In der Stadtbibliothek steht gleich am Eingang ein Regal, wo keine schön lackierten Buchumschläge zu sehen sind. Alles alt und anscheinend - jetzt oder nur früher - gern gebraucht, mit Interesse gelesen. Die meisten Bücher sind auf schlechtem Papier gedruckt worden, sie enthalten keine bunten Illustrationen, eher nur schwarz-weiße Skizzen, und wenn Fotos, dann klein und undeutlich.
   Die Bücher aus diesem Regal werden nicht ausgeliehen, wie die anderen. Man darf einfach solche, und so viel mitnehmen, wie man will. Zurück kann man entweder dieselben bringen, oder welche behalten, und dafür mit anderen die kleine Sammlung bereichern.
   Neben dem Regal stehen zwei bequeme Sessel; wer es nicht eilig hat, kann ganz langsam die ausgewählten Bücher durchblättern, und dann eventuell auf manche verzichten. Viele Leser suchen nur kurz durch; sie wissen gut, was ihnen gefällt. Viele von den Titeln sind ihnen gut bekannt: Bücher aus ihrer Kindheit oder Jugendzeit, die sie irgendwann mal oder mehrmals gelesen hatten, dann - entweder in eine ehemalige Bibliothek zurückgebracht, oder, wenn eigen gewesen, verloren? Einer bekannten Person geliehen, vergessen zurück zu fordern? Zu Hause wird man den Text und die Bilder mal wieder in aller Ruhe genießen können. Man kann nun viel mehr verstehen...
   Unter den alten Büchern kann man zum Beispiel einen Band von Erzählungen finden. Eine schöne Form, da bekommt man gleich einen Anfang und ein Ende, und Interessantes dazwischen. Natürlich kann mal das Ende nichts schliessen, sondern die Leser entweder verwundert, oder enttäuscht - auf jeden Fall nicht gleichgültig - lassen. Das Buch ist alt genug, um nicht schockieren zu müssen. Wenn mal Gewalt oder Erotik, dann nur mit paar Worten angedeutet; die Leser können es sich dann so vorstellen, wie es ihnen richtig wäre, je nach ihrer Empfindlichkeit.
   Einen Band von schönen Erzählungen hat keine professionelle - wie man es heutzutage nennen würde - Schriftstellerin verfasst, sondern eine Schauspielerin. Als sie noch ziemlich jung war, konnte man im Fernsehen eine Sendung mit ihr in der Hauptrolle sehen. Das Programm hieß "Die Erzählungen meiner Frau". Auf dem schwarz-weißen Bildschirm nur ein Tisch, drei Stühle, und drei Personen: als ob eine Mutter, so um 40, und ihre zwei Söhne. Sie hörten aufmerksam zu, wie sie, oft mit einem abwesenden Blick, erzählte... Vielleicht kam sie dann später auf die Idee, auch eigene Erzählungen zu schreiben, und sie zu veröffentlichen. Und die lesen sich so gut: Einfach Bilder aus dem Leben, nicht immer nur lustig, aber irgendwie üblich und normal, im besten Sinne der Wörter.
 


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Kommentare (5)

Willy

Das kenne ich auch aus unserer Bücherei und oft wurde mir ganz weh ums Herz, wenn ich dort Bücher sah, die ich mir in der DDR, nur mit großer Mühe besorgen konnte. 
Eine andere Art, die ich sehr schön finde; in stillgelegten Telefonhäuschen kann man Bücher, die man nicht mehr benötigt, ablegen und sich dafür aus dem Bestand ein anderes mitnehmen. Doppelt gut, weil ja Bücher heute ihren Preis haben und für manche schon gar nicht mehr bezahlbar.

Gruß von Willy aus Dresden/Berlin

Christine62laechel

Hier wurden früher auch solche "Aktionen" gemacht, dass man alte Bücher in den Parks oder in den Läden einfach liegen liess, und dies hiess, man "befreie" die Bücher. Schnell wurde aber festgestellt, dass die ganze Geschichte doch unter Kontrolle durchgeführt werden sollte; wieso sollte mit den Büchern geheizt werden...

:) Christine

Manfred36


Einrichtungen für den kostenfreien Austausch gelesener (alter) Bücher gibt es auch hier an unterschiedlichen Orten, auf dem Land sogar in zwei aufgegebenen Telefonzellen und einer nicht mehr genutzten Kapelle, vor allem aber in einigen Firmen (Human Relations). „Nicht zugespitzte“ Bücher, die zumindest ein Wenig biografisch sind und vielleicht eigene Erinnerungen wach rufen, finde ich auch lesenswert.
Manfred
 

Manfred36


Hallo Frau Vize-Bürgermeisterin,
du siehst da doch super aus. Man könnte fast meinen, es handele sich um ein Hochzeitspaar. Hier werden Lesungen nicht eigener Bücher auch oft von Schauspielerinnen gemacht, die die dramaturgische Handhabung bis zur erheiternden Superpointierung beherrschen.
Aber du bist ja wahrscheinlich beides, Lehrerin und Schauspielerinnen
Gruß Manfred




 

Christine62laechel

Unser vorige Staatspräsident hatte auch eine solche Idee, dass man jedes Jahr an einem Tag im September ein Stück von einem Buch laut vorliest, in einem Park oder so. Leider sind die Lehrer und die Bibliothekarinnen meist die einzigen interessierten Personen, ich habe auch mal daran teilgenommen. Der Vize-Bürgermeister hatte sich sogar der Epoche entsprechend gekleidet:Wokulski i Łęcka.jpgUnd ich sehe auf dem Foto ärmlich aus, denn der Septemberanfang war in dem Jahr sehr kühl. :)
Mit Grüßen
Krystyna


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