Das war schon immer so




Jedes Jahr um die Jahresmitte, manchmal auch gegen Jahresende, kommt es für einige aus der Wohnungseigentümergemeinschaft zum „Event des Jahres“. So auch vor nun doch etlichen Jahren an einem Abend um 19 Uhr im Saal einer Gaststätte, wo der Verwalter einen kleinen Raum angemietet hatte.
 
Der Verwalter nahm die Begrüßung vor und stellte die Anwesenheit fest: 19 von 20 Parteien waren gekommen. Die 20. Partei, für die der Verwalter normalerweise immer eine Vollmacht hat, hatte sich nicht gerührt, obwohl wichtige Entscheidungen anstanden.
 
Es ging um die aktuelle Energiesparverordnung, den Energie-Pass, der für Wohnhäuser erforderlich wird, und es wurde zunächst sachlich, aber bereits kontrovers diskutiert. Der Vorschlag, einen überteuerten Gutachter zu beauftragen, wurde ebenso abgelehnt wie das, was zunächst auf der Hand liegt, wenn man nicht sanieren will: der verbrauchsorientierte Energiepass. Alle Entscheidungen wurden vertagt; nun gut, das Gesetz wird noch in einigen Punkten geändert und steht erst noch zur Verabschiedung an. Also haben wir ja noch „alle Zeit der Welt“.
 
Die Eigentümergemeinschaft ist schnell beschrieben: Da sind die Newcomer, die ernsthaft glauben, dass man noch etwas verändern kann in Strukturen, die gewachsen und verknöchert sind.
Da sind die Oldies, die „schon immer“ hier wohnen und stets den Spruch auf den Lippen führen: „Das war schon immer so.“ Das sind auch die, die ein Mehrfamilienhaus als ihr alleiniges Eigentum betrachten, Keller und Dach (Gemeinschaftseigentum) voll stehen haben mit ihrem „Prüll“ und sich dabei völlig im Recht glauben: Klar, das war doch schon immer so!
Da sind die untereinander verkrachten, die einander beobachten wie die Luchse, aber schweigen und sich im Zweifelsfall der Stimme enthalten. Sehr konstruktiv, zumal allzu oft eine Enthaltung eben keine Zustimmung ist.
Da sind die Vermieter, denen im Prinzip alles egal ist, solange der Mieter zahlt, nicht kündigt, man ihm möglichst viele der Nebenkosten aufbürden kann und hoffentlich keine Investitionen für das Haus anstehen.
Da sind die Verwandten, bei denen der Schwiegervater bei einer Abstimmung dem Schwiegersohn quer über Tisch (laut) zuruft: „Gerd, da wolltest du doch dagegen stimmen“, worauf Gerd zusammen zuckt und die Hand zur Stimme dagegen hebt. Brav!
 
Besonders prickelnd, ab ca. 23 Uhr, die seit Jahren sich immer nach dem gleichen Schema wiederholende Diskussion über die Gartenarbeiten. Gerd aus dem Haus macht die Gartenarbeiten. Gerd, das ist der Schwiegersohn, siehe oben. Da Gerd eine Familie, einen Skatklub, einen Handballverein, einen Kegelklub, eine katholische Männergruppe und einen Fulltime-Job hat, nimmt er es mit den Gartenarbeiten nicht so genau. Dafür ist er preiswert, preiswerter als jeder Gärtner. Dafür hat er bis gestern auch die ständige Besserwisserei der meisten hingenommen. Er stand tatsächlich stets zwischen den Fronten. Das Haus wurde vor einigen Jahren mit einem neuen Putz versehen, und im Zuge dessen gab es den Beschluss, dass keine Pflanzen mehr am Haus hochranken sollen. Frau Meyers jeweils erneut vorgetragener ausdrücklichen Bitte, das hoch wachsende Efeu zu entfernen, ist Gerd stets und selbstverständlich nachgekommen. Selbst gesehen, dass es hoch wuchs, hat er nicht, aber das macht ja nichts, dafür war er ja preiswert. So bat Frau Meyer Gerd eines Tages, das nun doch massiv wuchernde Efeu sowohl von einem wunderschönen Baum zurück zu schneiden als auch der Einfachheit halber darüber nachzudenken, ob man den Stamm des Efeus nicht durchtrennen solle. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Da muss ich erst meinen Schwiegervater fragen.“ Dabei blieb es dann.
 
Gerd hat nun die Schnauze voll und will sich mehr seinen anderen Hobbys widmen; wer kann es ihm verdenken. Er legt sein Amt nieder. Nun ist Handlungsbedarf, es muss eine Gartenbaufirma her. Der Verwalter nennt eine horrende Summe, die das nun mehr kosten würde; da sind alle schockiert! Es wird diskutiert, was diese Firma wann machen soll: wie oft Rasen mähen, Sträucher schneiden, Waldstück und Vorgarten pflegen. Die Diskussion nahm absurde Formen an, und besonders der Schwiegervater legt sich ins Zeug.
Er ist der, der „schon immer“ … Sie wissen schon.
 
Um 23.55 Uhr habe ich den jährlichen „Event“ vorzeitig verlassen und bin durch die Nacht nach Hause marschiert. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf: Soll es so immer weiter gehen? In der Gastwirtschaft saßen zum Teil schon die Erben der „das war schon immer so“-Generation. Sie sind jung, zum Teil jünger als ich. Glauben Sie etwa, dass diese Erben irgendwelchen Neuerungen oder Änderungen aufgeschlossen gegenüber stehen? Weit gefehlt!
 
Es scheint ein Phänomen zu sein mit den unfreiwilligen „Gemeinschaften“. Sie können nicht harmonieren.

Ich habe mich inzwischen zu einer Wohn- und Eigentümergemeinschaft mit mir allein und meinem Hund entschieden. Wir sind uns stets einig, Neuerungen gegenüber aufgeschlossen, und so weit wie möglich vermeiden wir den Satz „Das war schon immer so.“
 


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Kommentare (1)

ehemaliges Mitglied

Hallo Tannenmütterchen!
Alles war auch bei uns schon immer so ... Vier Geschwister, von denen vor allem die Älteste den angeheirateten Adoptivbruder stark ablehnte. Doch das Testament unserer Eltern flocht uns sehr zusammen.

Nachdem es mir gelungen war, meinen Anteil zu veräußern, also nicht mehr zu dieser erblich gekitteten WG gehöre, stellt sich heraus, dass die übrigen Wohneinheiten an den Ausgaben des im EG gelegenen großen Friseursalons gemessen werden - ein totales Nogo der Moderne! Ich bin froh, nichts mehr damit zu tun zu haben.

Was auch immer sich unsere Eltern mit so einem Erbvertrag gedacht haben - dass das eigentlich nur dazu führen kann, dass sich die Nachkommen durch die Bedingungn irgendwann bis aufs Blut streiten könnten, war sicherlich nicht ihre Absicht. Aber so kommts oft ...

Dir einen friedlichen Adventsabend (der 1. Woche)

nnamttor44


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