Die etwas andere Weihnachtsfeier


Ich sollte am hl. Abend in der Bahnhofsmission einer deutschen Großstadt eine Weihnachtsfeier durchführen. Mir wurde echt schummerig deswegen, denn ich hatte keine Erfahrung darin und hatte das Bild von stark alkoholisierten und randalierenden Obdachlosen vor mir, von Polizeieinsätzen deswegen usw... Uff, ob das wohl gut ging?

Diese Begebenheit kam mir in den letzten Tagen wieder in Erinnerung; sie ist schon eine Zeitlang her. Über unseren Gemeindepfarrer trat die Caritas an mich heran mit der Bitte, ob ich in der Bahnhofsmission in der Weihnachtsnacht die übliche Weihnachtsfeier gestalten könne, damit die sonstigen Mitarbeiter und Helfer den Weihnachtsabend frei hätten und ihn mit ihren Familien verbringen könnten.

Trotz einiger Bedenken sagte ich zu. Als ich am Nachmittag schon hinging, war schon alles vorbereitet: Der kleine Weihnachtsbaum, schön geschmückt, die Kerzen, ein Plattenspieler mit Weihnachtsliedern, viele kleine Geschenke - Schlipse, Socken, Schals und kleine Geschenke für Frauen...

Es wurde schnell dunkel und erst drei Leute waren da. An solchen Feiertagen sind viele einsame Menschen am Bahnhof, weil sie es zuhause allein nicht aushalten. Ich selbst hatte schon Not und Einsamkeit erlebt, und vielleicht hatte das mich sensibel gemacht, um diese Einsamkeit auch in anderen zu entdecken. So machte ich mich auf die Socken und sprach auf dem Bahnhofsgelände und auch auf dem Vorplatz viele Menschen an und lud sie zu unserer Feier ein. Und bald waren wir eine große Gruppe von 25 - 30 Personen. Der Raum war fast zu klein. Und was waren da für Leute zusammengekommen: Jede Menge Obdachlose, einige Prostituierte, ein Zuhälter, der sich mir als 'Beschützer' vorstellte. Ich erinnere mich weiter an eine Frau aus Kanada, die in einem Anflug von Heimweh über Weihnachten nach Deutschland kam, um Freunde zu besuchen, welche aber inzwischen alle verstorben waren.

Einige dieser Obdachlosen, die ich auf dem Bahnhofsvorplatz ansprach, weil es draußen kalt war, sagten mir, sie hätten Bahnhofsverbot, weil sie betrunken im Bahnhofsgelände randaliert hätten... Also ging ich zur Bahnhofspolizei und erwirkte, dass man in diesem Weihnachtsabend mal beide beide Augen zudrücken wollte.

So saßen wir nun alle einträchtig beisammen, aßen Kuchen und sangen Weihnachtslieder. Es war eine wunderschöne Atmosphäre, und nichts von all dem Unangenehmen, das ich mir vorgestellt hatte, traf ein. Alle waren innerlich bewegt und brav wie Lämmchen... Eine Frau jedoch, die mir gegenüber saß, wirkte sehr deprimiert und traurig. Ich schrieb auf einen Zettel: "Gott ist die Liebe. Er liebt Sie unendlich und ganz persönlich" und gab ihr diesen Zettel. Als sie ihn las, stürzten ihr die Tränen aus den Augen. Sie steckte ihn in ihre Handtasche und sagte mir, sie würde ihn ihr Leben lang aufbewahren.

Um Mitternacht war in der ganz in der Nähe befindlichen Kirche ein Mitternachtsgottesdienst. Ich hatte vorher dort angerufen und gebeten, man möge einige Bänke freihalten für die Bahnhofsmission. Kurz vor Mitternacht sagte ich allen, nachdem jeder sein Geschenk bekommen hatte und auch für jeden und jede für diese Nacht ein Schlaafplatz besorgt worden war, dass sie alle herzlich zu diesem Mitternachtsgottesdienst eingeladen wären. Aber jeder sei auch völlig frei. Und alle gingen mit, ohne Ausnahme.

Das war ein Bild, als unsere Gruppe in die Kirche einzog! Einige von ihnen hatten die Manteltaschen weit abstehen durch die Bierflaschen, die darin steckten. Wir gingen dann alle in die vorgesehenen Bänke.

Der Gottesdienst war sehr schön; der Pfarrer sagte tiefe Dinge, die genau auf meine Schützlinge paßten. Weil es dann doch etwas lang dauerte, schliefen einige ein. Nur einer fiel mit lautem Gepolter aus der Bank - und schlief weiter!

Anschließend, nachdem wir uns alle verabschiedet hatten, mußte ich noch mal zum Bahnhof zurück, um aufzuräumen, und ging dann hundemüde nach Hause.

Am ersten Weihnachtstag schellte es mittags bei mir. Ich ging noch schlaftrunken zur Tür, und da stand eine ältere Dame, die ich aber nur flüchtig aus der Gemeinde kannte, vor mir mit einem Tablett. Darauf waren nur Sachen, die ich gern aß: Bauernbrot mit toller Wurst, eine Flasche Bier von 'meiner' Markensorte usw. Sie sagte mir, ihr wäre der Gedanke gekommen, ob dieser Mann, der doch in der Nacht in der Bahnhofsmission war, nicht was zu Mittag brauchte? Sie hätte dann diesen Gedanken verscheucht, aber er wäre immer wieder gekommen, und jetzt wäre sie hier...

Ist das nicht eine schöne Geschichte?


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Kommentare (2)

eelewu eine sehr schöne geschichte. ich habe in jungen jahren auch mal für die bahnhofsmission gearbeitet während meines studiums und dort habe ich auch weihnachten erlebt. weihnachtliche grüße von elke und elmar
oessilady hallo Stefan,du hast eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte voll aus dem realen Leben hier erzählt.Ich denke ,Du bist einer der vielen Engel,die Gott hier auf Erden sein läßt um das Gute zu bewirken und damit einen Gegenpol zu all den schrecklichen Dingen,die auf der Welt passieren,halten.Du mußt ein wunderbarer Mensch sein,solches
schöne Gefühl in anderen Menschen zu erzeugen durch das ,was und wie du es machst.
Ich wünsche Dir ein gesegnetes Weihnachtsfest !oessilady

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