DIE FRAU IM AQUARIUM




Niemand sieht sie, außer mir! Niemand sieht die Frau im Aquarium!
Das begann so.
Anfangs sah ich sie manches mal, wenn ich an der Kreuzung stand und auf Grün wartete. Da saß sie immer öfter in dem Auto neben mir.
Sie schaute mich an und ich sah ein kleines Lächeln aufblitzen in ihren grünen Augen. Es ergriff mich jedes Mal ein unglaubliches Glücksgefühl. Die Ampel schaltet auf Rot und sie bog ab.
Mein Büro lag im sechsten Stock des Bürotowers mitten im Geschäftsviertel. Ich fuhr regelmäßig mit dem Lift und eines Tages sah ich sie auf den Lift zukommen. Doch sie kam zu spät, die Lifttüre schloß sich. Ich sah nur mehr ihr Lächeln und ihren Blick. Ich versuchte den Lift zu verlassen, doch es war zu spät. Die Türe war und blieb zu.

Der Vormittag verging in Windeseile mit Telefonaten, Besprechungen und dem Studium von Akten. Ich verdrängte dieses Gesicht, diese Augen, aus meinem Gedächtnis.

An einem der Tage begab ich mich erst spät in den kleinen Schnellimbiß im dritten Stock des Bürogebäudes und suchte lustlos irgend etwas, um meinen Hunger zu stillen. Ich setzte mich in die hinterste Ecke und beginne meine Pizza zu verzehren. Da spürte ich sie wieder, diese Blicke! Ich sah mich suchend um und versinke wieder, ganz überraschend, in den grünen Augen dieser wunderbaren Frau. Mit einer ungestümen Bewegung schüttelte sie ihre dunkelbraune Haarmähne zurück, nahm ihre Handtasche vom Stuhl und strebte dem Ausgang zu. Ich versuchte mich rasch aus meinem Eck frei zu schwimmen und stürzte Richtung Ausgang, nicht ohne mit einigen Leuten zusammen zu stoßen. Endlich erreichte ich die Ausgangstüre und stürmte ins Freie. Ich sah gerade noch, wie sie ein Taxi bestieg und stand dann völlig hilflos, mit einer Serviette in der Hand am Rande des Gehsteiges.

Der restliche Nachmittag zog sich endlos in die Länge. Meine Gedanken schweiften immer ab und zu ihr. Ich konnte mich nur etwas beruhigen, wenn ich den Fischen in dem großen Aquarium in meinem Büro zusah. Es nahm die Seitenwand des Büros völlig ein und diente der Meditation. Die Bewegungen der Fische hatten etwas beruhigendes für mich. In meinen Träumen bin ich oft ein Fisch gewesen, bin in völliger Stille und Harmonie zwischen den Wasserpflanzen geschwommen.

Nach Büroschluß traf ich dann Frank in der Bar unten im Erdgeschoß.
Bereits zum wiederholten Mal erzählte ich ihm wieder einmal von dieser Frau, der ich immer wieder um ein Haar begegne, es aber nie wirklich schaffe, sie anzusprechen.

Wie bereits anläßlich meinen früheren Erzählungen, lachte er mich auch heute wieder aus. Viel zu oft habe ich ihn schon auf diese Frau aufmerksam gemacht, wenn ich sie auch in seiner Gegenwart sah. Doch er konnte sie nie sehen, er war einfach zu langsam und träge, konnte meinen Hinweisen nicht so schnell folgen. Dann war sie wieder in der Menge verschwunden.

In dieser Nacht träumte ich von ihr. Ich traf sie im Lift, wir fuhren langsam nach oben, sie lächelte mich an, sprach kein Wort. Sie ließ es geschehen, daß ich ihren Arm nahm und sie in mein Büro führte. Wir setzten uns und sie blickte fasziniert auf das Aquarium, auch ihr gefiel es, den Fischen zuzusehen. Ich erzählte ihr von meinen Träumen. Doch sie lachte darüber, konnte meine Träume nicht nachvollziehen.
Warum hat sie gelacht, mich sogar vielleicht absichtlich verletzt? Plötzlich war sie mir fremd, erschien mir kalt und abweisend.

Irgendwann sind wir dann gegangen, schweigend. Die Nacht war dunkel, der Fluß schwarz und bedrohlich.

Dann bin ich aufgewacht.

Es wäre noch eine Weile so weiter gegangen, wenn ich nicht am Morgen im Büro die Zeitung aufgeschlagen hätte. Da sah ich ihr Bild. Das Blut gerann mir in den Adern! Das Bild zeigte diese wunderbare Frau, jedoch mit geschlossenen Augen und seltsam starrem Gesichtsausdruck. Darunter stand, sie sei ermordet worden. Man hatte sie aus dem Fluß gefischt. Es traf mich wie ein Blitzschlag. Ich sprang auf und ging zum Fenster und riß es auf um Luft zu schnappen.
Unter mir pulsierte die große Stadt, der Verkehrslärm kam nur gedämpft zu mir herauf. Irgendwo da unten hatte sie gelebt, ich habe sie gekannt! Was hatte sie für eine Stimme? In meinem Traum hatte sie eine dunkle, erotische Stimme. Sie paßte wunderbar zu ihr. Ich hielt mich am Fensterrahmen fest und holte tief Luft.
Ein Geräusch ließ mich in die Wirklichkeit zurückfinden und ich drehte mich um. Da sah ich sie wieder, sie schwamm in meinem Aquarium, das Wasser plätscherte und ihre Haare waren gelöst und umschmeichelten ihr Gesicht, aus ihrem Munde kamen Wasserblasen und sie lächelte mir zu. Ihr wunderbarer Körper war über und über mit Schleiern bekleidet, die gemeinsam mit den Fischen im Wasser schwebten.

„Sie ist nicht tot, sie ist in meinem Aquarium!“ Schrie ich immer wieder. Alle im Büro konnten mich hören. Sie kamen herein und starrten das Aquarium an. Gott sei Dank, jetzt konnten auch alle anderen und auch Frank sie endlich sehen.

Nun war ich hier, ich saß in einem fast völlig leeren Raum und warte. Nur ein Bett und ein kleines Tischchen sind hier drinnen. Mir ist kalt und ich möchte nach Hause gehen. Ich muß aber auf den Arzt warten, man hat mir gesagt, er möchte mit mir sprechen. Eigentlich wollte ich zu keinem Arzt.
Man hat mir auch erzählt, diese tote Frau hätte Wasser aus meinem Aquarium in der Lunge gehabt. Mir ist das unverständlich.

Ich freue mich schon, wenn ich wieder in meinem Büro sitzen werde und sie zwischen meinen Fischen und den Wasserpflanzen schweben wird.




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Kommentare (1)

hafel So manch eine Fata Morgana hat einen den Verstand geraubt. Man denkt, man ist am Ziel..... und dann löst sich alles im Nichts auf.

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