Die bösen Töchter ...
Es ist schon seltsam, was sich manchmal im Leben so ergibt. Meine beiden Schwestern und ich heirateten und folgten natürlich unseren Ehemännern, bekamen unsere eigenen Familien, in denen selbstverständlich die eigenen Kinder an erster Stelle standen.
Auch ich zog aus meinem Elternhaus aus, nur vier Jahre später sogar in eine andere, 50 km entfernte Stadt. Es wäre gar nicht möglich gewesen, einem Elternteil täglich pflegend zur Seite zu stehen, wäre es erforderlich gewesen. Der Beruf hielt den Mann in der neuen Stadt fest, seine Eltern zogen hinter uns her, lebten in unserem Haus, für sie hatte ich die Pflege zu übernehmen. Und in unsere Heimatstadt zu fahren, meine Familie dort zu unterstützen, war nur als „Wochenend-Ausflug“ planbar und möglich.
Ich hatte aufgrund einer Hochzinsphase wieder zu arbeiten begonnen. Da ging eines Tages die Bürotür auf und eine frühere Nachbarin stand mir plötzlich gegenüber. Sie wollte meinen Chef besuchen, denn sie war gebürtig aus diesem kleinen Nachbarort.
Ich erkannte sie sofort, grüßte sie mit ihrem Namen. Das wunderte sie schon, denn sie erkannte mich nicht. Wir redeten von Münster und so langsam zeigte sich, dass sie mich doch eine „fürchterliche Geschichte“ wissen lassen wollte.
Ab und zu, wenn meine Eltern oder später mein Bruder und seine Frau wegen ihrer Urlaubspläne jemanden brauchten, der die Kundinnen zu einem frei gewordenen Bedienungsplatz brachte, auch hinterher in den Mantel half und „Kasse machte“, half Frau „Weißalles“ aus. Das begann ja schon, als ich noch mit meiner kleinen Familie ganz oben im Elternhaus wohnte. Aber ich hatte nicht Friseuse gelernt, war kaum im Salon anzutreffen und somit eher nur eine junge Frau, die im Nachbarhaus lebte. Die Kundschaft kannte meine Eltern nur mit zwei Töchtern und dem Sohn, dem Juniorchef.
Und nun erzählte mir Frau Weißalles, wie schockiert sie war, als sie meinen Vater mit einem Straßenbesen den Bürgersteig entlang unseres Salons fegen sah. Seine Hände zitterten, er konnte nur kleine Trippelschrittchen machen, aber er fegte die zweihundert Meter lange Strecke fertig. So, wie ich meinen Vater kannte, wusste ich, weshalb er das tat: er wollte sich trotz des Parkinsons noch ein wenig nützlich machen. Im Salon ging das nicht mehr und draußen zu fegen, machte ihm nichts aus, er genoss es sogar! Aber Frau Weißalles sah das und konnte mir gegenüber nicht mehr klar denken. „Er hat drei Töchter, für die er lange gesorgt hat, nun hat nicht eine von ihnen mal Zeit, ihm diese Arbeit abzunehmen und draußen den Gehweg zu fegen!“
Ich merkte schon, an diesem Punkt konnte sie offenbar nicht weiter nachdenken. Dass unsere Älteste einen Geschäftsmann geheiratet hatte, den sie tatkräftig täglich unterstützte, obendrein 12 km vom Elternhaus entfernt wohnte und für ihre Töchter auch da zu sein hatte, kam dieser Nachbarin gar nicht in den Sinn. Auch unsere Jüngste lebte mir ihren vier Kindern in Havixbeck, auch eher zu weit weg, um im Elternhaus nach dem Rechten zu sehen. Immerhin gab es ja auch den Bruder, der täglich im Salon seine Kundinnen bediente und im Haus wohnte. Es wäre wohl eher seine Aufgabe gewesen, diese Reinigung vorzunehmen. Fakt aber war, dass regelmäßig die Stadt dafür sorgte, dass die Gehwege an unserer Straße gekehrt wurden. Es war also gar nicht erforderlich, dass mein kranker Vater dieser Arbeit draußen nachging. Er wollte es einfach …
Ich habe es mir nicht verkniffen, dieser Nachbarin zu sagen, dass ich die dritte Tochter sei, aber ich konnte es nicht lassen, ihr klar zu sagen: „Ich bin eine dieser bösen Töchter!“
Ich hab noch nie eine Ampel so schnell das Lokal verlassen gesehen!! Als mir diese Geschichte vergangene Nacht wieder in den Kopf kam, musste ich tatsächlich heftig grinsen, konnte mir ein schadenfrohes Lachen nicht verkneifen, bin damit eingeschlafen!
Ob sie noch mit ihrer Jugendliebe, meinem damaligen Chef, gesprochen hat, konnte ich nicht mehr erfahren.
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