Das verräterische Zigarettenetui
Im Jahre 1928 verschwand ein junger Mensch scheinbar spurlos aus dem Dorf K. in der Nähe Gießens, der damals 21 Jahre alten Paul W. Es dauerte aber nicht allzu lange, da sprach sich im Ort herum, dass W., ein gut aussehender Bursche und begabter Musiker, der bei einem Musiklehrer in Gießen Trompete und Flügelhorn spielen gelernt hatte, in die französische Fremdenlegion eingetreten sei. Auslöser für diesen Schritt soll ein Vorfall gewesen sein, an den sich ein Altersgenosse des Untergetauchten mir gegenüber noch gut erinnerte. Ergänzen kann ich die Schilderung dieses „Zeitzeugen“ zudem durch ein schriftliches Dokument in Form eines Briefes, der mir zufällig in die Hand geraten war.
An einem Sommerabend 1928 feierte ein junger Uhrmacher aus K. mit Freunden eine feuchtfröhliche Party, angeblich weil er beruflich ins Ausland verziehen wollte. Das Abschiedsfest fand jedoch nicht in einem geschlossenen Raum statt, sondern unter freiem Himmel auf einem großen Strohhaufen. Der befand sich am nördlichen Ausgang des Dorfes auf einem Grundstück, das einem Gastwirt gehört haben soll. Ob angelockt durch den Lärm der Feiernden oder eher zufällig, jedenfalls näherte sich dem Strohhaufen im Schutz der Dunkelheit der Trompeter W. Statt seiner Trompete aber hatte er Streichhölzer dabei. Damit, so meinte er wohl, könne man denen auf dem Haufen einen lustigen Streich spielen. Und ohne langes Zögern folgte der Idee die Tat. Unbemerkt von den fröhlichen Zechern flammte am Fuße des Strohhaufens ein Zündholz auf, wurde an das Stroh gehalten und entfachte einen Brand, der allmählich den gesamten Haufen zu erfassen drohte.
Bald nahmen die Zecher auf dem Haufen wahr, in welcher Gefahr sie schwebten und brachten sich in Sicherheit, ehe das Stroh völlig niedergebrannt war. Wo und wer aber war der Brandstifter? Natürlich hatte der sich längst in die Dunkelheit der Nacht hinein aus dem Staub gemacht. Allerdings, wie sich bald herausstellte, nicht ganz spurlos. Als der abgekühlte Brandherd nämlich Tags darauf näher inspiziert wurde, stieß man auf einen Gegenstand, der kaum zufällig hierher geraten sein konnte: Ein zwar brandgeschwärztes, aber sonst unversehrt gebliebenes Zigarettenetui aus Metall. Und in dessen Deckel eingraviert las man unter einer Widmung den Namen Hilde R. Wer aber war Hilde R.? Und wem mochte die Widmung gelten? Das zu ermitteln bereitete keine Schwierigkeiten. Jene Hilde nämlich war die Tochter des Dorfpolizisten, und ihr damaliger Galan, das war ebenfalls kein Geheimnis, hieß Paul W. Ihm wohl hatte sie das Etui geschenkt und, damit er sie ja nicht vergesse, es mit ihrem Namen versehen.
Doch als man den der Brandstiftung Verdächtigen auf Grund dieses „Beweisstückes“ dingfest machen wollte, war er nicht auffindbar, hatte offenbar Eltern und Geschwister verlassen – und damit obendrein seine Freundin Hilde. Die beklagte sich später in einem Brief, geschrieben im Februar 1929 aus dem Rheinland (wo sie damals wohl schon lebte) an einen gemeinsamen Freund in K. über ihren Ex-Schatz mit den Worten: „Wenn er etwas in sich gehabt hätte dann hätte er mir wenigstens noch einmal geschrieben, grade so gut wie er seinen Eltern aus Frankreich schrieb hätte er auch mir ein paar Zeilen schreiben müssen. Das wäre seine Pflicht gewesen.“. Dann bittet sie den Adressaten, ihr „den Brief, den ich Dir für P. mitgeschickt, doch wieder zurück zuschicken“. Auch sei es ihr „schrecklich“, dass die Familie ihres entschwundenen Freundes noch Briefe von ihr habe.
Bevor Paul W., wie es aus dem Brief Hildes hervorgeht, nach Frankreich abgetaucht war, soll er von seinem Heimatort aus zunächst zu einem entfernt wohnenden Onkel geflohen sein. In Frankreich trat er in die Fremdenlegion ein, wo er dank seiner musikalischen Fähigkeiten ein ganz erträgliches Leben geführt haben soll. Erst nach dem Ende des Hitler-Feldzugs gegen Frankreich im Jahre 1940, also mehr als zehn Jahre nach seiner Flucht, kehrte Paul W. nach K. zurück, heiratete ein einheimisches Mädchen und bekam dank seiner in der Legion erworbenen Französischkenntnisse eine Anstellung als Dolmetscher für kriegsgefangene Franzosen. Bald aber musste er in den 2. Weltkrieg ziehen, wo er, der ehemalige Fremdenlegionär, bei Smolensk in Russland umkam. Was indes aus seiner verlassenen Freundin Hilde wurde, liegt im Dunkeln.
Siegfried Träger
An einem Sommerabend 1928 feierte ein junger Uhrmacher aus K. mit Freunden eine feuchtfröhliche Party, angeblich weil er beruflich ins Ausland verziehen wollte. Das Abschiedsfest fand jedoch nicht in einem geschlossenen Raum statt, sondern unter freiem Himmel auf einem großen Strohhaufen. Der befand sich am nördlichen Ausgang des Dorfes auf einem Grundstück, das einem Gastwirt gehört haben soll. Ob angelockt durch den Lärm der Feiernden oder eher zufällig, jedenfalls näherte sich dem Strohhaufen im Schutz der Dunkelheit der Trompeter W. Statt seiner Trompete aber hatte er Streichhölzer dabei. Damit, so meinte er wohl, könne man denen auf dem Haufen einen lustigen Streich spielen. Und ohne langes Zögern folgte der Idee die Tat. Unbemerkt von den fröhlichen Zechern flammte am Fuße des Strohhaufens ein Zündholz auf, wurde an das Stroh gehalten und entfachte einen Brand, der allmählich den gesamten Haufen zu erfassen drohte.
Bald nahmen die Zecher auf dem Haufen wahr, in welcher Gefahr sie schwebten und brachten sich in Sicherheit, ehe das Stroh völlig niedergebrannt war. Wo und wer aber war der Brandstifter? Natürlich hatte der sich längst in die Dunkelheit der Nacht hinein aus dem Staub gemacht. Allerdings, wie sich bald herausstellte, nicht ganz spurlos. Als der abgekühlte Brandherd nämlich Tags darauf näher inspiziert wurde, stieß man auf einen Gegenstand, der kaum zufällig hierher geraten sein konnte: Ein zwar brandgeschwärztes, aber sonst unversehrt gebliebenes Zigarettenetui aus Metall. Und in dessen Deckel eingraviert las man unter einer Widmung den Namen Hilde R. Wer aber war Hilde R.? Und wem mochte die Widmung gelten? Das zu ermitteln bereitete keine Schwierigkeiten. Jene Hilde nämlich war die Tochter des Dorfpolizisten, und ihr damaliger Galan, das war ebenfalls kein Geheimnis, hieß Paul W. Ihm wohl hatte sie das Etui geschenkt und, damit er sie ja nicht vergesse, es mit ihrem Namen versehen.
Doch als man den der Brandstiftung Verdächtigen auf Grund dieses „Beweisstückes“ dingfest machen wollte, war er nicht auffindbar, hatte offenbar Eltern und Geschwister verlassen – und damit obendrein seine Freundin Hilde. Die beklagte sich später in einem Brief, geschrieben im Februar 1929 aus dem Rheinland (wo sie damals wohl schon lebte) an einen gemeinsamen Freund in K. über ihren Ex-Schatz mit den Worten: „Wenn er etwas in sich gehabt hätte dann hätte er mir wenigstens noch einmal geschrieben, grade so gut wie er seinen Eltern aus Frankreich schrieb hätte er auch mir ein paar Zeilen schreiben müssen. Das wäre seine Pflicht gewesen.“. Dann bittet sie den Adressaten, ihr „den Brief, den ich Dir für P. mitgeschickt, doch wieder zurück zuschicken“. Auch sei es ihr „schrecklich“, dass die Familie ihres entschwundenen Freundes noch Briefe von ihr habe.
Bevor Paul W., wie es aus dem Brief Hildes hervorgeht, nach Frankreich abgetaucht war, soll er von seinem Heimatort aus zunächst zu einem entfernt wohnenden Onkel geflohen sein. In Frankreich trat er in die Fremdenlegion ein, wo er dank seiner musikalischen Fähigkeiten ein ganz erträgliches Leben geführt haben soll. Erst nach dem Ende des Hitler-Feldzugs gegen Frankreich im Jahre 1940, also mehr als zehn Jahre nach seiner Flucht, kehrte Paul W. nach K. zurück, heiratete ein einheimisches Mädchen und bekam dank seiner in der Legion erworbenen Französischkenntnisse eine Anstellung als Dolmetscher für kriegsgefangene Franzosen. Bald aber musste er in den 2. Weltkrieg ziehen, wo er, der ehemalige Fremdenlegionär, bei Smolensk in Russland umkam. Was indes aus seiner verlassenen Freundin Hilde wurde, liegt im Dunkeln.
Siegfried Träger
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