Die tiefe Geworfenheit in die Sinnentleerung: warum Krokodile keinen Kartoffelsalat mögen
Kürzlich – ich weiß es noch als ob es gestern gewesen wäre, denn auch gestern regnete es ziemlich -, an besagtem Kürzlich fühlte ich mich elend, so richtig elend, sauelend, um es ganz klar, wenn auch in der Sprache der Prolls, zu sagen. Entsetzliches Heideggern hatte sich als Geworfenheit auf Zeit meines innen-drin-Seienden bemächtigt. Ich kam von einer Einladung bei schwäbischen Freunden zurück, die, entsprechend einem an beiden Ufern des Neckars verbreitetem Brauchtum, keinen Aufwand gescheut und mir ein festliches Mahl nach ihrer folkloristischen Landessitte zubereitet hatten. Es gab saure Linsen und Kartoffelsalat „nach Art des Hauses“ reichlich mit Spätzlewasser würzig abgeschmeckt. Kenner der Szene, die auch Hochdeutsch sprechen, wissen diese schwäbische Opulenz zu schätzen; nur für Freunde wird köstliches Spätzlewasser verwendet, für die Familie wird Leitungswasser genommen. Ich Undankbarer! Nach diesem Freundschaftsgenuss fühlte ich mich enigmatisch depraviert, an dem phänomenologischen Paradigma des Da-Seins eines schwäbischen Kartoffelsalats wurde mir die Fragilität des hinteren Seinsgrunds der menschlichen Existenz vom dunklen Raunen begleitet in fragmentarische Bewusstheiten geworfen. Auf solch elende Gedanken kann man kommen, wenn einem die dialektische Materie blöd, genauer: diarrhoetisch, daher kommt.
Wie elend ich mich, kaum zu Hause angekommen, innerlich zutiefst zerrissen, fühlte! Niemand wird das Trauma, das meine Seele nebst meinem Verdauungsapparat wie ein von der Leine losgelassener Weltgeist durchbohrte, nachfühlen können, wenn er niemals am eigenen Leib die Wonnen und deren Folgen der schwäbischen Gastfreundschaft mit ihrer stark eigenartigen Küche ausgekostet hat. Mir kam die Wahrheit in das grelle Tageslicht: der Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ist mit schwäbischem Kartoffelsalat gepflastert.
Alsbald, kaum hatte sich die Geschichte auf das dialektische Sprungbrett begeben – ich befand mich zu dem Zeitpunkt, zu dem das jetzt zu berichtende Geschehen geschah, bereits in der Notaufnahme des am Rande der Stadt gelegenen Kreiskrankenhauses -, nachdem mir ziemlich regelmäßig im Abstand von 3-4 Minuten kleine Portionen von Restsauerkartoffelsalatbrei aus Richtung Magen in Richtung Speiseröhre in verkehrtherumener Peristaltik vordrangen, wobei mein ansonsten beherrschbarer After unkontrollierbar widerliche Dämpfe, die auch noch mit Geräuschen verbunden waren, entließ, alsbald also vermutete ich, dass an diesem demütigenden Elend meiner Seele der Vollmond im Zusammenwirken mit einem ungünstig stehenden Aszendenten vom 3. Mond des Uranus schuld sei, und keineswegs der Umstand, dass die Spätzlebrühe bereits 12 Tage alt war. Freunde kommen doch nicht jeden Tag – Gott sei Dänkle, sagen die Schwaben - vorbei. Wäre Ihnen eine plausiblere erste Erklärung für die dunkle Nacht meine Seelen- und Darmschmerzen eingefallen?
Ich wollte es in meiner peinigenden, tief in meine Existenz hineingeworfenen, in deren dunklen Tiefe stark ausgeprägten Unsicherheit an einem der Entlassung aus dem Kreiskrankenhaus folgenden Abende, nach der oberflächlichen Heilung von der genossenen Freundschaft, genau wissen – und zog mich in meine Privatbibliothek, zum intensiven Studium der causa zurück (was meine Gattin für den Rest des Abends vor den grausamem Winden, die weiterhin meinem After entwichen, verschonte. Einige Tage später, nach meiner vollständigen Genesung, berichtete mir meine Frau, die mich sehr lieb hat, dass sie über meine Rücksichtnahme sehr erfreut war.).
Schon die Anlektüre eines „Handbuchs der Existentialphilosophie“ ließ die sauren Speisereste in meinem Magen dem Beginn des Vergessens anheim fallen; mein After übte seine von ihm gewohnte Funktion wieder fehlerfrei aus, als ob er nie als eine überwindbare Barriere für schauderhafte Winde in einer materialistischen Geschichte gewirkt hätte: ich wurde schon beim zweiten Satz der Einleitung hellwach. „Die Existentialphilosophie wird vor allem als ‚Krisenphilosophie’, als Ausdruck einer Umbruchsituation verstanden, als deren Folge das erlebende Subjekt einer ‚Entfremdung’, einer Sinnentleerung als Wesentlichem, zugeführt wird. Das Subjekt wird als Wesen verstanden, das aus der Sicherheit in die Unsicherheit und heimatlose Ungeborgenheit, in die dunkle Nacht des Elends und seiner endlichen Beschränktheit hinausgeschleudert ist.“
Genau. Genau das ist es. Nachdem ich auf dem Klo sehr zufriedenstellend geschissen hatte, wurde mir schlagartig klar, was das Tiefste unserer Existenz ist, weshalb Krokodile keinen Kartoffelsalat mögen.
These 1.: Krokodile leben nicht in Schwaben, wo es Kartoffelsalat und saure Linsen als besonderen Leckerbissen gibt.
Krokodile („Crocodiliae“, Panzerechsen) leben im Brackwasser und wagen sich gelegentlich ins offene Meer hinaus. Sie haben auch kräftige, lange Schwänze. Das alles gibt es in Schwaben nicht, dort gibt es vor allem Kartoffelsalat und saure Linsen. Weshalb es in Schwaben auch keine Krokodile gibt, weshalb sie dort, wenn sie dort lebten, wirklich sinnentleerte Subjekte einer Entfremdung wären. Und das ist gut so. Denn würden die Krokodile in Schwaben leben, so müssten sie sich – unvermeidbares Schicksal – mit Kartoffelsalat füttern lassen. Das kann man zwar den Schwaben, aber doch nicht den Krokodilen antun! Das würde sie mit Gewissheit, so mein „Handbuch der Existentialphilosophie“ aus „der Sicherheit in die Unsicherheit und heimatlose Ungeborgenheit, in die dunkle Nacht des Elends und seiner endlichen Beschränktheit hinausschleudern“.
These 2.: Im Brackwasser, wo die Krokodile leben, wachsen keine Kartoffeln.
Logischerweise gibt es dort, wo keine Kartoffeln wachsen auch keinen Kartoffelsalat. Nur Fische, Wildtiere und ab und zu einen Touristen, an Festtagen einen feisten Missionar, also genussfähige Produkte, was das Brackwasserbiotop von Schwaben unterscheidet. Daraus muss ganz stringent geschlussfolgert werden, Krokodile, die im Brackwasser leben, können nicht in eine durch Kartoffelsalat und saure Linsen bewirkte Umbruchsituation geraten, die eine Sinnentleerung zur Folge hat. Sie erleben nur eine ganz natürliche Darmentleerung, bei der sie sich von den unverdaulichen Resten von Fischen, Wildtieren und gelegentlichen Touristen und festtäglichen Missionaren trennen. Was ihnen keine seelischen Verwundungen zufügt, denn ihr After ist sehr dehnungsfähig.
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WIR MÜSSEN UNS KROKODILE ALS SEHR GLÜCKLICHE MENSCHEN VORSTELLEN.*
* Die neuere Exegese hat eindrucksvoll nachgewiesen, dass Albert Camus einem Irrtum aufgesessen ist. Sisyphos schleppte keine Steine, sondern wurde mit schwäbischer Küche ernährt.
Gruß
Sam
Kommentare (4)
Liebe Angelika,
ja. Selbst wenn Du Schwäbin sein solltest. Meint ein Badener.
Herzliche Grüße
Sam
Da ist wohl besser, ich sage die Radpartie ins Land der Schwaben ab. Du schreibst; "Sie (die Krokos) haben lange kräftige Schwänze. Das alles gibt es in Schwaben nicht …"
b.G.
Willy