, stießen den kleinen, blassen Jungen an. Autotüren knallten. Die Luft war voll Benzingeruch, und aller Lärm der lauten Straße wurde überdröhnt von einem Lautsprecher. Knabenstimmen, ins Riesenhafte verzerrt, brüllten: „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Dieter ging durch die laute, unheilige Nacht des frühen Dezembers und wusste nicht mehr, wohin er ginge. Er kam durch fremde Vorstadtstraßen; denn dort im Industrierevier wuchsen die Städte immer mehr zu einem gigantischen Stadtmoloch' zusammen. Der Moloch spielte auf der Gemütsharfe. "Weihnachts-Vorfreude" nannte er seine Melodie. Reklame und Weihnachtsgeschäft hieß sie in Wirklichkeit.
Als die Frau das erschöpfte Kind vor dem Zaun ihres Anwesens fand, geschah es, weil ihre Hunde sie geweckt hatten. Es waren mächtige Tiere, Neufundländer, aber ihr drohendes Gebell erschreckte den halb ohnmächtigen Knaben in den Armen ihrer Herrin nicht.
Aus der Erschöpfung sank Dieter in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst am nächsten Mittag erwachte. Er nannte der Frau seinen Namen - Dieter Groß -, aber er wusste den der Stadt und ihrer Straße nicht. Er wusste vieles nicht. Wie sein Vater hieß und ob er noch lebte. Warum das Weihnachtsfest gefeiert würde, das jetzt schon soviel Licht, Glanz und Lärm über die Straßen brachte. Er fragte auch nicht danach. Doch fragte er die Frau, warum sie so riesengroße Hunde besäße. Sie habe eine Hundezucht, sagte sie, seit sie auf der Flucht in dieses Land gekommen sei. Das Kind wußte auch nicht, was Flucht ist.
Die Frau erklärte es dem kleinen Jungen und sagte ihm, warum die Menschen Weihnachten feiern. Sie fragte ihn, ob er denn nicht die Geschichte von der Heiligen Nacht in Bethlehem kenne. Er sagte, ihm gehöre nur ein Geschichtenbuch und zog ein zerfledertes Heftchen aus der Hosentasche, darin riesige Muskelmänner mit dünnen Köpfen aufeinander einhieben, und aus den Mündern stiegen ihnen Seifenblasen, in denen Wortfetzen standen. Die Frau zerriss das Heftchen und warf es in den Ofen.
Sie benahm sich überhaupt merkwürdig und sogar "sträflich", wie nachher die Zeitung in ihrer Überschrift schrieb. Sie benachrichtigte die Polizei nicht von dem aufgefundenen Kind. Sie beherbergte es drei Tage bei sich, erzählte ihm von vielen merkwürdigen Dingen und Begebenheiten und zog ihm einen Mantel über, der ihm beinahe passte und der herrlich warm war. Ihr Peter sei zwar ein Jahr jünger gewesen, aber damals schon sehr viel größer, als er auf dem Treck aus Schlesien in einer Januarnacht erfroren sei. Dieter lachte, weil er das Wort "Treck" komisch fand.
Schon am zweiten Tage war Dieter mit den Hunderiesen gut Freund. In der Nacht nahm ihn die Frau mit vors Haus. Draußen war eine sonderbare Luft - leicht zu atmen und ganz ohne Geruch - und eine Stille, wie das Kind sie nie kennen gelernt hatte.
Nur ein fernes Summen hörte man noch von den Städten, über denen am Horizont ein gleißender Lichtstreifen lag. Und über ihnen und über den Feldern am Rande des Industriereviers standen viele Sterne.
Der Junge sagte zu der Frau, in den Straßen seien die Sterne viel heller und viel größer; und er lachte sie aus, als sie ihm weismachen wollte, diese winzigen Lichtpünktchen da droben seien millionen Mal heller und millionen Mal größer als alle Reklamesterne der Großstädte zusammengenommen. Aber als sie die Sterne zu Bildern werden ließ, die sie ihm am Himmel zeigte, und als sie von einem besonders hellen Stern sprach, der in einem fremden
Palmenlande über einem Stall mit einem neugeborenen Kind in einer Pferdekrippe, inmitten von Ochs und Esel, von Hirten und Königen gestanden habe, sagte er, das sei doch eine ganz hübsche Geschichte. Ob sie noch mehr davon wüsste.
Vielleicht lag es an diesen Geschichten, dass die Frau von der "Kindesauffindung", wie das die Zeitung nannte, der Polizei so spät Mitteilung machte. Als Frau Groß ihren Dieter abholen kam, freute er sich nicht einmal besonders darüber. Doch die Mutter nahm ihm das nicht weiter übel. Ja, sie zeigte sich großzügig, als die Gastgeberin ihres Jungen sie bat, er möge die Weihnachtstage bei ihr verbringen. An den Feiertagen gab es in den Kinos großartige Programme, und sie würde dann sowieso nicht wissen, was sie mit dem Kind anfangen sollte. Als sie fort gingen, streichelte Dieter zum Abschied die großen Hunde.

Das ist die belanglose Angelegenheit, die ein Polizeibericht in fünf Zeilen zusammenfasste. Aber man wird mich jetzt vielleicht verstehen, wenn ich sage, sie dürfte mit jenen drei Adventstagen nicht zu Ende gewesen sei.

*

Weitere Geschichten, von „Stephanos“ (das ist ein anderer Nick für meine schriftstellerischen Interessen) gesammelt:

http://www.denkforum.at/forum/showthread.php?t=1671


[color=navy]NACH WEIHACHTEN 2008 - EINE ZWAR FROSTIGE; ABER WEITHIN SCHNEEFREIE ZEIT:
[/color]

[b]PETER HACKS[/b] - freiwilliger DDR-[i]VERHAFTETER[/i] BIS ZUM TOD IM JAHRE 2003 - SAH DAS ANDERS: ER BEDECKTE MIT DER SCHNEE-METAPHER DAS GANZE LAND.

Er nutzte nach 19990 die Wintertags-Kulisse als Gesamt-Chiffre für sein ihm un-geheures Vater-Kapital- oder Muttersprachen-Land, dem er nur mit wg. des Klimas grimmiger Ironie - mal als Trotz, mal mit unterhaltsamer Gelassenheit - zu entkommen suchte.

[b]Peter Hacks[/b] (1928-2003):
[b]Schneezeit[/b]

[b][color=teal]Was soll Materie, wo Menschen hausen?
Das Wasser fror zu Schmutz. Der Winter war,
Schon als ich jung war, mir ein rechtes Grausen.
Die Hochbahn klappert laut und sonderbar.

Die Fußabtreter miefen auf den Treppen,
Unten ums Eck weiß ich ein Biercafé.
Ein Kind läßt sich auf einem Schlitten schleppen.
Ein Moppel riecht erfreut am feuchten Schnee.

Ein Wirt hat mir ein kaltes Bier gezapft.
Vor einem Himmel, hell mit Rauch verhangen,
Stehn wie aus schwarzem Glas, weiß überfangen,
Die kahlen Bäume. Trotzig blickend stapft
Der Proletarier mit vergrabnen Händen.
Die Gas-AG schreibt fette Dividenden.[/color]
[/b]

*
[i](P. H.: Werke. Band 1. Die Gedichte. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003)[/i]

[url=http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrikkalender/893279/]Über Hacks' "Schneezeit-Gefühle"[/url]

* ~ *


[b]Erich Mühsam (1878-1934):
Weihnachten
(1909)


Nun ist das Fest der Weihenacht
das Fest, das alle glücklich macht,
wo sich mit reichen Festgeschenken
Mann, Weib und Greis und Kind bedenken,
wo aller Hader wird vergessen
beim Christbaum und beim Karpfenessen; -
und Groß und Klein und Arm und Reich,-
an diesem Tag ist alles gleich.
So steht's in vielerlei Varianten
in deutschen Blättern. Alten Tanten
und Wickelkindern rollt die Zähre
ins Taschentuch ob dieser Märe.
Papa liest's der Familie vor,
und alle lauschen und sind Ohr ...
Ich sah, wie so ein Zeitungsblatt
ein armer Kerl gelesen hat.
Er hob es auf aus einer Pfütze,
dass es ihm hinterm Zaune nütze.


[/b]
* ~ *


[b][i]Son[/i]nen-Tägliches - am 28. Dezember - Es ist noch einiges hin bis zum 6. Janaur.
[/b]

[i]Das lässt Zeit für Überlegungen und Studium der Jagdgewohnheiten und wintergebundenen Sagen:
[/i]



[b]Was ein Wildschwein vom Berchtenlaufen erzählen wollte
[/b]
Eine ST-Sage

Ein Wildhüter ging einmal in der Heiligen Nacht durch den Wald. Um solche Zeit soll man nicht nachts den Wald durchstreifen, aber der Hüter war noch jung und hatte auf das Datum nicht geachtet. Gegen den Wind näherte er sich einer Gruppe von Sauen, und da hörte er eine Stimme sagen: »Was wird uns wohl das nächste Jahr bringen?« Und eine andere Stimme sagte: »Es wird sein wie immer, man wird auf uns eine Jagd machen, und einige von uns werden ins Gras beißen müssen.“
Da hörte der Wildhüter eine wild-rauhe Stimme und erkannte den alten Eber, dem er im Waldkindergarten das Sprechen und Lesen beigebracht hatte.
Das Tier murmelte vor sich, um mit der Kälte fertig zu werden: »Nein, es wird diesmal anders werden. Freilich werde auch ich beim nächsten Treiben sterben müssen, aber ich werde den Jagdherrn mit in den Tod nehmen. – Auf, auf zum Berchtenlauf!«

Der Wildhüter schlich sich leise zurück in seine Hütte und erzählte seiner Frau davon; auch seinem Hamster; und sogar der Milchsuppe davon, die prompt sauer wurde.
Und einige Zeit darauf berichtete er dem Jagdpatron, was er in der Weihnacht gehört hatte. Doch der lachte ihn aus und glaubte ihm nicht.
Nun wohl, nach einiger Zeit gab es eine große Jagd auf die Wildschweine, und der Jagdherr ist auch mit dabei.
Und er erkennt, dass da ein alter und besonders guter Keiler dabei ist. Er legt auf ihn an und schießt ihn nieder. Wie der Keiler tot da liegt, sagt der Jagdherr zum Wildhüter: »Nun, lebe ich noch, oder bin ich tot? Und schau, was ich jetzt mache!«
Und er steigt mit den Füßen hinauf und tut so, als wolle er auf dem Eber tanzen. Da rutscht er aus und fällt gerade mit der linken Seite so unglücklich auf den Eber, dass die Spitze des Hauers ihm ins Herz dringt.
Und er stirbt auf dem Eber und niemand kann ihm mehr helfen.

Ob der sprachgewandte Eber beim Berchtenlaufen aufgerüstet hatte – oder eine Berchta umgelegt und ihre Künste durch Aufbrechen ihres Gehirns aufgenommen hatte – die neuesten Sagen werden es erweisen.

*

[b][i][font=courier]Als Nachtrag:
[/font]
[font=helvetica][size=14]Vom Berchtenlaufen[/size][/font][/i]
[/b]
[i](Sage aus dem Land unserer Sagen)
[/i]

[b]Alle Jahre um Dreikönig laufen die wilden Berchten; diese sind gekleidet wie recht häßliche Tiere und haben Bockshörner auf und große Schellen an. So sind auch einmal vor langer Zeit die Berchten - es waren ihrer zwölf - über den Hüttenbrunnen hin- und hergesprungen vor lauter Übermut.
Da war auf einmal eine dreizehnte, noch viel abscheulichere, unter ihnen, welche viel höher sprang als alle ändern. Wie nun die andern diese sahen, liefen sie alle bis auf einen davon; denn dieser meinte, er würde wohl fertig werden mit jener und fing zu raufen an.
Aber sie sprang auf ihn los und warf hitzig ihn auf den Boden, dass er sich einen Fuß brach.
Die Berchta lief aber erschrocken dann davon, und als sie ihre Füße aufhob, sah der am Boden Liegende, dass sie Bockfüße hatte.
Der Mann aber, der sich den Fuß gebrochen hatte, starb am zweiten Tag darauf. Er bereute noch seinen Frevel, dass er dort mit jener Berchta zu raufen angefangen habe.

Noch jetzt haben die Bauern den Glauben, dass je mehr Berchten laufen, desto besser auch das Jahr würde. Deshalb bewirtet man sie auch mit Schnaps und Klötzenbrot.
Auch am Sebastianstage laufen die Berchten. Dann fragen sie jeden gerade gewachsenen Mann, ob er Sebastian heiße.
[/b]


* ~ *
[b]30. Dezember[/b] - Vor-Silvestriges von Fontane:

[b]Theodor Fontane:
Unterwegs und wieder daheim.
[/b]
1.

Erst Münchner Bräu aus vollen Krügen,
Die Deckel klappten wie ein Reim,
Dann Neckarwein in vollen Zügen
Und endlich Roth von Ingelheim.

Und all die Zeit kein regentrüber
Verlorner Tag, kein nasser Schuh,
Die Bilder zogen uns vorüber,
Wir thaten nichts als schauten zu.

Und graue Dome, bunte Fresken
Und Marmor reichten sich die Hand
Und weinblattdunkle Arabesken
Zog drum das Rhein- und Schwabenland.

2.

Mit achtzehn Jahr und rothen Wangen
Da sei’s, da wandre nach Paris,
Wenn noch kein tieferes Verlangen
Sich Dir ins Herze niederließ;

Wenn unser Bestes: Lieb und Treue,
Du nicht begehrst und nichts vermiß’st,
Und all das wechselvolle Neue
Noch Deine höchste Gottheit ist.

Mir sind dahin die leichten Zeiten,
Es läßt mich nüchtern, läßt mich kalt,
Ich bin für diese Herrlichkeiten
Vielleicht zu deutsch, gewiß – zu alt.

3.

Und wieder hier draußen ein neues Jahr, –
Was werden die Tage bringen?!
Wird’s werden wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Wird’s fördern das worauf ich gebaut,
Oder vollends es verderben?
Gleichviel was es im Kessel braut,
Nur wünsch’ ich nicht zu sterben.

Ich möchte noch wieder im Vaterland
Die Gläser klingen lassen,
Und wieder noch des Freundes Hand
Im Einverständniß fassen.

Ich möchte noch wirken und schaffen und thun
Und athmen eine Weile,
Denn um im Grabe auszuruhn
Hat’s nimmer Noth noch Eile.

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rückläßt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht wie die Flamm’ im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.

4.

Ich bin hinauf, hinab gezogen,
Und suchte Glück und sucht’ es weit,
Es hat mein Suchen mich betrogen
Und was ich fand war Einsamkeit.

Ich hörte, wie das Leben lärmte,
Ich sah sein tausendfarbig Licht,
Es war kein Licht das mich erwärmte,
Und echtes Leben war es nicht.

Und endlich bin ich heimgegangen
Zu alter Stell’ und alter Lieb’
Und von mir ab fiel das Verlangen,
Das einst mich in die Ferne trieb.

Die Welt, die fremde, lohnt mit Kränkung,
Was sich, umwerbend, ihr gesellt;
Das Haus, die Heimath, die Beschränkung,
Die sind das Glück und sind die Welt.


(Diese Textform für Th. Fontanes „Lebensgedicht“, so entstanden 1895, geht zurück auf die Entstehung und Überformung älterer Textteile bzw. eigenstädniger kleine Gelegenheitsgedichte.

[i]Aus: Th. F.: Gedichte. 10. Auflage. 1905 J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger. Seite 22–25.
[/i]

Eine Teilfassung aus der Gedichtausgabe 1875 lautet so und wird im Internet als Silvester-Gedicht häufig gedruckt:

[b]Th. F.:
Ein neues Buch, ein neues Jahr

[color=navy]Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?!
Wird's werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht, wie die Flamm' im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.
[/color][/b]

*
[img]http://www.weltchronik.de/bio/cethegus/f/fontane.jpg[/img]

[i]Das bekannte Fontane-Porträt von Liebermann
[/i]

[i]Vgl. dazu hier meine [url=http://www.uni-protokolle.de/foren/viewt/104618,0.html ]Weitere Erläuterungen zu Fontanes GedichtenErläuterungen:[/url][/i]

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[i]Erläuterung[/i] zu der Kurzfassung mit "... neuem Buch" und "neuem Jahr", mit der Tagebuch-Formulierung - hier 1875 verwandelt in [b]"wie die Flamm' im Kamin, / Die eben zu Asche gesunken":
[/b]
Fontane lebte damals - bei der Niederschrift dieser Strophen September 1855 in London und hatte dort eine hohe Arbeitsbelastung, als Auslandsjournalist eine preussische Pressekorrespondent aufzubauen, zu erfüllen.

Den "Funken" eines Erfolgs sah er damals noch; bevor er eine Chance als Journalist in Berlin angeboten bekam ("nur" beamtet in Staatsdiensten, was er sehr schnell beendete, unter heftigem Widerspruch seiner Ehefrau..).

Fontanes "Lebensfeuer" sank wahrhaftig nicht, obwohl er noch viele Jahre zu wenig Brennstoff und materiell günstige Chancen erfuhr; und er musste bis 1898 noch heftig kämpfen, dass er seine großen Lebensromane schreiben konnte.


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