Er nannte mich plötzlich "streitsüchtiges Mistvieh" ...
Er nannte mich „streitsüchtiges Mistvieh“ …
Dass mir dieses Schimpfwort an den Kopf geworfen wurde, ist schon lange her, und mein Mann, der mich derart auf einer Fahrradtour beschimpfte, ist schon lange verstorben. Es geschah nicht einmal während oder nach einem Streit, dass mir mein Mann nach 45 Jahren streitfreiem Eheleben dieses boshafte Schimpfwort an den Kopf warf. Ich war so „baff“, dass ich ihn nur äußerst überrascht, sprachlos anstarrte. Aber es ließ den Gedanken – so schnell wie möglich weg von ihm – zur Realität werden.
Um sich und mir seine Großzügigkeit zu beweisen, ging er tatsächlich mit mir noch in das angefahrene Café. Wir aßen ein Stück Torte zu einer Tasse Kaffee, wobei mir fast jeder Bissen im Halse stecken blieb. Er bezahlte, schwang sich auf sein Fahrrad und düste ab. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen, doch das interessierte ihn nicht.
Mich hatte bis dahin niemand jemals als streitsüchtig eingestuft, mich wissen lassen, dass er oder sie das für eine Seite von mir hielt. Gab es wirklich Unstimmigkeiten, zog ich mich lieber zurück, vermied eine Zeit lang näheren Kontakt, denn eine Klärung von Unstimmigkeiten kann ziemlich schnell tatsächlich zu Streit führen. Lieber erst einmal in Ruhe über eine (Streit-)Frage, einen Vorwurf – allein – nachdenken. Schlagfertig bin ich nämlich – genau aus diesem Grunde – auch nicht. Ich mag es nicht, mich mit Vorwürfen konfrontiert zu sehen, die – erst einmal – haltlos sein könnten.
Dass dieser „Kräutchen-rühr-mich-nicht-an“-Reflex auch Unwille beim Gegenüber hervorrufen kann, war mir lange nicht bewusst. Meine fehlende Schlagfertigkeit allerdings lässt mir auch heute noch gelegentlich innerlich die Kinnlade herunter fallen. Da Schlagfertigkeit nur schlecht trainierbar ist, wird das wohl auch so bleiben.
Was mich seither immer noch gedanklich beschäftigt, ist die Frage, ob mein Göga mich damals nur „aus der Reserve locken“ wollte, um endlich einmal tatsächlich „so richtig“ mit mir zu streiten!? Allerdings habe ich auch ihn nie als Streit suchenden Menschen erlebt.
Doch nach diesem Spruch hatte ich Angst, er könnte nicht nur verbal aggressiver, sondern auch handgreiflich werden! Schließlich waren wir nach dieser Aussage mit dem Pkw auf dem Heimweg nach einer Radtour. Als ich ihn vom Beifahrersitz aus darauf ansprach, weil ich keine Begründung fand, wollte er mich ohrfeigen. Doch als Fahrer das einer Beifahrerin neben sich anzutun, ist schwierig. Ich sah seine erhobene Hand, die sich mir zudrehte. Aber er stellte sehr schnell fest, das würde nicht gelingen.
Als ich ihn für diesen verbalen Angriff zuhause zur Rede stellte, ihm dabei in die Augen schaute, sah ich dort seine Pupillen so eng, so starr auf mich gerichtet, dass ich das Gefühl bekam: wären seine Augen Dolche, er hätte mich auf der Stelle erstochen!
Was verändert das Wesen eines Menschen nach Jahren derart, dass man ihn plötzlich nicht mehr wiedererkennt? Begann zu der Zeit in seinem Kopf sich die gleiche Krankheit, die seiner Mutter ein viertel Jahrhundert Eingesperrt sein in der Psychiatrie bescherte, auszubreiten?
Es dauerte ein halbes Jahr, in dem ich all meine Angelegenheiten so klärte, dass ich mich trennen konnte. Darüber miteinander gesprochen haben wir nicht, denn er vermied zukünftig jeden Kontakt mit mir, kam zu den Essenszeiten nur an den Esstisch, um ich satt zu essen und war dann wieder weg, in seinem Hobbykeller, im Garten, bei Nachbarn oder irgendwo in der Weltgeschichte … Erklärungen wie zuvor: „… ich bin mal eben da oder dorthin ...“ gab es nicht mehr. Und ich suchte ihn nicht! Gemeinsamkeiten waren Vergangenheit. Ich war nur noch Luft für ihn, er ignorierte mich total.
Als wir gegen 21 Uhr abends wieder aufeinander trafen, erzählte er auf meine Nachfrage wegen des so späten Abendbrotes, er sei von einem Freund so lange mit einem Gespräch festgehalten worden.
Zufällig traf ich anderntags diesen Freund, einen Kripo-Beamten, der im Hof der Sparkasse einem Einbruch in einem benachbarten Sportgeschäft nachging. Ja, er hatte meinen Mann am Abend zuvor kurz gesprochen, doch der sei recht eigenartiig gewesen! Bei ihm zuhause sei mein Mann aber nicht gewesen. Dort hätte er gar nicht hingekonnt, da die Straße vor seinem Zuhause total aufgerissen sei. Die Tatsache, dass mein Mann mich neuerdings(?) belog, fand ich schon seltsam.
Alles zusammen führte dazu, dass ich aus dieser unguten Situation zu meiner Tochter floh, am achten März (ohne zu wissen, dass es der Weltfrauentag war!) 2011. Die Entfernung über 172 km war ihm tatsächlich (wie ich hoffte) zu weit. Außerdem war ihm unsere, seine Tochter nie als sein eigenes Kind einen Besuch wert gewesen. Ich musste jährlich wochenlang darauf drängen, sie an ihrem Geburtstag zu besuchen …
Auch sie kam in den letzten gemeinsamen Jahren stets nur zu meinem Geburtstag, zwei Tage nach seinem. Da fiel es nicht auf, aber gesagt hat sie es mir einmal, als wir kurz allein waren.
Zwischenzeitlich aufgetretene Streitsituationen zwischen ihr und ihrem Vater führten zu jahrelangen Kontaktverweigerungen seinerseits. Erst zwei Jahre vor seinem Tod ließ er es zu, endlich auch seinen einzigen Enkel kennenlernen zu wollen. Und dann konnte er nicht genug davon bekommen, seinen Enkel zu treffen ...
Kommentare (4)
Liebe nnamtor 44
Das ist eine furchtbare Geschichte, die mir allerdings bekannt vorkommt.
Immer und immer wieder sucht man des Rätsels Lösung , aber es gibt
gar keine,.Fakt ist, er will sich nicht,, er will Dich nicht, er will die ganze
Welt nicht. Er ist ein unzufriedener Mensch. Unzufriedene Menschen sind
sehr schwierig und sehr unfair .........frech.
Entschuldige , wenn ich falsch liege, es ist meine persönliche Erfahrung,
die habe ich 20 Jahre gesammelt, viiiel zu lange.
Jetzt bin ich schon lange Jahre glücklich, ohne ihn,, denke vielleicht
musste ich das erleben, um mein Glück zu begreifen,. Ja, ich kann
es greifen - wünsch ich Dir auch
liebe Grüße von Renate
@Distel1fink7
Liebe Renate!
Etwas Rätsel-Lösung fand ich in seiner Deutung, die weibliche Menschen für ihn hatten. Seine Mutter war manisch-depressiv und ließ ihre Familie das ein Vierteljahrhundert spüren. Als ältester Sohn bekam er das natürlich am intensivsten mit.
Jahrelang nach einer Lösung "meiner Schuld" zu suchen war mehr als überflüssig. Ein wenig mag es auch daran gelegen haben, dass er - wie er mir einmal verriet - Frauen ablehnte. Seine Mutter, seine Schwester und vielleicht auch die eine oder andere Tante machten ihm das Leben schwer.
Dann lernten wir uns kennen, mein Vater war der Meinung, wenn wir so einige Unternehmungen gemeinsam erlebten, müsse ich wenigstens mit ihm verlobt sein. 1960er Eltern-Denken!
Das führte dann fast zwangsweise zur Eheschließung. Er wollte nie heiraten, ich wollte - zumindest ihn - nicht heiraten, aber mein Vater verlangte das von ihm in einem Männergespräch! Und - 1965 - musste ich mich noch fügen! Wer weiß, was die meinem Vater überaus wichtige Geschäftswelt gelästert hätte, wäre ich vorehelich schwanger geworden?! Das war meinem Geschäftsmann-Vater wichtiger!
Da mag es schon sein, dass mein Zukünftiger innerlich sein Leben, wie es dann geworden war, ablehnte. Und sich irgendwann das Gefühl, "verkauft" worden zu sein, Luft machen musste. So würde heute kaum irgendein junger Mensch sich in eine ungewollte Heirat zwingen lassen ...
Da liegst Du mit Deinen Vermutungen, liebe Renate, ziemlich richtig. Aber zu ändern wagte er es nicht, denn mein Vater hatte ihn mit Versprechungen auf mein väterliches Erbe in die Falle gelockt. Zu erben war bei seinen Eltern nichts ...
Wir haben unser Leben gelebt. Ihn hat es nicht wirklich zufrieden oder gar glücklich gemacht, mir hat es den Weg versperrt, den ich gehen wollte. Ich bin zufrieden, wie es mir heute geht. Er verstarb vor drei Jahren.
Vor kurzem hatte ich Besuch aus meiner Heimatstadt - und bekam auch Grüße von einem ehemaligen Verehrer überbracht. Seinerzeit hatte er bei mir keine Chance, denn ich war unsterblich in einen jungen Mann im Heimatort meiner Kusine verliebt. Dieter hatte nicht die geringste Chance, ein Treffen mal zu vereinbaren. Selbst im gleichen Tanzkursus nicht. Dass dieser Mann, inzwischen Witwer, sich dennoch - wohl durch ein Gespräch mit meiner Schwägerin - Grüße ausrichten ließ, verwundert mich immer noch. Ich gehe stramm auf die 80 zu und er wird kaum jünger sein. Fast war ich versucht, meiner Schwägerin ein Foto von mir als ergrauten, knitterigen Alten mitzugeben - mit der Frage an ihn, ob er die junge Uschi dagegen eintauschen mögen würde ...
In meinem Kopf geht unser Leben so langsam auf das Ende eines Jeden zu. Da beginne ich nicht noch einmal eine Partnerschaft(?!).
Meine Tochter ist meinem Rat gefolgt, nur ihren eigenen Wünschen an ihr Leben zu folgen und damit ist sie bislang glücklich geworden. Das Glück hat mein Sohn so nicht erfahren dürfen. Aber zumindest ist nun in seinem beginnenden Alter eine gewisse Zufriedenheit eingetreten.
So ist halt das Leben!
An ehelicher und zwischenmenschlicher Disharmonie vom Feinsten hast du uns teilhaben lassen...
Ich wuerde sagen: carpe diem 🥴😇
Chris33
ach nnamttor wir sind ja noch nicht tot
und ja wir dürfen ....................
Tja richtig recherchiert. Danke fürs Erzählen-
Gruß von Renate Distel1fink7