Eine winterliche Geschichte


Eine winterliche Geschichte

(Autor unbekannt)


8. Dezember, 18.00 Uhr: Es hat angefangen zu schneien. Der erste Schnee in diesem Jahr. Meine Frau und ich haben unsere Cocktails genommen und stundenlang am Fenster gesessen und zugesehen, wie riesige Flocken vom Himmel herunter schwebten. Es sah aus wie in einem Märchen. Einfach so unheimlich romantisch. Wir fühlten uns wie frisch verheiratet. Ich liebe Schnee.

9. Dezember: Als wir wach wurden, hatte eine riesige, wunderschöne Decke aus neuem Schnee jeden Zentimeter der Landschaft zugedeckt. Was für ein phantastischer Anblick. Kann es einen schöneren Platz auf der Welt geben? Hierher zu ziehen war die beste Idee, die ich je in meinem Leben hatte. Habe zum ersten Mal seit Jahren wieder Schnee geschaufelt und fühlte mich wieder wie ein kleiner Junge. Habe die Einfahrt und den Bürgersteig freigeschaufelt. Heute Nachmittag kam der Schneepflug vorbei und hat den Bürgersteig und die Einfahrt wieder zugeschoben. Also holte ich die Schaufel wieder raus. Was für ein tolles Leben!

12. Dezember: Die Sonne hat unseren ganzen schönen Schnee geschmolzen. Was für eine Enttäuschung. Mein Nachbar Bob sagt, daß ich mir keine Sorgen machen soll, wir werden definitiv eine weiße Weihnacht haben. Kein Schnee zu Weihnachten wäre schrecklich! Karl sagt, daß wir bis zum Jahresende so viel Schnee haben werden, daß ich nie wieder Schnee sehen will. Ich glaube nicht, daß das möglich ist. Karl ist sehr nett - ich bin froh, daß er unser Nachbar ist.

14. Dezember: Neuschnee! Wundervoller Schnee! 30 cm letzte Nacht. Die Tem-peratur ist auf minus 20 Grad gesunken. Die Kälte läßt alles glitzern. Der Wind nimmt mir den Atem, aber ich habe mich beim Schaufeln aufgewärmt. Das ist das Leben! Der Schneepflug kam heute Nachmittag zurück und hat wieder alles zugeschoben. Mir war nicht klar, daß ich so viel würde schaufeln müssen, aber so komme ich wieder in Form. Wünschte, ich würde nicht so stark schnaufen.

15. Dezember: 60 cm Vorhersage. Habe meinen Kombi verscheuert und einen Jeep gekauft. Und Winterreifen für das Auto meiner Frau und zwei Extra-Schaufeln. Habe den Kühlschrank aufgefüllt. Meine Frau will einen Holzofen haben, falls der Strom ausfällt. Das ist lächerlich - schließlich sind wir nicht in Alaska.

16. Dezember: Eissturm heute Morgen. Bin in der Einfahrt auf den Hintern gefallen, als ich Salz streuen wollte. Tut höllisch weh. Meine Frau hat über eine Stunde gelacht. Das finde ich ziemlich unverschämt. Sie hätte mich wenigstens etwas bedauern können.
17. Dezember: Immer noch weit unter Null. Die Straßen sind zu vereist, um irgendwohin zu kommen. Der Strom war fünf Stunden weg. Mußte mich in Decken wickeln, um nicht zu erfrieren. Kein Fernseher! Nichts zu tun, als meine Frau anzustarren und versuchen, sie zu irritieren. Ich glaube, wir hätten doch einen Holzofen kaufen sollen, würde das aber nie zugeben. Ich hasse es, wenn sie Recht hat! Ich hasse es außerdem, in meinem eigenen Wohnzimmer im Fernsehsessel erfrieren zu sollen!

20. Dezember: Der Strom ist wieder da, aber auch nochmal 40 cm von dem verdammten weißen Zeug letzte Nacht dazugekommen. Noch mehr schaufeln! Habe dafür den ganzen Tag gebraucht. Der Schneepflug kam zweimal vorbei. Habe ver-sucht, eines der Nachbarkinder zum Schaufeln zu überreden. Aber die sagen, sie hätten keine Zeit, weil sie Hockey spielen müßten. Ich glaube, daß sie lügen. Wollte eine Schneefräse im Baumarkt kaufen. Die hatten keine mehr. Kriegen erst im März wieder welche rein. Ich glaube, daß die lügen. Karl sagt, wenn ich nicht selbst schaufele, macht es die Stadt und schickt mir die Rechnung. Ich glaube, daß er lügt.

22. Dezember: Karl hatte Recht mit weißer Weihnacht, weil heute Nacht nochmal 30 cm von dem weißen Zeug gefallen sind. Es ist so kalt, daß es mindestens bis August nicht tauen wird. Es hat 45 Minuten gedauert, bis ich fertig angezogen war zum Schaufeln. Und dann mußte ich pinkeln. Als ich mich schließlich ausgezogen, gepinkelt und wieder angezogen hatte, war ich zu müde zum Schaufeln. Habe krampfhaft versucht, für den Rest des Winters Karl anzuheuern, der eine Schneefräse an seinem Lastwagen hat. Aber er sagt, daß er mir leider nicht helfen kann, weil er unheimlich viel zu tun hat. Ich glaube, daß er lügt.

24. Dezember: 20 Zentimeter. Der Schnee ist vom Schneepflug so fest zusammen- geschoben worden, daß ich die Schaufel abgebrochen habe. Ich dachte, ich kriege einen Herzanfall. Falls ich jemals den Mistkerl kriege, der den Schneepflug fährt, schleife ich ihn an seinen Haaren durch den Schnee. Ich weiß genau, daß er sich hinter der Ecke versteckt und wartet, bis ich mit dem Schaufeln fertig bin. Und dann kommt er mit Karacho die Straße herunter gerast und wirft tonnenweise Schnee auf die Stelle, wo ich gerade war. - Heute Nacht wollte meine Frau mit mir Weihnachtslieder singen und Geschenke auspacken. Aber ich hatte keine Zeit. Mußte nach dem Schneepflug Ausschau halten.

25. Dezember: Frohe Weihnachten! Noch einmal 60 cm mehr von dem weißen Kram. Jetzt sind wir endgültig eingeschneit. Der Gedanke an Schneeschaufeln läßt mein Blut kochen. Ich hasse Schnee! Dann kam auch noch der Schneepflugfahrer vorbei und hat nach einer Spende gefragt. Ich hab ihm vor Wut meine Schaufel über den Kopf gezogen. Meine Frau meinte, daß ich schlechte Manieren habe. Ich glaube, sie spinnt. Wenn ich noch einmal Wolfgang Petry anhören muß, bringe ich sie um.

26. Dezember: Immer noch eingeschneit. Warum um alles in der Welt sind wir hierher gezogen? Es war alles IHRE Idee. Sie geht mir langsam auf die Nerven.
27. Dezember: Die Temperatur ist auf minus 30 Grad gefallen und die Wasserrohre sind eingefroren.

28. Dezember: Es hat sich auf minus 5 Grad erwärmt. Immer noch eingeschneit. Die Alte macht mich schon durch ihre Anwesenheit verrückt.

29. Dezember: Nochmal 30 cm oben drauf geschneit. Karl sagt, ich müßte das Dach freischaufeln, es wird sonst einstürzen. Das ist so ziemlich das Dämlichste, was ich je gehört habe. Für wie blöd hält der mich eigentlich?

30. Dezember: Das Dach ist heute eingestürzt, der Schneepflugfahrer hat mich auf 25.000 Euro Schmerzensgeld verklagt und meine Frau ist zu ihrer Mutter abgehauen. Erneut haben sie 25 cm Neuschnee vorausgesagt.

31. Dezember: Habe den Rest vom Haus heute Vormittag angesteckt. Endlich nie mehr schaufeln müssen!

8. Januar: Mir geht es auf einmal gut. Ich mag diese kleinen bunten Pillen, die sie mir jetzt dauernd geben. Warum bin ich eigentlich am Bett festgebunden?


Anzeige

Kommentare (0)


Anzeige