Der Nikolaus kommt

Autor: ehemaliges Mitglied

um 1955


Als ich noch ein kleiner Junge war, wohnte ich mit meinen Eltern und meiner Großmutter in einem großen Haus. Das Haus gehörte einem Schreiner der vier Kinder hatte. Drei Mädchen und einen Buben.
Der Schreiner und seine Frau waren gottesfürchtige Leute. Jeden Sonntagmorgen gingen sie pünktlich auf den Glockenschlag um halb zehn Uhr in die Kirche. Die Kirche stand auf einem Berg und wenn die Glocken läuteten stürmte ich immer auf den Dachboden und schaute aus dem Dachfenster zur Kirche hinauf.
Damals gingen noch viele Leute in die Kirche, denn man hatte noch Zeit. Es gab wenig Autos und keine Fernseher. Die Leute hörten Radio und wussten genauso Bescheid was in der Welt vor sich ging. Da es noch wenig Autos gab, fuhren wir mit dem Fahrrad oder benutzten unsere Beine, wenn wir etwas einzukaufen hatten. Mein Vater arbeitet zu dieser Zeit in einer Fabrik, nicht weit von unserem Haus entfernt. Wenn ich mittags aus dem Kindergarten kam, schickte mich meine Mutter immer auf den Weg, um den Vater zum Essen abzuholen. Ich saß dann am Bahndamm, nicht weit vom Fabriktor entfernt und wartete. Wenn dann die Sirene aufheulte, wusste ich, jetzt ist Mittagszeit. Es dauerte auch nicht lange und viele Arbeiter kamen durch das Fabriktor und eilten nach Hause zu ihren Familien zum Mittagessen. Auch mein Vater war hungrig und wir gingen schnellen Schritts über eine Wiese die Straße hinauf zu unserem Haus.
Die Tage und Monate vergingen viel zu schnell. Auf einmal stand der Winter wieder vor der Tür. Der Winter war damals noch eine harte und kalte Zeit. Man kochte und heizte nicht wie heute mit Strom und Öl, sondern mit Holz und Kohle. Das Holz und die Kohle waren in einem Schuppen untergebracht. Jeden Morgen und jeden Abend holten wir die Kohle in einem Eimer und das Holz in einem Sack herauf in unsere Wohnung. Es war ein mühsames Geschäft. Wenn aber dann das Holz im Ofen knackte und lichterloh brannte, breitete sich sofort eine mollige Wärme im ganzen Zimmer aus. Wir hatten drei Zimmer und eine Küche. Ein Schlafzimmer indem meine Eltern und ich schliefen, ein Zimmer für die Großmutter und ein Wohnzimmer, das man damals noch die gute Stube nannte. In der guten Stube war es meistens kalt, weil man sie unter der Woche nicht heizte. So saßen wir fast jeden Abend in der Küche mit dem großen Ofen, am Tisch. Vater und Mutter erzählten Geschichten und manchmal hörten wir auch Musik aus dem Radio.

An einem Tag im Dezember kam nachmittags ein Mädchen des Schreiners zu uns und sage, dass der Nikolaus heute Abend käme. Wenn wir Lust hätten, sollen wir doch so gegen sieben Uhr zu ihnen kommen. Mein Vater und meine Mutter sagten zu. Nur ich war nicht so begeistert davon. Womöglich bringt er mir eine Rute mit. Den ganzen Nachmittag bis zum Abend überlegte ich was er mich wohl fragen könnte und mir fielen einige Sachen ein, die ich im laufe des Jahres angestellt hatte.
Um sieben Uhr am Abend, wir hatten gerade zu Abend gegessen, gingen wir die steile Treppe zur Wohnung des Schreiners hinab. Als wir in das Zimmer eintraten, kam uns mollige Wärme und der Duft von frisch gebackenem Weihnachtsgebäck entgegen. Im Zimmer brannten überall Kerzen und auf dem Tisch lag ein wunderschöner großer Adventskranz. Der Schreiner mit seiner Frau, den drei Mädchen und dem Buben, sie saßen um den runden Tisch herum und begrüßten uns. Ich setzte mich neben den Buben. Der fragte gleich, ob ich mein Sprüchlein für den Nikolaus schon gelernt hätte. Mein Herz rutschte in die Hose. Natürlich hatte ich keines gelernt. Ich ahnte Schlimmes, was heute Abend noch auf mich zukommen wird. „“Bis der Nikolaus kommt, wollen wir noch ein wenig singen und beten“ sagte der Schreiner. Die Kinder saßen artig am Tisch, sangen Lieder und sagten Gedichte auf. Nur ich war zappelig und voller Unruhe. Mit gutem Grund. Auf einmal fiel mir wieder die zerrissene Hose ein, als ich im Sommer zu schnell mit meinem Roller um die Kurve brauste und hinfiel. Dann war da noch die Sache mit der kaputten Schüssel voll mit Sahne. Angst stieg in mir auf. Nach einiger Zeit, es war gegen acht Uhr, hörten wir das Geläut eines Schlittens. Wir stürzten ans Fenster und sahen im Mondschein den Nikolaus kommen. Er saß auf einem Schlitten mit vielen kleinen Glöckchen. Gezogen wurde der Schlitten von zwei weißen großen Pferden. Als er vor unserem Haus angekommen war, ging der Schreiner zur Tür um zu öffnen. Wir alle saßen um den Tisch und waren mucksmäuschenstill. Der Nikolaus lud einen großen Sack aus seinem Schlitten und gab diesen dem Schreiner zum Tragen. In der einen Hand hatte der Nikolaus eine große Schelle, die machte immer ding, dong, ding, dong und in der anderen Hand, ach o Schreck, eine gewaltige Rute. So bepackt kamen die beiden Männer die Treppe herauf und bei jedem Schritt knarrten die Dielen unter ihren Stiefeln, Ein dumpfes aber forderndes Pochen an der Tür; bum, bum, bum. Die Tür ging auf und der Nikolaus stand vor uns. Er war ein großer Nikolaus, mindestens, zwei Meter groß. Von seinem Gesicht sah man nur die blauen Augen und eine große rote Nase. Alles andere war mit einem weißen Bart bedeckt. Noch sagte er nichts. Die Kinder des Schreiners sangen nämlich gerade das Lied: Niklas ist ein guter Mann …..……
Ich wollte auch mitsingen, aber bei mir kam kein Laut von den Lippen, als wenn mir ein Kloß im Halse steckte. Die Kehle war richtig zugeschnürt. Als die Kinder zu Ende gesungen hatten, setzte sich der Nikolaus auf einen Stuhl. Er holte ein großes Buch hervor und schlug es auf. Er blätterte darin und rief dann nacheinander die Kinder auf. Die Mädchen mussten für jede Missetat ein Gedicht aufsagen und für jedes Lob erhielten sie aus dem Sack ein paar Äpfel oder Nüsse. Als Albert vortreten musste stand der Nikolaus auf und griff zur Rute. Ohne etwas zu sagen, bekam Albert die erste Prügel an diesem Abend. Das kann ja heiter werden, dachte ich und suchte nach einem Unterschlupf, um eventuell noch entwischen zu können. Aber nichts bot sich mir an und die Tür war verschlossen. Albert war den Tränen nahe. Die Rute hat er ganz schön gespürt. Am Schluss bekam er aber doch noch ein Geschenk, über das er sich trotz der Schläge freute. Nun blieb nur noch ich übrig. Der Nikolaus blickte in die Runde und dann genau auf mich. Ich machte den ersten Ausreißversuch. Blitzschnell verkroch ich mich unter der Eckbank. Aber das nütze nichts, als die starken Hände des Nikolaus mich zu fassen bekamen. Er zog mich hervor und so stand ich dann vor ihm. Ein Häuflein Elend, am ganzen Körper zitternd. Hätte ich keine Hosenträger angehabt, die Hose wäre mir herunter gerutscht. Der Nikolaus sprach ruhig und machte keine Andeutung, dass er die Rute benützen wolle. Warum ich denn abends immer so schnell bete, so dass niemand etwas verstehen kann, fragte er mich. Ich sagte, ich würde mich genieren.“ So vor wem denn“, fragte er mich. Ich sagte:“ vor meinem Vater und meiner Mutter“. Das brauchst du doch nicht, dein Vater und deine Mutter beten doch auch wenn sie zu Bett gehen. Also, ab heute wird laut und deutlich gebetet, dass auch der Herrgott im Himmel das hören kann. Ich war erleichtert. Bis hierher ist es ja schon gut gegangen. „Dann steht in meinem Buch noch etwas v on einer zerbrochenen Fensterscheibe. Wie war den das“: sagte der Nikolaus. „Das war so“, sagte ich kleinlaut. Ich war vorn an der Deichsel des Leiterwagens und mein Freund Winfried hinten. Er schob und ich lenkte. Als wir die Straße mit dem Leiterwagen hinab fuhren, wurden wir immer schneller. Auf einmal konnten wir nicht mehr bremsen und fuhren direkt in das Kellerfenster vom Nachbarn. Es hat fürchterlich gekracht und das Fenster war kaputt.“ „So, so“, sagte der Nikolaus, davon hast du aber deinen Eltern nichts erzählt“. „Nein,“ antwortete ich, „ich bin dann abgehauen“.“ Aber der Nachbar hat es dann geschrieben“, sagte der Nikolaus, „denn er hat genau gesehen, wer die Lausebuben waren“.“ In Zukunft, wenn du etwas angestellt hast also nicht einfach davor rennen, sondern ehrlich sein und den Eltern sagen: Papa, Mama es ist etwas passiert. Ich habe das oder jenes kaputtgemacht. Versprichst du mir das“!
„Ja“, sagte ich. „ So, ansonsten warst du ja dieses Jahr ziemlich brav, dafür darfst du dir auch etwas aus meinem Sack herausholen“, sagte der Nikolaus. Ich griff hinein und bekam ein Päckchen zu fassen. Ich holte es heraus und bedankte mich beim Nikolaus. Der Nikolaus stand dann auf und wir sangen miteinander noch das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Dann verabschiedete er sich und nach kurzer Zeit hörten wir wieder die Glöckchen am Schlitten, die immer leiser wurden, als er die Straße hinab fuhr. „Was hast du denn bekommen“, fragten die Kinder. „Mach das Päcken doch auf“. Ich war auch sehr neugierig und wickelte das Päckchen aus dem Weihnachtspapier. Zum Vorschein kam eine kleine Schachtel. Ich öffnete sie und darin lag eine Mundharmonika. Ich freute mich und wollte gleich darauf spielen. Aber es misslang. Heraus kamen nur schrille Töne. „Üben musst du bis du ein Lied auswendig spielen kannst“, sagte mein Vater. „Ja“, antwortete ich. „Nächstes Jahr zu Weihnachten werde ich dann bestimmt schon ein paar Weihnachtslieder spielen können und ihr singt dann mit“. Zufrieden und froh verabschiedeten wir uns dann vom Schreiner, seiner Frau und den Kindern und stiegen die Treppen zu unserer Wohnung hinauf. Ich ging dann sogleich ins Bett, denn es war schon ziemlich spät.
In den nächsten Tagen, Wochen und Monaten übte ich auf meiner Mundharmonika solange, bis aus den schrillen Tönen am Nikolaustag wunderschöne Lieder wurden.

Aus dem kleinen Jungen ist ein Mann geworden, der auch eine Frau, einen kleinen Buben und ein Mädchen hat. Und noch heute spielt er auf seiner Mundharmonika jedes Jahr zu Weihnachten „Stille Nacht, heilige Nacht“ und alle freuen sich dann, was sie doch für einen tollen Papa haben.




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Kommentare (1)

KarinIlona ... Hast du schon dein eigenes Buch verlegt? Du schreibst so wundervolle Erinnerungen auf, dass sie, zusammengefaßt, ein fesselndes Buch ergeben würden.
Ich habe jetzt mein "Lebensbuch" (98 Seiten) bei einem 1-Buch-Verlag selbst gestaltet und nur 3 Bücher drucken lassen, sehr preiswert also.
Mit freundlichem Gruß, Karilona

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