Die Sekretärin
Die Sekretärin
Ich arbeitete mal in einer größeren Zulieferer-Firma der Eisen- und Stahlindustrie, die Winderhitzer herstellte. Von der Autobahn her kann man eine Hochofenanlage eigentlich erst daran erkennen, dass ihr drei Winderhitzer vorgeschaltet sind, die wie zwei große Zwiebeltürme fast die gleiche Größe des Hochofens erreichten.
Der Direktor, dem ich unterstellt war, war ein promovierter Jurist und im Vorstand der Firma. Von zu Hause aus sehr reich, rutschte er unmittelbar nach seinem Examen über Beziehungen in den Vorstand, ohne, wie viele andere, sich erst hocharbeiten zu müssen. Dann heiratete er noch die Tochter eines bekannten Industriellen, so dass er wirklich durch sein Vermögen und durch seine Mitgliedschaften in allen wichtigen Clubs überall hin weitreichende Verbindungen hatte.
Man merkte ihm an, dass ihm bisher immer alles zugeflogen war, und dass er sich in seinem bisherigen Leben niemanden hatte beugen oder unterordnen müssen. Was im Umgang mit ihm zunächst auffiel, waren seine sprunghaften Stimmungswechsel. Wenn er gut gelaunt war, versprühte er Wohlwollen nach allen Seiten, spielte den Charmebolzen und nannte alle Frauen 'Schätzchen', legte mir mal in einer solchen Phase am Dienstag nach Ostern die Hände auf den Kopf und sagte "urbi et orbi", was ich als ziemlich unangenehm empfand.
War er jedoch in schlechter Stimmung, sauste er wie ein Feuerteufel durch die Abteilungen und terrorisierte die Leute. Der Leiter der Abteilung 'Allgemeine Verwaltung', der sich durch Tüchtigkeit hochgearbeitet, aber keine Hochschulausbildung hatte, kam einmal käsebleich zu mir reingestürzt, der 'Alte' hätte ihn in miesester Laune angerufen und verlangt, dass er ihm sofort die Liste mit den 'posedere' bringen sollte. Natürlich wußte der Direktor genau, dass der Mann diese Wort nicht verstehen konnte, weil er nie Latein gelernt hatte. Ich sagte dem Verwaltungsleiter dann, damit wären wahrscheinlich unsere Liegenschaften und Besitztümer gemeint. Oder er kanzelte ein Betriebsratsmit-glied wie einen Schuljungen ab, er solle in einer anständigen Haltung vor ihm stehen usw. usw.
Dieser Direktor hatte eine Sekretätin, intelligent und tüchtig. Sie warnte die anderen immer, wenn der Stimmungspegel auf Sturm stand. Aber er konnte sie einfach nicht ausstehen, und niemand wußte warum, denn sie war wirklich nett. Aber gerade diese seine Sekretärin wurde zum Mittelpunkt seiner übellaunigen Attacken, und er behandelte sie, als wäre sie seine Leibeigene, die er in Gegenwart anderer brüskierte und mit gemeinen Ausdrücken belegte, von denen 'blöde Kuh' noch der harmloseste war. Dabei wußte er genau, das sie als alleinerziehende Mutter auf die Stelle und auf das Gehalt angewiesen war.
Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel!
Eines Tages platzte eine Bombe. Was war geschehen? Innerhalb eines Jahres waren Achthundertfünfzigtausend DM (so lange ist das schon her...) in bar verschwunden. Der Aufsichtsrat veranlaßte eine unabhängige externe Prüfung, die zutage brachte, dass die verschwundene Summe über das Spesenkonto gerade dieses Direktors abgebucht worden war.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass es seine Sekretärin gewesen war. Sie hatte durch einen simplen Trick von dem Hauptkassierer der Firma im Laufe des Jahres mal zwanzigtausend, ein andermal dreißigtausend usw. als Spesenvorschuß für den Direktor abgeholt und auch die Auszahlungsquittungen abgezeichnet, sich das Geld aber in die eigene Tasche gesteckt. Dem Kassenleiter, der immer darauf hinwies, dass diese Quittungen auch von ihrem Chef abgezeichnet sein müssten, sagte sie: "Sie kennen ihn doch, das macht der einfach nicht." Und weil alle ihn so kannten, war das ohne weiteres glaubhaft.
Es kam zu einer Gerichtsverhandlung, wo diese Sekretärin richtig auspackte. Sie erzählte dem Gericht alles, was ihr Chef ihr und den anderen angetan hatte. Dann brachte sie ein Gutachten bei, dass besagte, dass sie sich durch die ständigen Demütigungen in einer psychologischen Zwangslage befunden hätte, wo die Entwendungen einfach als Kompensation zur Stabilisierung ihrer Psyche gedient hätten. Sie erzählte dem amüsierten Gericht, dass sie sich nach jedem Schimpfwort ihres Chefs entsprechend der von ihr empfundenen Schwere der Beleidigung in ihrem Inneren gesagt hatte: "Das kostet dich jetzt zwanzigtausend", und beim Nächstenmal: "Das kostet dich jetzt dreißigtausend", wonach sie jeweils gleich zur Kasse heruntergegangen und sich den von ihr festgesetzten Betrag abgeholt hätte. Danach hätte sie sich dann immer wohler gefühlt. Und im übrigen: nein, von dem Geld hätte sie keinen Pfennig mehr, das hätte sie schon alles ausgegeben, leider! Hausdurchsuchungen bei ihr ergaben nichts, sie mußte lediglich die Ohrringe, die sie sich von diesem Geld gekauft hatte, zurückgeben. Durch ihre Schilderungen und durch das Gutachten wurden mildernde Umstände angerechnet, und sie wurde zu einer Gefängnisstrafe von achtzehn Monaten auf Bewährung verurteilt.
Der Direktor bekam vom Aufsichtsrat, der zu den Gerichtsterminen einen Beobachter geschickt hatte, seine fristlose Kündigung und musste sofort gehen, nachdem er sich zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen schriftlich verpflichtet hatte, der Firma den gesamten Schaden, der durch seine 'mangelnde Aufsicht' entstanden war, zu ersetzen.
Unsere Sekretärin jedoch wurde häufiger von ihren früheren Kollegen und Kolleginnen in der Stadt getroffen. Gut gelaunt, gut gekleidet. Ja, es gehe ihr gut. Mit einer neuen Stelle eile es ihr noch nicht so, sie lerne jetzt Sprachen, was sie sich schon immer gewünscht hatte, und kümmere sich im übrigen um die Erziehung ihres Sohnes, der sich sehr freue, seine Mammi jetzt immer zu Hause zu haben. Und für eine Dampferkreuzfahrt im Mittelmeer hätte sie sich auch schon angemeldet; ihr kleiner Sohn, der mitfahren dürfe, wäre schon ganz aus dem Häuschen.
Dann wurde in der Firma gemunkelt, die Sekretärin hätte sich jedoch einer früheren Kollegin anvertraut, dass sie das Geld langfristig auf einer Bank in Holland angelegt hätte und jetzt gut und gerne bis an ihr Lebensende von den Zinsen leben könne.
Sehe ich jetzt etwa jemanden schmunzeln?
Ich arbeitete mal in einer größeren Zulieferer-Firma der Eisen- und Stahlindustrie, die Winderhitzer herstellte. Von der Autobahn her kann man eine Hochofenanlage eigentlich erst daran erkennen, dass ihr drei Winderhitzer vorgeschaltet sind, die wie zwei große Zwiebeltürme fast die gleiche Größe des Hochofens erreichten.
Der Direktor, dem ich unterstellt war, war ein promovierter Jurist und im Vorstand der Firma. Von zu Hause aus sehr reich, rutschte er unmittelbar nach seinem Examen über Beziehungen in den Vorstand, ohne, wie viele andere, sich erst hocharbeiten zu müssen. Dann heiratete er noch die Tochter eines bekannten Industriellen, so dass er wirklich durch sein Vermögen und durch seine Mitgliedschaften in allen wichtigen Clubs überall hin weitreichende Verbindungen hatte.
Man merkte ihm an, dass ihm bisher immer alles zugeflogen war, und dass er sich in seinem bisherigen Leben niemanden hatte beugen oder unterordnen müssen. Was im Umgang mit ihm zunächst auffiel, waren seine sprunghaften Stimmungswechsel. Wenn er gut gelaunt war, versprühte er Wohlwollen nach allen Seiten, spielte den Charmebolzen und nannte alle Frauen 'Schätzchen', legte mir mal in einer solchen Phase am Dienstag nach Ostern die Hände auf den Kopf und sagte "urbi et orbi", was ich als ziemlich unangenehm empfand.
War er jedoch in schlechter Stimmung, sauste er wie ein Feuerteufel durch die Abteilungen und terrorisierte die Leute. Der Leiter der Abteilung 'Allgemeine Verwaltung', der sich durch Tüchtigkeit hochgearbeitet, aber keine Hochschulausbildung hatte, kam einmal käsebleich zu mir reingestürzt, der 'Alte' hätte ihn in miesester Laune angerufen und verlangt, dass er ihm sofort die Liste mit den 'posedere' bringen sollte. Natürlich wußte der Direktor genau, dass der Mann diese Wort nicht verstehen konnte, weil er nie Latein gelernt hatte. Ich sagte dem Verwaltungsleiter dann, damit wären wahrscheinlich unsere Liegenschaften und Besitztümer gemeint. Oder er kanzelte ein Betriebsratsmit-glied wie einen Schuljungen ab, er solle in einer anständigen Haltung vor ihm stehen usw. usw.
Dieser Direktor hatte eine Sekretätin, intelligent und tüchtig. Sie warnte die anderen immer, wenn der Stimmungspegel auf Sturm stand. Aber er konnte sie einfach nicht ausstehen, und niemand wußte warum, denn sie war wirklich nett. Aber gerade diese seine Sekretärin wurde zum Mittelpunkt seiner übellaunigen Attacken, und er behandelte sie, als wäre sie seine Leibeigene, die er in Gegenwart anderer brüskierte und mit gemeinen Ausdrücken belegte, von denen 'blöde Kuh' noch der harmloseste war. Dabei wußte er genau, das sie als alleinerziehende Mutter auf die Stelle und auf das Gehalt angewiesen war.
Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel!
Eines Tages platzte eine Bombe. Was war geschehen? Innerhalb eines Jahres waren Achthundertfünfzigtausend DM (so lange ist das schon her...) in bar verschwunden. Der Aufsichtsrat veranlaßte eine unabhängige externe Prüfung, die zutage brachte, dass die verschwundene Summe über das Spesenkonto gerade dieses Direktors abgebucht worden war.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass es seine Sekretärin gewesen war. Sie hatte durch einen simplen Trick von dem Hauptkassierer der Firma im Laufe des Jahres mal zwanzigtausend, ein andermal dreißigtausend usw. als Spesenvorschuß für den Direktor abgeholt und auch die Auszahlungsquittungen abgezeichnet, sich das Geld aber in die eigene Tasche gesteckt. Dem Kassenleiter, der immer darauf hinwies, dass diese Quittungen auch von ihrem Chef abgezeichnet sein müssten, sagte sie: "Sie kennen ihn doch, das macht der einfach nicht." Und weil alle ihn so kannten, war das ohne weiteres glaubhaft.
Es kam zu einer Gerichtsverhandlung, wo diese Sekretärin richtig auspackte. Sie erzählte dem Gericht alles, was ihr Chef ihr und den anderen angetan hatte. Dann brachte sie ein Gutachten bei, dass besagte, dass sie sich durch die ständigen Demütigungen in einer psychologischen Zwangslage befunden hätte, wo die Entwendungen einfach als Kompensation zur Stabilisierung ihrer Psyche gedient hätten. Sie erzählte dem amüsierten Gericht, dass sie sich nach jedem Schimpfwort ihres Chefs entsprechend der von ihr empfundenen Schwere der Beleidigung in ihrem Inneren gesagt hatte: "Das kostet dich jetzt zwanzigtausend", und beim Nächstenmal: "Das kostet dich jetzt dreißigtausend", wonach sie jeweils gleich zur Kasse heruntergegangen und sich den von ihr festgesetzten Betrag abgeholt hätte. Danach hätte sie sich dann immer wohler gefühlt. Und im übrigen: nein, von dem Geld hätte sie keinen Pfennig mehr, das hätte sie schon alles ausgegeben, leider! Hausdurchsuchungen bei ihr ergaben nichts, sie mußte lediglich die Ohrringe, die sie sich von diesem Geld gekauft hatte, zurückgeben. Durch ihre Schilderungen und durch das Gutachten wurden mildernde Umstände angerechnet, und sie wurde zu einer Gefängnisstrafe von achtzehn Monaten auf Bewährung verurteilt.
Der Direktor bekam vom Aufsichtsrat, der zu den Gerichtsterminen einen Beobachter geschickt hatte, seine fristlose Kündigung und musste sofort gehen, nachdem er sich zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen schriftlich verpflichtet hatte, der Firma den gesamten Schaden, der durch seine 'mangelnde Aufsicht' entstanden war, zu ersetzen.
Unsere Sekretärin jedoch wurde häufiger von ihren früheren Kollegen und Kolleginnen in der Stadt getroffen. Gut gelaunt, gut gekleidet. Ja, es gehe ihr gut. Mit einer neuen Stelle eile es ihr noch nicht so, sie lerne jetzt Sprachen, was sie sich schon immer gewünscht hatte, und kümmere sich im übrigen um die Erziehung ihres Sohnes, der sich sehr freue, seine Mammi jetzt immer zu Hause zu haben. Und für eine Dampferkreuzfahrt im Mittelmeer hätte sie sich auch schon angemeldet; ihr kleiner Sohn, der mitfahren dürfe, wäre schon ganz aus dem Häuschen.
Dann wurde in der Firma gemunkelt, die Sekretärin hätte sich jedoch einer früheren Kollegin anvertraut, dass sie das Geld langfristig auf einer Bank in Holland angelegt hätte und jetzt gut und gerne bis an ihr Lebensende von den Zinsen leben könne.
Sehe ich jetzt etwa jemanden schmunzeln?
LG Monique