Ein Buch aus der Schulbibliothek
Hier endet das Schuljahr nächste Woche. Die Schüler haben ihre Noten bereits bekommen, die Zeugnisse bekommen sie am nächsten Freitag. Bis dann findet der Unterricht immer noch ziemlich normal statt, also: Nicht alle Schüler sind anwesend, die meisten möchten gerne nur "etwas Leichtes" tun. Na dann, machen wir Kreuzworträtsel, die den Wortschatz aus den letzten Monaten besser einprägen lassen. Als die Schüler in ihrem Werk ein Vergnügen schon gefunden hatten, schaute ich mich um, und habe auf einer Bank ein Buch gesehen, kein Lehrbuch, sondern einen Roman.
Ich habe mich gefreut, und wie! Wo die Jugendlichen nun kaum lesen können und wollen? Schön. Ich fragte das Mädchen (die Gruppe war um 17 Jahre alt), ob ich das Buch durchblättern könnte. Ich hatte den Eindruck, dass sie ein wenig verlegen war, was blieb ihr aber anderes übrig, als nur zu sagen: Bitte sehr...
Ich kann sehr schnell lesen; wenn ich es besonders eilig habe, kann ich eine ganze Seite auf einmal sehen, und den Text verstehen. Nach drei Seiten wurde ich sprachlos, nach zehn weiteren wußte ich, was für ein Buch es auch ist. Ein Band von Erzählungen (sonst mag ich sehr). Die Autorin musste ohne Zweifel vieles gelesen haben, denn schon dieses kleine Stück lies mich an die Erzählungern von Julio Cortazar denken, an die ziemlich grausamen. Und es erinnerte mich auch an einen Text, den ich vor Jahren gelesen habe, komme aber an den Verfasser nicht mehr. Bei Cortazar, sowie bei vielen anderen früheren Autoren, war aber ein wenig Grausamkeit nur ein künstlerisches Mittel. Die Leser sollten sich natürlich überrascht, betroffen, vielleicht leicht schockiert gefühlt haben. Hier las ich aber Erzählungen, wo sich Böses ereignete, von toten Tieren, gequälten Kindern, und geschmacklosen erotischen Angelegenheiten begleitet. Dazu noch die Sprache. Es ist keine Literatur, im Internet übrigens keine Spur davon gefunden, und die Sprache eben... Als ob die Geschichten einfach von einer herkömmlichen Person erzählt und von jemandem aufgeschrieben wären. Vulgäre Worte - natürlich, wie sonst...
Ich bin zu alt, um mich selber verlegen zu fühlen, es wurde mir aber unangenehm. Was würde da zu unseren Jugendzeiten geschehen?! Ich lag das Buch zurück, und bat die Mädchen, dass sie das Buch lieber doch nicht lesen; ich sagte, es ist für sehr erwachsene, und für wenig empfindliche Personen, also nicht unbedingt für sie. Natürlich antworteten sie: Uns macht das nichts aus.
Nachher habe ich mit der Schulbibliothekarin gesprochen. Ich habe mich entschuldigt, dass ich mich da einmische, aber hätte sie das Buch gelesen? Ich würde es den Jungendlichen doch nicht ausleihen, sein Inhalt ist ja unglaublich drastisch. Die Dame (um 35) antwortete fröhlich: Sie wollen aber nur solche Bücher!
Na ja. Wahrscheinlich bin ich eine altmodische Lehrerin, mit einer weißen Jacke und einem lila Shirt an, sowie mit einer typischen Lehrerinfrisur, die die Jugendlichen nicht mehr verstehen kann, und die immer noch welchen Anspruch darauf hat, sie zu erziehen.
Das Foto wurde übrigens vor zehn Jahren gemacht; jetzt kleide ich mich lockerer. ;)
Kommentare (4)
Ja, es gibt kaum was Schlimmeres in der Geschichte der Pädagogik - so allgemein gesagt - als diesen Überfluß von Freiheiten nun. Schlimm für die Eltern, für die Lehrer, und vor allem - ein echtes Unglück für Kinder und Jugendliche. In der Zukunft werden wahrscheinlich manche denken: Wieso hatte man uns davor (vor unseren falschen Wahlen) nicht geschützt...?
Mit Grüßen
Christine
Ich nehme an, dass das Buch in Polnisch geschrieben war, also kein Sprach-Lerneffekt damit verbunden werden kann. Dann wundert es mich allerdings auch, dass in Polnischen Schulen Schundliteratur an die Schüler ausgeliehen wird. Aber damit in Berührung kommen sollten die Schüler natürlich auch, es ist etwas anderes als Shit-Storms und das Stimmige kann man nur empfinden, wenn man das Gegenteil auch gesehen hat.
Gruß Manfred
Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Ich finde es schade, dass sich die, andererseits ganz nette, Biblitohekarin, nicht mehr Mühe gibt, wenn sie Bücher für die Schulsammlung einkauft (oder von irgendjemand geschenkt bekommt). Ich habe auch sechs Jahre lang als Bibliothekarin an einer Grundschule gearbeitet, 1989-1995. Am Anfang hatte ich ein wenig Ordnung gemacht, und dabei ein jedes Buch in die Hand genommen, durchblättert. Die meisten kannte ich; ich las schon als Kind sehr viel und schnell. Das sollte sie auch tun, unbedingt. Ich kann es ihr aber nicht sagen, bin ja keine Vorgestellte von ihr. Komische Zeiten...
Mit Grüßen
Krystyna
Ich bin seit Jahren Mitglied im Literatur-Portal "Bookrix und sehe mit Entsetzen, was dort
(auch oft von Jugendlichen) an sogenannter "Erotikliteratur" Platz gefunden hat.
Was ich Kinder, die im Besitz eines Handy sind, problemlos aus dem Web herunterladen können, ist längst nicht mehr überprüfbar von den Eltern.
Schlimm, dass die Alten, den Jungen vormachen, wo es – wie lang geht …
beste Grüße
Willy