Die Glosse vom 02. März 2009 (etwas erweitert und verbessert)


Die Glosse vom 02. März 2009


Was ich gerne mag:

... nun, eine Debatte, eine Diskussion, wie sie hier in Zusammenhang mit Tilman Jens und seinem Buch „Demenz“ verlaufen ist. Durchaus persönlich-pointiert, engagiert, im Rahmen der Möglichkeiten substantiell und informativ (fast niemand hatte bisher das Buch von Tilman Jens gelesen; somit waren alle auf die Informationen in der Presse und in anderen Medien angewiesen), jedoch fast völlig der Verzicht auf die sonst hier so häufigen persönlichen Animositäten (oft gesteigert bis zur dümmlichen Anpöbelei).
Durchaus spannend (wenn der Begriff hier angebracht ist), wie sich die Diskussion hier – durchaus analog zur öffentlichen Debatte – entfaltet hat.

Wie sich die verschiedenen Aspekte herauskristallisierten: von der möglichen Frage der individuellen und kollektiven Verdrängung der Vergangenheit (eine Problematik, die offenbar immer und überall virulent ist, also nicht etwa auf die nationalsozialistische Deutschlands beschränkt ist - eine Problematik, die mich aufgrund von Herkunft und Biographie seit über fünfzig Jahre beschäfigt!) ) über die Person Tilman Jens (bzw. dessen Verhältnis zum Vater), die sich häufig ergebende Eltern-Kind[er]/Vater-Sohn-Problematik und die individuelle und gesellschaftliche Problematik, die sich aufgrund der wachsenden Bedeutung der Alzheimerschen Demenz ergibt, bis eben zur Frage des eigenen Standpunkts zur ganzen Problematik.
Denn offenbar gibt es hier keine „objektive“, sondern allenfalls eine „subjektive“ Wahrheit. Die Wertbegriffe, die von einzelnen Diskussionsteilnehmern angeführt wurden, werden eben inhaltlich unterschiedlich ausgelegt.
Jemand schrieb zutreffend, daß „wir alle haben unsere ganz eigene Lebensgeschichte und keine wird der anderen gleichen, höchstens mal ähneln“, so daß wir eben eine andere Lebensgeschichte auch unterschiedlich sehen und beurteilen. Und somit auch ... „Was der eine als Sturz eines Denkmals ansieht, betrachtet der/die andere als Aufarbeitung der eigenen Geschichte.“
Explizit hingewiesen sei auf die so zutreffende Aussage von Herrn Carlos, der darauf hinwies, daß „das Vorgehen des Sohnes Tilman beste Jens’sche Tradition“ sei.
Diese Diskussion insgesamt könnte man eine kleine Sternstunde der Aufklärung hier im ST nennen.


Was ich nicht mag:

... die übergeordnete These (Was ich nicht mag ...) modifiziere ich: Was ich im Falle die oben erwähnten Diskussion kritisch anmerken möchte.)

Einmal die subjektive Befangenheit bei einem solchen Fall und einer solchen Problematik.
Häufig befindet sich der ältere Diskutant in einer Doppelrolle: die eines Kindes gegenüber den (vielleicht noch lebenden) Eltern; und dann als Elternteil gegenüber den eigenen Kindern.
Vielleicht hat der einzelne seine Eltern als despotisch, neurotisch, egoman, tyrannisch etc. erlebt und erlitten, dies aber nie seinen Eltern gegenüber gesagt. Mögliche Folge: Ein durch die Eltern traumatisiertes Leben. (Übrigens: Gar nicht so einfach, das festzustellen und dann auch noch zuzugeben. Gleichsam ein Göttersturz ...)

Und die eigene Elternrolle ... Vor Jahren ein Buchtitel: Wir wollen ja nur Dein Bestes. Die berechtigte Frage aus der Sicht des Kindes ist die, ob denn das von den Eltern Gewollte tatsächlich das Beste für das Kind war und ist.

Könnte es sein, daß bei den wertenden Anmerkungen zum Falle Jens gerade die eigene Situation (gegenüber den eigenen Eltern, die Rolle als Elternteil gegenüber den eignen Kindern) eine oder die die entscheidende Rolle spielte?

Eine andere Frage ist, wieweit ein solches Geschehnis zuerst und/oder vor allem ein medial inszeniertes Geschehen ist? Denn erst durch die Medien und vor allem in den Medien entfaltet sich das Ganze – eben als mediales Ereignis. Wie weit entspricht die mediale Wiederspiegelung überhaupt dem realen Geschehen? Da wird die subjektive Rezension eines Buches für eine – letztlich gar nicht mögliche – objektive Darstellung gehalten. Da nimmt das medial inszenierte Geschehen für blanke Realität gehalten.
Vielleicht ist mit dem Interview mit Tilman Jens im STERN letzter Woche die mediale Luft aus dem Ganzen heraus ... es geht und ging vielleicht gar nicht um ein Problem mit vielen Facetten, sondern nur um ein mediales Ereignis

In diesem Zusammenhang muß noch ein Aspekt genannt werden: Die Mythologisierung und damit verbunden die Entmythologisierung öffentlicher, berühmter Personen.
Auf der einen Seite tragen die Medien maßgeblich dazu bei, auf der anderen Seite sind Menschen für solche Mythen anfällig; wir Menschen brauchen offenbar Mythen und „Helden“.
Und damit verbunden: wir „haben [...] eine Heidenangst davor, daß unsere Helden und somit auch wir selbst demontiert werden.“


Über mich:

Natürlich war ich mir bereits zu Beginn der Diskussion meines möglichen subjektiven Standpunktes bewußt ... Walter Jens war durchaus eine Autorität für mich, obwohl ich ihn in meiner Tübinger Zeit durchaus menschlich-allzumenschlich erlebt hatte. Aber man unterschied zwischen dem gesprochenen und/oder geschriebenen Wort, also dem Wert der Worte, und eben der Person.
Aber ich bin nicht frei von Betroffenheit. Ob Grass, ob Jens ... ob alle diese anderen öffentlichen Personen, die letztlich als junge Menschen mit dem Nationalsozialismus zu tun hatten ... ich hätte es erwartet; sahen wir besser: gewünscht, daß sie sich in irgendeiner Form dazu rechtzeitig bekannt hätten. Um ihrer ganzen Glaubwürdigkeit willen; vielleicht wäre manchen Menschen ihr Engagement für Demokratie etc. (noch) glaubwürdiger gewesen. Aber auch um der Gesellschaft, d.h. den jüngeren Menschen, den Menschen im Ausland, ein Beispiel zu geben, daß man Irrtümer erkennt und dann entsprechend handelt.
Auch als Mensch meiner Herkunft und mit meiner Biographie erlaube mir nicht zu bewerten und zu beurteilen, was und wie damals auf diese Menschen Propaganda etc. einwirkte. Denn ich habe häufig in meinem Leben daran gedacht, wie ich mich verhalten hätte, wenn ich mit „anderem Vorzeichen“ geboren wäre ... was hätte ich erkannt, wie hätte ich reagiert?
Andererseits: Mein Respekt und meine Bewunderung denen gegenüber, die das Verbrecherische des Systems erkannt hatten und die dagegen handelten, ist im Laufe der Jahre immer mehr gewachsen.


Die Bertha
vom Niederrhein

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Kommentare (1)

marianne ...auf die sonst üblichen Animositäten.." entschuldige Bertha, wenn ich nicht ganz korrekt zitiere (Hochscrollen ist nicht so meins...:)
Aber das war auch mein Eindruck von diesem Themenstrang.

Es war so, als Ursula den Thread begann, hatte ich noch gar nichts in der ZEIT gelesen!
Danke dir für diese Zusammenfassung,
M

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