Esoterikmessebesuch



ESOTERIKMESSEBESUCH

Ich will Sie nicht lange an der Nase herumführen und dort hängen lassen: es war nur ein Traum. Er ging mir allerdings gewaltig an die Nieren, vielleicht verstärkt durch meine momentan vasolabile Konstitution, doch in dieser Beziehung bin ich mir nicht ganz sicher. Es war ein Traum von der Art, dass mir ein schwerer Eindruck von der psychopathologischen Astrologie zuteil wurde. Es kann auch anders heißen, jedenfalls von Psychogedöns.
In dem Traum ging ich, eine halbe Rolle Bärendreck im Mund, zu einer Esoterikmesse. Bis heute kann ich mir nicht erklären, weshalb mir der Wunsch zu solchem absurden Tun gekommen war. Freud hätte das wohl so gedeutet, dass mein linker Daumen ein inzestuöses Verhältnis zu meiner Schwiegermutter hatte. Freud war sehr begabt in der Erfindung solcher Psychokacke, allerdings war schon zu seinen Lebzeiten sein Deutsch stark verbesserungsbedürftig.
Wie ich so dahinschlenderte drang ein enervierendes Wimmern an mein Ohr; wie es eine verstimmte Geige mit drei gesprungenen Saiten es von sich gibt. Ich assoziierte mit dem endlosen Jammerton das Geräusch eines besoffenen Bohrers in der Praxis eines russischen Zahnarztes. Ich nehme an, Sie verstehen mich. Ich schüttelte mein apollinisch gestaltetes Haupt. Solche Verschiedenheit bringt die Subjektivität des Menschen zustande. Manchmal ist auch die Ursache nur eine totale Bescheuertheit. Das Kopfschütteln verging mir schlagartig als gleichzeitig eine junge Dame mit einer sehenswerten Körpersausstattung in meine Nähe gelangte – wahrscheinlich eine Botschafterin des kosmischen Sternenstaubs der „segensreichen Jungfrau“. Sie murmelte, die feuchten Augen blickten derweil in eine unbestimmte Ferne, mehrfach vor sich hin: „ergreifend diese Hymne der Engel aus der unendlichen Tiefe des Kosmos.“ Das befremdete mich, dennoch wurde ich wahnsinnig flirtiv. Ich hatte sozusagen irgendwie total das Gefühl, dieser Tag würde mein Glückstag. Die sehenswerte Botschafterin aus dem kosmischen Sternenstaub folgte der Hymne der Engel. Ohne zu erröten folgte ich ihren Spuren; genauer ihren Beinen. Ein sensationelles Geläufe.
Im Zelt, das ich im Schlepptau der sensationellen Beine betrat, saß hinter einem Tisch mit Häkeldeckchen neben einer Kristallkugel eine Wahrsagerin wie man sie aus zahlreichen klassischen Abbildungen kennt, allerdings ohne schwarzen Kater auf der linken Schulter, aber mit dösigem Blick. Für die Konsumenten von digitaler Deppenkost ist es sicher eingängiger, wenn ich von einer magersuchtsoptimierten Elendsgestalt à la Klum’scher Verblödungsshow spreche. Auf dem Tisch mit der Häkeldecke stand eine Pappe mit einer Inschrift:

„Esmeralda weiß Deine Zukunft.
- Ich bringe Deine innere Leere in Balance
- Ich deute Deine Strahlen vom 4. Nebenmond des Pluto
- Ich handle mit kosmischen Karmawickeln zum Messepreis“

Ich fühlte mich dem Geheimnis des Alls ganz nahe. Meine rechtes Knie begann, geheimnisvoll zu zittern. Mein Bauch grimmte. Die Aufmachung von Esmeralda war dergestalt, dass sie in mir keine fröhlichen Gedanken, schon gar keine feuchten Gefühle weckte. Vielmehr fielen mir ein stark reduzierter Verstand und das hirnfreie Legodenken einer lilagesträhnten Grünen mit asymmetrischem Kurzhaarschnitt ein. Sie - die Esmeralda, daran erinnere ich mich mit gemischten Gefühlen, aber sehr genau; wer je in die Nähe der Brutstätte einer Beischläferin des Dorfapothekers gelangte wird mir das nachfühlen, schien mir das Ergebnis einer kosmosgenerierten veganischen Schnippelei und einer Reinkarnationsmeditation einer Brillenschildkröte auf der Osterinsel zu sein.
Mich überkam das geradezu existenzielle Gefühl der Sinnlosigkeit. Dies war wohl auch die Triebfeder des in mir aufkommenden Dranges, auf schnellstem Weg zu verduften. Ich folgte meinem Drang, denn ich hatte im Moment ernsthafte Zweifel an der Menschheit als solcher, ganz besonders an dieser. Jeder, der schon einmal nach dem Genuss von verdorbenem Hering von einer grässlichen Diarrhöe befallen wurde, kennt diesen Zustand. Stehen wir womöglich an einer Regression ins Paläozän? Nie wieder werde ich den Beinen einer Engelsgehymneten folgen. Seien sie noch so sensationell.
Kaum war ich ein paar Schritte, höchstens zwei mehr, weg von dem Zelt der kosmosgetränkten Wahrsagerin Esmeralda getaumelt, als mich ein Stand mit magischen Kräften anzog und mich sofort gefangen nahm. Auf einem leicht erhöhten Podest saß ein nackter Mann. An seinem Hals baumelte eine Kette aus bunten Holzperlen. Auf seinen Knien bildeten seine Daumen und Zeigefinger einen Ring. Seine schlaffe Nudel hing bis zum Bretterboden des Podestes. Noch nie in meinem Leben habe ich den Unterschied zwischen Erotik und Esoterik so deutlich gesehen. Mit geschlossenen Augen brummte er etwa alle 28 Sekunden ein gehirnerweichendes „Om“. Der Typ war mir sofort sympathisch, denn er erweckte nicht den Eindruck, fremdbestimmt zu sein. Ich nahm daher die Position eines teilnehmenden Beobachters ein.
Kaum hatte ich die Dinge in Ruhe betrachtet, sie hatten das Benehmen einer Leiche, die schon 14 Tage im Wasser gelegen hat, als der Auserwählte seine Haltung von Grund auf änderte. Er stand auf, schloss die Augen, erhob seine Hände gen Himmel, ließ jedoch seine Nudel weiter hängen. Dann tat er mit der tonlosen Stimme eines Sehers kund: „Freunde, tretet näher zu mir. Zu Bo Yang. Ich betreibe negatives Coaching jeglicher Art, das Euch alle negative Energie auslöscht. Ihr sollt daran glauben. Ich reinige Euch wie die Kamele zwischen Euphrat und Tigris. Außerdem verrichte ich Energiearbeit der Reinkarnationstherapie nach W. Reiner. Die ist ein virtueller Anwendungsfall der Psychologie des tierischen Realitätsverlustes unter besonderer Berücksichtigung der Erkenntnisse von C.G. Jung. Erwählter Meister bin ich der verbalen Onanie und der Manifestation mongoloiden Denkens von kosmischer Belanglosigkeit.“
Mir stockte fast der Atem.

Ich wurde durch heftiges Rütteln meiner Freundin Christina – ich hatte sie erstmals auf der Messe am Stand für Bockwurst und Kartoffelsalat getroffen - aus dem Traum gerissen. Hellwach wurde ich, als ich realisierte, dass sie nach dem entspannenden Abend noch nicht die Kraft gefunden hatte, ihre interessantesten Stellen zu bedecken. „Liebster“, sprach sie mit besorgtem Tonfall, „während ich gerade meine innere Stimme abhörte, hast Du im Traum geschrien und wild um Dich geschlagen. Beinahe hättest Du meine harmoniehungrige Seele, die ich gerade mit positivem Karma füllte, getroffen. Meine weiche Seele barmt Deiner. Welcher böse Traum tut bei Dir solche seelenbeschädigende Energien in Deinem Leib frei? Worüber muss ich weinen?“
Ich schilderte Christine mit kurzen Worten, was ich erlebt hatte. Da hellte sich ihre Miene auf. „Du brauchst nur eine Karma-Restrukturierung. Ich hole eben in meiner Handtasche meinen Karma-Kamm, den ich auf der Esoterikmesse erworben habe. Ein Schnäppchen für 42,75 €,
mit dem ich Deine negative Energie von Dir abziehen kann.“
Ich erschrak in Mark und Bein, denn in diesem Augenblick wurde mir klar, dass mein Traum die Realität, eine Welt voller hypochondrischer Neurotiker, abgebildet hatte.

Esoterisch Bekloppte aller Länder vereinigt Euch!


Gruß
Sam


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Kommentare (6)

ehemaliges Mitglied

Wer also spricht zu mir - 
deine Speise sei die Nudel
und das Geläuf?
Den siehe, das Universum
wird dich verschlingen,
und dich speien aus
am Orte der Verdauung

Mögen die Säfte immer
mit Dir sein.

Arni

ehemaliges Mitglied

Gern geschehen, lieber Sam, sehr gern!

LG
Arni

Sam 2

Lieber Arni,

danke für die Prophetenworte und die guten Wünsche zum Schluss.

Gruß
Sam

Manfred36

Ja, Willy hat Recht. Dein Scheibstil ist nicht schlecht, aber der Inhalt total überheblich. So verstehe ich zumindest Satire nicht, das ist Verächtlichmachung.
Gruß
Manfred

Willy

Super Schreibstil hat Du, Sam. Ich bin, angeregt durch deine Gechichte, gerade am Überlegen welche wohl schlimmer sind; die Esoterikmessen, die Erotikmessen oder die christlichen Messen.
Machs gut
Willy

Sam 2

Lieber Willy,

... nach meiner langen Erfahrung die christlichen Messen.

.. und sooft es geht.

Gruß
Sam


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