Ein "Abstecher" nach Kolumbien - Tagebuchnotizen einer Südamerikareise


Im Frühjahr 1975 entschloss ich mich zu einer dritten Reise in die USA, diesmal um Distanz zu gewinnen zu allerlei privaten und beruflichen Turbulenzen, die ich selbst heraufbeschworen hatte. Endziel sollte ein befreundetes Ehepaar in den USA sein, an dessen Hochzeit ich im Jahr vorher teilgenommen hatte. Jetzt besaßen die beiden eine Mietwohnung an der „Mainline“ nahe Philadelphia und arbeiteten von Früh bis Spät. Zu ihnen aber wollte ich nicht auf direktem Wege, sondern erst einmal „ins Blaue“ hinein. Erste Station meiner Reise aber sollten die Bahamas sein. Dort dann wollte ich „weitersehen“, vielleicht per Bus den Mississippi aufwärtsfahren. Ehe ich diesen Plan weiterverfolgen konnte und dann wieder aufgab, landete ich aber zunächst einmal – in Kolumbien.

21. April (Montag): Mit der Bahn nach Luxemburg. 13.30 Abflug - Zwischenlandung Azoren. 18.40 Ortszeit Ankunft Nassau (Bahamas). Hotel Pilit. Von den „Bahamas“ habe ich noch nicht viel gesehen. Im Dunkeln wurden wir in einem vollgestopften VW-Bus vom Flughafen hierher gekarrt. Schönes Zimmer zur Straße und zum Wasser, Dusche, Bad, Handtücher, alles sehr sauber. Während des Fluges hatte ich (seit der Bahnfahrt zw. Koblenz und Luxemburg) Gesellschaft eines 40jähreigen Persers aus Linz, ein sehr gutaussehender Mann, Vater von 4 Kindern. Vor der Abfahrt in Wetzlar noch ein Telefonat mit I.. G. hatte mich zum Bahnhof gebracht.

22. April: Nassau. Einen morgendlichen kurzen Rundgang hinter mir, viel Unrat, miserable Wohnverhältnisse gesehen. „Amerikanisches Frühstück“. Ich lasse jetzt erst mal die neuen Eindrücke auf mich wirken. Das „schwarze Element“ beherrscht das Straßenbild. Wer beherrscht das „Geschäftsleben“? – Eine Sightseeing-Tour per pedes hinter mir. Ich habe mich entschieden, morgen nach Miami zu fliegen und von dort aus nach Kingston. Warum gerade Kingston? Ja warum. Vielleicht will ich sagen können, auf Jamaika gewesen zu sein. Ich könnte ebenso gut nach Mexiko City fliegen. Und vielleicht mache ich das sogar. Eigentlich würde ich mich viel wohler fühlen, wenn ich diese Reise in Begleitung eines anderen Menschen machen würde. Alleinsein fällt mir schwerer als früher. Diese Reise ist überschattet von den Gedanken an I. Es dürfte jetzt gegen 6 Uhr abends sein. Gerade habe ich den zweiten Stadtgang hinter mir, streunte zwischen riesigen Fahrgastschiffen herum, aß zwei Portionen Eis, gab einem kleinen Jungen einen Dime (10 Cent), nachdem er mir „a new song“ vorsingen wollte, wenn ich ihm Geld gäbe. Ein mir noch unbekanntes Angebot, das ich allerdings nicht annahm. Es ist sehr windig, aber wieder trocken nach einem prächtigen Regenguß am frühen Nachmittag. Ich bin hierher gefahren, dachte ursprünglich an Fahrten zu verschiedenen Inseln. Soll mich wirklich bedrücken, daß ich diese Idee aufgegeben habe? Wenn ich durch die Straßen laufe, in die Geschäfte schaue, interessiert mich doch nichts, allenfalls eine kalte Büchse Bier. Ich suche, suchte nie Erlebnisse sondern Eindrücke. Dabeisein, aber nicht mitmachen. Da wird getaucht, gejagt, gebadet, gesegelt – was wirklich zählt ist die befriedigende Beziehung zu einem Menschen, ist die Liebe. Das konnte ich vor ein paar Monaten noch nicht so entschieden sagen. Damit zusammen hängt auch meine Bereitschaft, mich jetzt wirklich ernsthaft einer Arbeit zuzuwenden, nicht, um mich „zu verwirklichen“, sondern um mich zu beruhigen, mir Muße zu gönnen, mag das auch widersinnig klingen. Dies schreibend sitze ich auf dem Balkon meines Zimmers, der Blick zum Yacht-Hafen unterbrochen durch eine Kokospalme; Autos, Boote, schwarze und weiße Leute. In mir ist eine angenehme Ruhe. Aber auch Hunger und Durst. Es ist dunkel geworden, schnell geht das hier. Mit den Gedanken bin ich bei meinen Damen. - 23. April: Pilot Hotel Nassau. Der Aufenthalt in einem solchen Hotel: Man kann es als Inbegriff des angenehmen Lebens empfinden, Muße, Fütterung, ruhige Zimmer, ein angenehmes Klima. Es ist eine „Anzeigenwelt“ und daher so wie die Anzeige selbst verfälschte Wirklichkeit, weil sie demjenigen, der an ihr teil hat, ein ganz bestimmtes Verhalten aufzwingt, das mit Passivität allein nicht zu charakterisieren ist. Hier verwirklicht der etwas besser bezahlte Angestellte aus New York oder Chikago oder auch aus Deutschland seinen Traum vom Leben unter Palmen. Eine Woche oder vierzehn Tage, danach bleibt ihm nichts als die leere Tasche und die Prahlerei. Natürlich habe ich kein Recht, so zu lästern, jeder soll sich die ihm gemäße Freude gönnen. Ich sitze halt gerade am kleinen Schwimmbecken des Hotels, an dem sich ein paar bleiche Gestalten ihre Renommierbräune erliegen. Ich war wieder „Downtown“, ließ mir das Flugticket fertigmachen und bestellte die Fahrt zum Flughafen. Außerdem spazierte ich zum Wasserturm, ließ mich per Aufzug hochtransportieren, um Dias zu machen. Dann war ich noch einmal am Hafen. - Nassau ab 15.30 – Miami-Flughafen 18.30 - Mich reitet der Teufel oder. Die Abenteuerlust hat mich gepackt. Wenn ich es mir in den nächsten 10 Stunden nicht anders überlege, fliege ich morgen nach Bogota. Was ich dort suche, ist mir noch rätselhaft, aber reizvoll scheint mir eine Reise nach Südamerika schon. Zunächst einmal ist die ganze Angelegenheit eine Frage der Geduld und der Bereitschaft, allein für den Flug 200 Dollar zu bezahlen., doch daran sollte es nicht scheitern. Ich schleiche durch die neonerleuchtete Halle des Flughafens, streife durch die Läden, mustere die Menschen. Es wäre angenehmer, die Zeit zu verschlafen, das hätte allerdings 24 Dollar gekostet. Jetzt ist es ½ 8 (abends) - Ich bin so müde, als hätte ich tagelang nicht geschlafen. - Gerade sprach ich mit einem Belgier, der heute aus Kolumbien kam. Er gab mir ein paar Tips. Und überhaupt hat es mir gutgetan, so spät abends mit einem, dem es ähnlich geht wie mir, keine Schlafstätte hat. – ½ 12 – Bisher war ich eigentlich nur müde, jetzt aber kommt die Schläfrigkeit. Ich kann an nichts anderes denken, als daran, daß es bald Morgen wird. Die Kälte der Klimaanlage tut noch das Ihrige zu meinem Unbehagen hinzu. Aber der Schlafmangel ist doch das Unangenehmste. - 24. April: Es ist jetzt gleich ½ 2. – Das Warten wird allmählich zur Qual . - Knapp nach ½ 5, das Ticket nach Bogota ist gekauft, eine Karte für G. geschrieben. - 6 h Miami ab - Zwischenlandung Barranquilla – Bogota-Flugplatz. Gegen 11 schaute ich zum erstenmal im Zentrum auf die Uhr. Fahrt mit dem Bus 2 Peso. Im Bus sprach mich ein junger Mann Deutsch an. Ich fand ein Hotel mit Dusche und eigenem Klo. Erst einmal schlief ich, bis gegen 3. Das ging alles so schnell, daß ich noch gar nicht recht fassen kann, wo ich wirklich bin: in Südamerika. Gerade habe ich zu Abend gegessen, in einer kleinen Kneipe, wo es „Paella valenciana“, ein Reisgericht mit Gemüse darunter gemischt und Hähnchenfleich gibt, ein langes, schwarzes Haar war auch dabei. Der ganze Berg kostete 30 Pesos, also 2 Mark 40. Ich habe schon einen Stadtrundgang gemacht. Auf den Straßen viele Jammergestalten.

25. April (Freitag): Bogota – Plaza de Bolivar, gegen ½ 4. Am Denkmal Bolivars gegenüber der Iglesia San Ignacio sitzt neben mir ein Typ „Pennbruder“, unglaublich schmutzig, etwa 30 Jahre alt, Gummistiefel, ein großer Stock. Er holt einen Schreibblock, zerschlissen, aus einer gelben Tragetasche und schreibt, schreibt schon seit 10, 15 Minuten. Ich möchte ihn fotografieren, traue mich aber nicht. - Heute Morgen ging ich schon um 7 Uhr los, zuerst in Richtung Süden zum Plaza de Toros. Dann stieg ich bergauf in teilweise verslumte Wohngegend. Ein LKW-Fahrer warnte mich vor Raub und wies auf meine Filmkamera. Aber die Leute machten einen friedlichen Eindruck und kein Mensch störte mich beim Filmen. Mittagsschlaf. Danach wieder den Berg hinauf. Zuerst jedoch ging ich zum Busbahnhof, um mich nach Fahrgelegenheiten nach Cali zu erkundigen. Günstig. Auffallend: Bis jetzt wurde ich noch nicht ein einzigesmal angebettelt. Überhaupt machen die Menschen hier einen „guten Eindruck“, auch in der Art, wie sie sich gegeneinander verhalten. Junge Paare küssen sich auf der Straße. Es fehlt die verkrampfte Prüderie Spaniens und die Frauenverachtung des Orients. Elend und Armut ist sichtbar, aber das ist nicht so erdrückend. – In einer „Loncheria“ trinke ich ein Bier, man kann hier zwischen verschiedenen Marken wählen. Vorhin ging ich ins Innere der Kirche San Francisco, innen und außen in wunderschönem spanischen Barock. Ganze Batterien von Kerzen, die von Passanten am Eingang gekauft werden. Ich kann mich der Faszination der katholischen Szenerie nicht entziehen, so sehr ich auch über die Motive und Hintergründe dieser Religion wütend werden kann. Die Bilder liebe ich und lasse mich von ihnen rühren. Den ganzen Tag geht mir der Begriff „Gott ist Kolumbianer“ nicht aus dem Sinn, es muß ein Buchtitel sein. „Che“ Guevara, ist er nicht hier gejagt und getötet worden? (Nein, in Bolivien) Man sieht Bilder von ihm an Hauswänden, in Schallplattengeschäften. Was wollte er nur hier? Die Macht erlangen über dieses Land, über diese armen Menschen? Welchen Leuten geht es hier eigentlich gut? Den Landbesitzern, Bauunternehmern, Architekten? In einem solchen Land muß man längere Zeit leben, ehe man mehr von ihm erfährt. Ein gewisses Bild kann man sich schon machen: Schuhputzer, fliegende Händler, Scharen von Losverkäufern, streunende Kinder und Alte sprechen eine deutliche Sprache. Wichtig ist es hier, und das gilt für alle „armen“ Länder im „kapitalistischen Lager“, daß man „Arbeit“ hat und sei sie auch noch so schlecht bezahlt.

26. 4. Bogota, Hotel Vas – Kurz nach 6 Uhr morgens. Ich liege jetzt schon über 12 Stunden im Bett, davon die längste Zeit schlafend. Gegen 7 ging ich zum Busbahnhof, um ein Ticket für Manizales zu lösen. Warum nach Manizales? Es liegt vielleicht in den Bergen. Es ist jetzt kurz nach 9, ich habe mich mit Lebensmittel eingedeckt, Käse, kleine Brote, Äpfel. Der Bus geht um 10 und soll 9 Stunden brauchen. Honda 2 Uhr nachmittags. Hier wird erstmals nach längerer Zeit Station gemacht. Bisher ging es über gewaltige Paßstraßen durch Regenwälder. Manizales – Kurz vor 8 abends, in einem Hotel. Nach über 9 Stunden Busfahrt in dieser sehr lebhaften Stadt angekommen. Die Reise ging quer durch die Anden, nur ein einzigesmal, nach Honda, gab es eine flache Strecke, sonst nur Pässe, Serpentinen, über Straßen, die in steile Hänge eingegraben wurden, vorbei an elenden Hütten. Nach Honda durch urwaldähnliches Gebiet, das in riesige Kaffeeplantagen überging.

27. April (Sonntag): Manizales. Erst bei Tageslicht läßt sich erkennen, in was für einer elenden Andenstadt ich hier gelandet bin. Ich sitze in einem Cafe und habe gerade vier trockene Gebäckstücke gegessen und einen weißen Kaffe dazu getrunken. Zu gestern: in Bogota setzte sich ein junger Mann neben mich, mit dem ich während der Fahrt in ein sehr holpriges Gespräch kam. Hier angekommen, bot er mir an, mir die Stadt zu zeigen. Er kam sehr pünktlich mit einem Freund ins Hotel und wir bummelten durch eine belebte Straße der Oberstadt. Als wir in ein Lokal gehen wollten, tauchte ein Trupp Polizisten auf und durchsuchte im Lokal wahllos junge Männer nach Waffen. Eine makabre Situation, die hier offenbar als normal empfunden wird. Die Durchsuchten verhielten sich völlig ruhig, ja gelegentlich belustigt. Anschließend gingen wir in eine ziemlich elende zugige Hütte, wo drei Männer kolumbianische Lieder zur Gitarre sangen. Wieder in der Stadt zurück, tranken wir noch einen Kaffee, ich machte den beiden klar, daß ich müde sei. Im Hotel boten sie sich an, heute wiederzukommen. Beide sind Familienväter, der ein 25, der andere 26. Der Ältere, der mich im Bus begleitete, arbeitet in Bogota und hat Frau und zwei Kinder hier, der andere ist in einem Büro beschäftigt (wo blieb damals mein Misstrauen und meine Vorsicht?). Was erfuhr ich noch von den beiden, die allerdings keinen besonders gut informierten Eindruck machten? Ein Arbeiter soll nicht mehr als 1200 Pesos verdienen; die Scheidung ist nicht möglich. – Gerade habe ich mir eine Lokalzeitung von Manizales „La Patria“ gekauft. – Die Populärmusik in Kolumbien erinnert sehr an den portugiesischen Fado und ist wie dieser sehr einfach strukturiert. Amerikanische Musik hört man im Original nicht, allenfalls Übersetzungen. – Mittagszeit. Gerade zurück von einem Stadtrundgang mit den beiden von gestern Abend. So elend ist die Stadt nicht, wie sie mir heute Morgen vorkam. Wir kamen durch ein Viertel mit ganz originellen alten Wohnhäusern, das machte einen vertraulichen Eindruck. Erfahren: Es gibt hier drei große Parteien, die Liberalen, die jetzt an der Macht sind, die Konservativen und eine weitere Partei, von der sie nur die Abkürzung kannten. Die Stadt wimmelt von Polizisten, warum? – In einem Cafe. Ich trinke einen „tinto“, sehr „grande“, in einem dieser typischen Cafes mit Schallplattenmusik. Der Kaffee schmeckt auch schwarz ausgezeichnet, mild, nicht bitter. Das Wetter wechselt von einer Stunde zur anderen unerhört schnell, plötzliche Nebeleinfälle weichen schönstem Sonnenschein und umgekehrt. Ich fühle mich wohl hier, wenngleich ich meine Fotosachen besser aufgehoben wüßte als im Hotelzimmer. Zum Kaffee: Das war gewöhnlicher „Instant“-Kaffee – was doch die Einbildung zuwege bringt. Inzwischen ist es 6 Uhr abends geworden. Ich würde mich jetzt gerne etwas mit Medizin beschäftigen, ganz beiläufig mit Mikrobiologie (mir fällt wieder einmal nicht ein, wie der Erreger der Ruhr heißt, das ist schon lächerlich). Schmerz um I. und U., ja, auch U. vermisse ich, mit ihrer Unbeschwertheit und Sorglosigkeit, ihrer Appetitlichkeit und Freude am Körperkontakt konnte sie mich von I. ablenken, vielleicht sogar abbringen.

28. April: Per Bus Manizales – Armenia – Cali. Im Bus nach Armenia, ½ 8. Ziemlich willkürlich, einmal weil es hier stark regnet, zum anderen weil es wohl auf der Strecke nach Cali liegt, habe ich mich für Armenia als nächstem Reiseziel entschieden. In einer Stadt (Santa Rosa?) in Richtung Armenia: Es regnet immer noch in Strömen. Die Fahrt ging durch kultivierte Wildnis, Kaffeeplantagen, die sich von Berg zu Berg und Hang zu Hang hinzogen, dazwischen Bananenbäume, Agaven, eine exotische Schau. – Pereira: ich versuche Filmaufnahmen der vorüberziehenden Landschaft zu machen, schwierig bis unmöglich. Als ich in Armenia ankam, regnete es so fürchterlich, daß ich mich gleich nach einem Bus nach Cali erkundigte. Und tatsächlich hatte ich praktisch unmittelbar Anschluß mit einem „Directo“-Bus. Wir machen jetzt Station in einer ziemlich einsamen Gegend. Die Landschaft ist völlig verändert. Aus dem Regengebiet sind wir draußen. Das Waldgebiet ist einer kargen, von baumlosen Hügeln geprägter Landschaft gewichen. – Cali: Ja, nun bin ich in Cali, nicht weit vom Pazifik, nachdem die Fahrt heute von den Anden in die beschriebene Landschaft und schließlich in ein weites Tal mündete. Schon ein Stadtbummel. Cali ist noch schön, wird aber nach und nach von häßlichen Betonklötzen verschandelt. Im Zentrum ein Palmenplatz, noch einige reichlich mit Stuck verzierte Gebäude. Neben mich setzte sich eben eine vierschrötige Type, zeigte mir einen „Ausweis“, ich verstand soviel wie „Detektiv“ und etwas von Waffen kontrollieren. Als ich plötzlich zwischen zwei saß, machte ich mich weg. Das Klima ist sehr angenehm. Ja, besonders gut aussehende, gepflegte Damen, die dem Ruf, die schönsten des Landes zu sein, wohl gerecht werden wollen. Sehr viele Neger. – Es ist jetzt ¼ vor 7. Diesmal habe ich doch ein allzu primitives „Hotel“ erwischt, der Belgier in Miami hat es mir empfohlen. Das hätte ich mir doch ersparen sollen, keine Dusche, kein Klo, das alles außerhalb. Aber ich genieße es, durch die Stadt zu laufen, Früchte zu kosten, Süßholz zu lutschen, Fruchtsäfte zu trinken und mir die Menschen anzusehen. Ob ich mit dem Bus weiterfahren soll? Bogota ist nur über einen riesigen Umweg zu erreichen, da gibt es keine direkte Straße, es sei denn, ich fahre weiter nach Süden und versuche nach Neiva zu kommen. Man wird sehen, ich habe es ja nicht eilig. Ich trinke wieder mein Bier. Die Losverkäufer: viele von ihnen sehen aus, als würden sie tagsüber etwas anderes arbeiten. Ein frustrierender Job. Sie werden mit Nichtachtung behandelt; das kann sich nicht lohnen, im mitteleuropäischen Sinn. Insgesamt ist das ein „Verkäufermarkt“ (ist das richtig? Oder doch eher „Käufermarkt“?), der Kleinhandel mit Früchten, Gürteln, Brieftaschen, Gebäck. In den neuen Kaufhallen wird das alles viel appetitlicher angeboten. – Im „Casa des Pasaje“: Das ist nun gar nicht nach meinem Geschmack. Die hygienischen Verhältnisse sind ihr Geld nicht wert, die Dusche kalt. Diesen „Tip“ hätte ich nicht befolgen sollen und lieber ins Hotel gehen. Morgen ziehe ich hier wieder aus.

29. April: Cali. Busbahnhof, ½ 8 morgens. Ich habe mich entgegen meiner ursprünglichen Absicht doch entschlossen, nach Bogota zurückzufahren. Das soll 11 Stunden dauern und kostet 120 Pesos. Mir kam plötzlich zu Bewußtsein, daß ich hier wenig anderes anzufangen wüßte als herumzugehen und -sitzen. Und das kann ich in Bogota auch. Außerdem möchte ich den 1. Mai in Bogota begehen. – In den Bergen zwischen Cali und Armenia (das stimmt nicht, entweder wir haben Armenia nicht durchfahren oder schon hinter uns): Der Bus kam nicht weiter, weil ein Tieflader eine Serpentine nicht schaffte. Es bildet sich schon eine Schlange aus Lastern und Bussen. Ich habe in irgendeiner Stadt einen weißen Käse gekauft und sofort verspeist. Wie lange das hier dauern wird, ist nicht abzusehen. Nicht sehr viel weiter: Der Paß ist noch nicht überwunden. Wieder ein Stop, Ursache nicht sichtbar. Wir haben einen grandiosen Paß befahren. Ibagne: Einen größeren Idioten als mich gibt es nicht. Ich habe meine Brieftasche verloren, ja verloren. Das ist eigentlich nicht zu glauben. Der Junge hinter dem Buffet hat sie gefunden, das ist auch unglaublich. In der Tasche waren 111 Dollars. – Girardot: der innere der linken hinteren Zwillingsreifen hat in der Stadt einen Platten bekommen. Eine Fahrt mit Hindernissen, rechnet man noch meine Brieftaschengeschichte dazu. Das darf ich niemanden erzählen. Es ist herrlich warm. Bogota, Hotel Panamericano: Nach über 12 Stunden Busfahrt wieder in Bogota. Das Hotel liegt wie das Hotel Vas in der Calle 15, ist etwas teurer, aber auch wirklich ruhiger, eher „unser“ Standard, ohne Oberlicht, allerdings spart man auch hier mit Handtüchern, und die Dusche wird auch nicht warm (stimmt nicht, ich habe den falschen Hahn betätigt). Ich überlegte schon die ganze Zeit, wann ich abreisen soll. Die Verabredung mit diesem Emilio (einer der beiden aus Manizales) möchte ich gerne einhalten und den 1. Mai auch hier verbringen. Vorhin fraß ich fast eine halbe Ananas (die ganze für 10 Pesos) und bekam böses Darmgrimmen davon.

30. April: Bogota (Montserrat). Mit einer Seilbahn fuhr ich vom „Tal“ aus hier herauf auf den Montserrat. Leider ist die Stadt in einem leichten Dunstschleier gehüllt. Aber der Ausblick von über 3000 Meter Höhe ist famos. Von unten dröhnt der Lärm dieser 2,5-Millionen-Stadt, den Geruch der Auspuffgase spürt man bis hier oben. – Im Hotel: Entgegen meiner ursprünglichen Absicht, bis Montag zu bleiben, werde ich bereits morgen fliegen und dann doch per Bus weiterfahren. Eine neue Erfahrung: Mit Emilio aus Manizales ging ich in ein Tanzlokal, wo sich Mädchen an unseren Tisch setzten. Es sind bezahlte Damen, und für 20 Flaschen Bier plus die gleiche Menge winziger Portionen Wein für die Damen mußten 140 Pesos auf den Tisch gelegt werden. Das ist nicht viel, aber für den armen Emilio eine Menge, zumal ich nicht mehr als vielleicht 40 Pesos dazusteuern konnte (warum?). Bei einem Gang durch die Stadt wurden wir von Soldaten nach Waffen durchsucht.

1. Mai: Bogota, Aero Puerto Dorado. Adios Bogota. ich sitze im Flugzeug, nachdem mich dieser Pablo Emilio hierher begleitet hat. Der arme Kerl hat sich gestern Abend im Restaurant mit den Animierdamen völlig verausgabt, finanziell. Aber heute Morgen war er pünktlich wie verabredet im Hotel, um mich abzuholen. Ursprünglich wollte ich noch eine Ledertasche kaufen, aber die Geschäfte waren geschlossen und hier am Flugplatz waren sie mir doch zu teuer. Meinem Begleiter soll ich als Andenken (recuerdo) eine Uhr schicken. Das ist keine schlechte Idee (die ich freilich leider nie verwirklichte).
Flug Bogota - Barranquilla – Miami. - Miami, YMCA-Gästehaus. Nach einem angenehmen Flug bin ich gegen 6 (Ortszeit) in Miami angekommen. Mit dem Bus downtown gefahren (30 Cent) und hier im YMCA-Haus für 7,74 Dollar untergekommen. Kleiner Stadtrundgang. Sehr warm, sehr angenehm, da windig. Im Flugzeug war eine Gruppe von Reiseunternehmen-Manager, mit einigen von ihnen ins Gespräch gekommen. Nichts besonderes, aber immerhin den Tip, daß King of Prussia (mein Ziel in den USA) an der Pennsylvenia-Turnpike in Richtung Pittsburgh liegt. Gelegentlich noch Bauchgrimmen, vermutlich immer noch eine Folge der herrlichen Ananas. Ein kurzes Fazit meiner Kolumbien-Reise: Es wäre Unsinn gewesen, diese Möglichkeit außer Acht zu lassen! Diese Reise war ihr Geld und den Aufwand wert.

2. Mai (Freitag): Miami, Greyhound-Busbahnhof. Es ist etwa ½ 12, gerade habe ich mein Ticket für Orlando gelöst, um von dort aus einen Disneyland (richtig: Disney-World)-Besuch zu machen. Immer noch gelegentlich Bauchschmerzen. Gut gefrühstückt. Bis 9 Uhr im Bett., trotz Ventilatorenlärm gut geschlafen.
Orlando, Hotel: Gegen 7 Uhr, vom Greyhound-Bahnhof aus kam ich nach einem vielleicht 20minütigen Marsch nach downtown Orlando. Von hier aus erreicht man am besten Disneyland. Das Hotel kostet 7,80. – Die Stadt wirkt entvölkert. Überall bieten Ständer Prospekte von Florida-Sehenswürdigkeiten an wie „Sunken Treasure“-Museum, man kann einen spanischen Schatz sehen, der bei der Zerstörung ein spanischen Flotte 1715 mit untergegangen ist (in Cap Canaveral), „Titki-Gardens“, „St. Augustin’s Oldest Stor Museum“, „Six Gun Territory“, a complete Western town etc. Das Hemd gewaschen. Ich fühle mich wohl, habe eine Büchse Coca Cola getrunken (schmeckt mir nur hier!).
3. Mai: Orlando – Disney-World, morgens. Gerade habe ich einen Becher Chili and Beans gegessen, eine appetitiliche Sache (immer noch Koliken). Von Orlando mit Greyhound hierher. Menschenmassen, amerikanische Frauen sind solche Schreckschrauben, daß selbst mein nicht allzu empfindliches ästhet. Gefühl von soviel Unansehnlichkeit gestört wird. – Orlando, Greyhound-Busbahnhof: Das Ticket für N. Orleans ist gelöst. - 4. Mai: Nachts Orlando - New Orleans – Tallahassee, Busbahnhof, 0.45. Meine Koliken nehmen zu, besonders nach einem kalten Saft. Sauerei. Am liebsten würde ich mich ins Flugzeug setzen, nach Philadelphia fliegen, dort eine Woche bleiben und mich wieder nach Deutschland abmachen. – New Orleans, Canal Street: Heute bin ich abgestiegen, im Howard Johnson für 23,50 Dollar. Aber nur, weil es mir so schlecht ging. Meine Bauchbeschwerden haben einen beängstigenden Umfang angenommen. Nach einem mehrstündigen Schlaf fühle ich mich zwar zerschlagen, habe Gliederschmerzen und der Bauch rumort immer noch. Aber inzwischen habe ich einen „Whopper“ gegessen, zwei Milchshakes getrunken und einen „apple pie“ verzehrt. Von meinem morgigen Zustand mache ich die Entscheidung „Fliegen oder mit dem Bus weiterfahren“ abhängig. Ich habe das Reisen satt, andererseits möchte ich das vorgenommene „Programm“ (mit dem Bus den Mississippi entlang aufwärts fahren) wenn möglich abwickeln. Im Hotel: Bezeichnende für meinen Zustand ist, daß ich nicht mehr ausgehe, um das „Nachtleben“ von New Orleans zu beobachten. Ich bin einfach zu kaputt.

5. Mai: New Orleans, Hotel H. J. – Als ein „Mann schneller Entschlüsse“ habe ich soeben ein Ticket nach Philadelphia gelöst. So geht das nicht weiter. Ich bin ziemlich derangiert und hoffe nur, daß ich die beiden in King of Prussia auch antreffe. Mit Bananen versuche ich jetzt, den Fluß zu stillen. – Jetzt sitze ich auf einer Bank in einem kleinen Park nahe der Canal Str., nach einem ausgedehnten Fußmarsch durch „Vieux Carree“. Die Stadt „gehört“ den Schwarzen, Weiße sind deutlich in der Minderheit, und die meisten von ihnen dürften ohnehin nicht downtown wohnen. Um 3 Uhr morgens soll die Maschine fliegen, also in mehr als 12 Stunden. - Irgendwo in der Nähe des Flugplatzes: Gerade habe ich eine Büchse „Dixie“-Bier getrunken. Meine Begierde nach Bier hatte ein derartiges Ausmaß angenommen, daß ich „meilenweit“ danach gelaufen wäre. Meine Reiselust ist unter den 0-Punkt gesunken, obwohl mein Bauch sich nach 4 Bananen, einem Apfel und 2 Orangen offenbar wieder zu regenerieren beginnt. Die Koliken sind wesentlich seltener geworden. Ich kann wohl wieder aufatmen. Jetzt noch die Nacht und die „Arbeit“, die Pearsons zu finden. Die werden sich schön wundern. So unwohl fühle ich mich gar nicht mehr, insbesondere die Vorstellung stundenlanger Busfahrten hat mich wohl deprimiert. Im Flughafengebäude: Es geht auf 8 zu, jetzt geht die Warterei los.

6. Mai: Gleich 2 Uhr, in einer Stunde geht die Maschine. – Atlanta, Flughafen: Ein enormer Betrieb ist das hier. Es ist ½ 6 (wohl schon östlicher Zeit). Daß sich mein Darm so schnell beruhigt hat, ist schon für sich beunruhigend. Was sich da wohl abgespielt haben mag? Infektion oder eine Art „Intoxikation“ durch die Ananas? Keine Abneigung gegen die Frucht. Wie meine Damen im Augenblick wohl an mich denken? I. hat genügend Zeit, sie liegt im Bett und pflegt ihren Zeh. – Im Flugzeug (Boeing 727) zwischen Atlanta und Philadelphia: Ein Frühstück „a la America“ hinter mir, zwei Toastschnitten, zwei Würstchen, dazu Syrup und ein Schluck Orangensaft. Der Kaffee war stark aber nicht nach meinem Geschmack. Im Augenblick fliegen wir über ein Seenetz. Es ist wolkenlos. In der Maschine ist es kalt wie in allen Innenräumen dieses Landes, seien es Busse, Geschäfte etc. Das ist eine Zwangskrankheit. Unter mir ist jetzt ein dichter Wolkenteppich. In Ph. Sollen es 48 Grad F sein, also relativ kalt. Den Flug zwischen N. O. und Atlanta habe ich größtenteils verschlafen, und auch jetzt vor dem Start bin ich wieder eingenickt. Die Wolkendecke reißt ab, schräg östlich von uns ist ein Fluß zu sehen. Neben mir studiert eine Mann meines Alters eifrig irgendwelche Papiere. Vorher las er „The Dynamics of Personal Leadership“. Einer, der Karriere machen will. Die Oberflächenstruktur der Wolkendecke hat sich gewandelt, die feine Fältelung ist einer groben, mehr amorphen Form gewichen. Es herrschen Turbulenzen, die Maschine wird geschüttelt und beginnt, tiefer zu gehen. Das Meer ist zu sehen. – Philadelphia, Greyhound-Busbahnhof: Ich bin völlig erledigt und gehe „auf dem Zahnfleisch“. Es gibt Busse nach King of Prussia! Wenn die beiden nicht zuhause sind, werde ich verrückt. Ich brauche unbedingt Schlaf. In einem Büro für Stellenvermittlung sah ich Angebote für Ärzte im Public Health Service, die mit 19 Dollar pro Stunde bezahlt werden. – King of Prussia: Jetzt bin ich hier, und natürlich ist niemand zuhause. Eines weiß ich: lange bleibe ich hier nicht*. Ab Montag kann ich zurückfliegen. Diese Appartementsiedlung wirkt wie eine Geisterstadt, keine Menschen in den Straßen, gelegentlich rollt ein Auto vorbei, keine Kinder, keine Geschäfte, keine Bänke. Hier müssen Menschen ja verrückt werden oder wenigstens depressiv.

7. Mai: King of Prussia – Nach 15 Stunden Schlaf mit nur einer kurzen Unterbrechung sieht die Welt wieder anders aus.

• Geblieben bin dann aber bis zum 31. Mai, weil ich vorher keinen Rückflug bekam. Davon in einem anderen Blog.

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Kommentare (4)

nasti eine schöne und moderne Frau war deine Mutter. Die Mode damals ist heute total In. Ihr Mantel könnte man heute sofort anziehen, besser gesagt wenn die Menschen heute spazieren sollten, werden Sie als hochmodern angestuft.
Deine reisebrichte sind klasse.

LG

Nasti

nasti Dobsina kenne ich sehr gut, als Kind war ich paar mal mit Schule in den wunderschönen Gebiet mit die berühmte --Jaskyna--Hölle oder wie sagt man in deutsch.
Gerade 20 Jahre später wie deine Mutter. Könnte Sie slowakisch sprechen?
Das Foto werde mich interresieren.

LG

Nasti
siegfried Liebe "nasti",
das habe ich während meiner Reise verfasst und es kürzlich einfach abgeschrieben. Ich bin zuweilen selbst erstaunt, was ich in meinem Leben so alles unternommen habe. Vieles davon habe ich schriftlich festgehalten - einiges davon werde ich weiter "bloggen". Du bist ja, wenn ich's richtig gelesen habe, aus Pressburg, pardon Bratislava, also aus der Slowakei. Bei Slowakei denke ich immer an meine Mutter, die in jungen Jahren Kindermädchen u.a. in Dobsina (Dobschina) war. Kennst Du das? Ich besitze davon sogar noch ein Foto aus dem Jahre 1932. Wenn es Dich interessiert, sende ich es Dir in Dein Gästebuch.
Mit besten Grüßen nach Passau
Siegfried
nasti geschrieben, oder in Jahre 1975? Kannst du sich vielleicht so detailiert errinern?
Deine Reiseberichte befriedigen mein unterdruckten Nomadenblut. Bis Jahre 1984 war ich wie eine gesperrte, wir könnten nicht reisen in ehemalige CSSR. Nachholen diesen Defizit ist nicht mehr möglich.
Sehr spannend geschrieben.

Nasti

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