Der Armleuchter
Es entspricht den nackten Tatsachen wenn man ihnen in die Augen sieht, dass einer großen Zahl, möglicherweise einer sehr großen, von Menschen beiderlei Geschlechts, die „Armleuchter“ in den Mund nehmen, kein klares Bild dessen, das sie dort verwenden, in die Augen tritt. Damit ihnen ein Licht aufgeht, habe ich mich der aufopfernden Mühsal unterzogen, ein paar erklärende Worte aus Wikipedia® abzuschreiben.
„Armleuchter oder Kandelaber (von lateinisch candelabrum für ‚Leuchter’ über französisch candélabre) sind Ständer für Kerzen oder Leuchten, die sich über einem Sockel und einer zentralen Säule in mehrere Arme (von meist ungerader Zahl) verzweigen und so die Aufnahme mehrerer Kerzen ermöglichen.“
Wiki sei gedankt! Nun wissen wir es. Ein Armleuchter ist weder ein armer Leuchter noch ein Arm, der leuchtet. Schraubt man eine 60er (das geht auch mit 100ern) hinein, so leuchtet nichts, sondern … doch wir wollen nicht vom Thema abschweifen.
Damit sind wir schon ein ganzes Stückchen weiter, aber noch nicht am Ende des Lateins angekommen. Wenn mir ein Freund aus der Schweiz auf einer Postkarte, die auf der Vorderseite das Matterhorn trägt, originelle Urlaubsgrüße schickt – „es ist hier sehr schön und das Wetter ist gut“ steht auf der Rückseite -, habe ich zwar ein klares Bild vom Berg vor mir, aber ich bin noch keineswegs über diesen hinweggekommen. Deshalb will ich den Armleuchter noch tiefer beleuchten.
Um tiefer in den Armleuchter einzudringen, habe ich die Hilfe des Synonymenlexikons „Duden, Die sinn- und sachverwandten Wörter“ in Anspruch genommen. Die Antwort war so karg wie das Leben in der Sahel-Zone.
„Armleuchter: ↑Dummkopf, ↑Kerzenleuchter.“
Kaum hatte ich mir diese dürftige Kost einverleibt, dämmerte mir die Erkenntnis, dass in der Duden-Redaktion eine Menge Armleuchter herumsitzen, die das Geld, das sie verdienen, nicht verdienen; der luziden Logik, die das abendländische Denken prägt, folgend, kann ein Armleuchter weder ein Dummkopf noch ein Kerzenleuchter sein. Ich will das stricte exemplifizieren und verifizieren.
Ein Armleuchter kann kein ↑Dummkopf sein, weil ein Arm so wenig ein Kopf ist, wie ein Armer ein Reicher. Zudem hat ein Armleuchter mehrer Arme – wir haben das am Eingang bei dessen Beschreibung bei Wiki gesehen -, ein Dummkopf aber nur einen Kopf. Wie soll ein Kopf auf mehrere Arme geraten? Um das Maß zu füllen sei noch hinzugefügt, dass eine Leuchte nicht dumm ist, denn wenn sie das wäre, würde sie nicht leuchten. Nein, die Behauptung, ein Armleuchter sei ein Dummkopf, hat weder Hand noch Fuß zum Inhalt.
Wenden wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit der anderen Behauptung zu, ein Armleuchter sei ein ↑Kerzenhalter. Na, was ist denn nun? Wenn ein Arm leuchtet brennt doch keine Kerze auf dem Leuchter, auf dem sie befestigt ist! So ein Schmarren! Wenn mich ein Hamburger aus Gründen der Gastfreundschaft dazu zwingt – wegen der mir im Inneren gebliebenen guten Kinderstube muss ich dem Zwang gehorchen -, in der regionalen Küche mit Labskaus eine Bekanntschaft zu schließen, habe ich es so wenig mit einem zum menschlichen Verzehr geeigneten Produkt zu tun, wie ein Armleuchter ein Kerzenleuchter ist. Ich muss an dieser Stelle festhalten, dass das Synonymenlexikon in die Irre führt.
Als ich mit meinem Bemühen, in einen Armleuchter tiefer einzudringen, soweit wie soeben beschrieben gediehen war, war ich, ganz ehrlich sei es zugegeben, ein wenig niedergeschlagen. Aber just in dieser Situation leuchtete mir ein zur Hoffnung berechtigender Silberstreifen so heftig am Horizont, dass mir ein Händchen voller Schuppen von den Augen auf meinen Schreibtisch fiel. Mir wuchs der kreative Gedanke zu, meine Hand umzudrehen und außerhäusig, wohin ich mich ohne zu zögern auf den Weg machte, dem Volk in das Maul zu schauen. Ein jeder hat doch einmal, manche sogar zwei oder noch mehrmals davon gehört, dass man von solchem Tun schlauer wird. Ohne Zeichen des Zögerns von mir zu geben, betrat ich in hoffnungsvoller Erwartung meine Stammkneipe. Ich hängte meinen Mantel (Hut trage ich nicht), an den für diese Verrichtung vorgesehenen Garderobenständer. Zeitgleich mit meiner Stuhlbesetzung stand auch schon ein frisch gezapftes Pils vor meinen Augen auf dem Stammtisch; der kundenorientierte Gastwirt Erwin hatte mich schon von weitem nahen sehen und ohne zu überlegen gewusst, welche Rolle er nun zu spielen habe. Der Mensch handelt unreflektiert aus guter Gewohnheit. Meine Stammtischbrüder waren schon bei der vierten Lage, aber immer noch in der Lage, sich äußerst sachverständig über das wichtigste Thema eines gepflegten Stammtischs – das zweitwichtigste sind Herrenwitze -, die Politik zu äußern.
„Der E. S. (Name der Redaktion bekannt) ist ein Armleuchter!“ Da wurden meine gespitzten Ohren ganz hellhörig. „Da hast Du ausnahmsweise Recht, er ist ein riesengroßes Arschloch! Erwin, mach die Luft aus unseren Gläsern!“ In diesem Moment des Erkenntnisgewinns sprang vom Stammtisch ein entzündeter Funke wie ein heiterer Blitz aus dem Himmel auf mich über: ein Armleuchter ist ein Arschloch! „Das kann doch nicht wahr sein“, flüsterte ich leise vor mich hin als ich wieder meinen Stammplatz am Schreibtisch eingenommen hatte, „die Köpfe in der Duden-Redaktion eignen sich selbstverständlich nicht als Werbeköpfe für die F.A.Z., aber das mit dem Armleuchter-Arschloch müssen die doch wissen, weil sie alles wissen, sonst trügen sie nicht den legendären Ehrentitel von Alles-Besser-Wissern.“ Um mir Gewissheit zu verschaffen recherchierte ich nochmals im Synonymenlexikon. Einer klugen Intuition vertrauend fing ich diesmal nicht oben beim Armleuchter, sondern hinten beim Arschloch an. Die dort gefundene Spur „Arschloch ↑Dummkopf“ verfolgte ich mit sicherer Witterung. Und was fand ich wohl beim „Dummkopf“? Natürlich, unter der reichhaltigen Auswahl an Synonymen auch „Armleuchter (salopp)“ und „Arschloch (vulgär)“. Es bleibt wohl ein unergründliches Geheimnis der Duden-Redaktion, weshalb sie bei dem Stichwort „Armleuchter“ nicht auf das Arschloch, aber bei diesem Begriff über den Umweg „Dummkopf“ auf den „Armleuchter“ verweist. Vielleicht nach der nächsten Rechtschreibreform.
Wie auch immer, Sam; im Internet, hier bei ST und in der Politik gibt es keine, da gibt es nur geistig hoch stehende, liebenswerte Induvidien.
LG
Willy