Die Uschi-Rolle

Autor: ehemaliges Mitglied

Die Uschi-Rolle

Ich war ein Leckermäulchen, das nur zu gerne der Oma beim Backen zusah. Recht bald übernahm ich das Backen des Sonntagskuchens für die Familie, da war ich 10 Jahre alt. Der Marmorkuchen gelang immer.

Warum ich trotz solch kalorienreicher Speisen bis ins Alter untergewichtig blieb, ist mir ein Rätsel! Erst in den letzten vier, fünf Jahren hab ich das Gewicht, das meinem Alter und der Größe zusteht. Ich war schon als Teenager diejenige, die - wenn niemand aufpasste - im Vorrat den Schmand von der Milch klaute, futterte und mit Oma außerhalb jeder Mahlzeit auch noch eine Pfanne voll Sahne-Mehl-Salat verspeiste!

Im letzten Realschuljahr gab's auch wöchentlich Hauswirtschaftsunterricht, nicht nur das Schriftliche, sondern auch aktive Küchenarbeit. Kuchen backen gehörte dazu. Mein Lieblingsrezept war die Biskuitrolle! Ich bekam sie so gut hin, dass ich dafür eine "Eins" kassierte. Ich habe damit mein Leben lang meine Familie verwöhnt, mal gefüllt mit Erdbeeren, Früchtegelee oder Sahne pur. Stets war sie als erster Kuchen beim Wochenendtreff des Schiffsmodellklubs im Erwachsnenalter verspeist. Sie hieß bald nicht meher Biskuitrolle, sondern "Uschi-Rolle".

Schon vor ein paar Jahren übernahm meine Tochter das Rezept. Heute sind meine Hände, der Rücken (und die Füße) nicht mehr so zu gebrauchen. Die Polyneuropathie erschwert solcherlei Arbeiten ziemlich. Und jeden Sonntag Kuchen gehört auch der Vergangenheit an. Wir beide sind nicht mehr gertenschlank, der Enkel sollte auch nicht mit zu viel Süßigkeiten verwöhnt werden. Lediglich mein Schwiegersohn könnte die Leckerei vermissen ...

Wir Zwei habne "Rücken". Beiden wurde die LWS operativ versteift. Da sollte zu viel Gewicht auch nicht belasten. Obendrein bekam meine Tochter bei der OP Bluttransfusionen, wovon eine von einer/m Patienti/en mit Diabetes gewesen sein muss. Seither ist auch sie Diabetikerin! Ob es eine Unachtsamkeit des Operateurs war oder eben nur eine - diese - Konserve zur Verfügung stand, werden wir nie erfahren. Ist sowieso vorbei, dagegen etwas zu unternehmen. Wir sind glücklich, dass es für sie keine weiteren Konsequenzen hatte ...

Bei einer Kontrolluntersuchung beim Doc begann ich einmal mit einer Entschuldigung über meinen - wie ich glaubte - zu starken Umfang. Der Arzt schaute mich kopfschüttelnd an: das sei nicht der Fall. Aber ich fühlte mich dick, weil ich - wie ich heute weiß - lebenslang untergewichtig war, nun endlich etwas mehr auf den Rippen habe. Das Wissen, stets vor und nach den Mahlzeiten mit der Familie gnadenlos genascht, Reste gefuttert und die Hälfte den Nachmittags-Kaffees für 9 Personen schnell vor ihnen gefuttert hatte, erklärt sich wohl durch meine "gute" Futterverwertung(??!). Ich kannte kein Sättigungsgefühl! Selbst die Reste der selbst gekochten Fläschchennahrung für meine Kinder setzten nicht an. Ich weiß nicht, wie lange ich mich dafür geschämt habe, so ein Freßsack zu sein.

Andererseits sehe ich noch heute in meinem Kopf, wie unser Vater am Abendbrottisch nach dem Abendessen, wenn noch ein wenig geplaudert wurde und der Tisch noch nicht abgeräumt war, immer wieder nach ein paar Resten der Bratkartoffeln oder des Aufschnitts griff ...

Das fehlende Sättigungsgefühl hat sich wohl vererbt ...
 


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Kommentare (2)

ehemaliges Mitglied

Es fällt mir erst jetzt auf: Meine große Schwester und meine Mutter lächeln beide auf dem Foto, mein Vater und ich schauen recht ernst ...

Was meinen Papa angeht, könnte es so gewesen sein, dass er noch nach dem Wissen reagierte: Männer lächeln nicht für Fotos!

Und bei mir mag es die Tatsache gewesen sein, dass bei mir nur wenige Jahre später meine Kurzsichtigkeit diagnostiziert wurde, die sich schon früh mit der Lichtempfindlichkeit meiner Augen zeigte. Doch wer wusste sowas damals??

Mit 10 Jahren ergab sich bei mir die o. g. Diagnose, was die Familie und mich schockierte und Vatis Spruch ergab: ... dann kriegst du eben keinen Mann mit und pflegst mich, wenn ich alt und zittrig bin!

Hab nicht nur einmal als Teenager den Spruch zu hören bekommen: "Mein letzter Wiille - 'ne Frau mit Briile." Ich brauchte 10 Jahre, um den Mut zu haben, mich in der Öffentlichkeit mit Brille zu zeigen (aber das nächtliche Lesen an der Fensterbank im Licht der Straßenlaterne hab ich trotzdem nicht gelassen, es war so mancher "Karl May", den ich so verschlungen habe).

ehemaliges Mitglied

@nnamttor44
PS: Mein Mann fand es passend, dass ich kurzsichtig bin. Ich lernte ihn in der Tanzschule kennen und weil er eine Lehre zum Optiker machte, störte es ihn überhaupt nicht. Im Gegenteil, er versorgte mich recht bald mit den hübschesten oder interessantesten Brillengestellen, eine Zeit lang auch mit Kontaktlinse. Später - als seine Frau - fuhren wir stets gemeinsam zur Optika, weil er mich als Model Am Werbestand brauchte!


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