das "späte Mädchen"........


wie man sie in diesem Hause, hämisch oder bedauernswert, hinter ihrem Rücken nannte.
Sie wohnte mit ihrer Mutter, einer Witwe, im dritten Stock des alten Hauses. Ich kannte sie wohl von Geburt an und sie war nicht wegzudenken aus dem Haus.
Irgendwann begriff ich, was man mit "spätes Mädchen" meinte.
Sie war eine dürre Frau, mit Knoten im Genick und immer schwarz gekleidet. Ihr Mantel schleifte fast auf dem Boden, doch sie ging tagtäglich aus dem Haus. Gegen Abend immer.
Ihre Mutter war ein kleines zartes Persönchen und die erzählte mir, daß ihre Tochter beim Anhaltischen Landesorchester angestellt war.
Jetzt wurde ich stutzig... Fräulein Suppner in dieser Klasse?
Ich, als Ballettmädchen in diesem Theater - das machte doch jetzt richtig Spaß. Ich kundschaftete die Sache aus.
Das Orchester hatte Probe und ich schlich mich hin zur Bühne, blickte in den Orchestergraben und da stand sie - wie verbogen mit einer Querflöte vorm Gesicht.
Stumm vor Schreck und faziniert schaute ich ihr beim Spielen zu, was ihr wohl Schmerzen bereiten mußte. Sie krümmte sich, streckte sich und ein gequälter Gesichtsausdruck verließ nie ihr Gesicht.
Doch dem Instrument entlockte sie melodische Töne.
Oh, sagte ich ganz leise, die muß wirklich Trauer tragen.
Wenn das so weh tut, dann lerne ich nie Flöte spielen.
Und das, jeden Abend!!!
Aber warum "spätes Mädchen", fragte ich den Opa.
naja, mein Frosch, das ist so, daß man alle, die Flöte spielen, nicht mehr küssen kann. - aha- und warum nicht?
Denen tuen die Lippen viel zu weh und darum kriegen sie auch keinen Mann. Jetzt war ich aufgeklärt und nahm Fräulein Suppner verbal in meinen Schutz.
Und so gerne hätte ich ihr einen Mann gewünscht, der das Küssen auch nicht mag.
Als ich nach 40 Jahren in meine Heimat zu Besuch war - klingelte ich an dem Schild auf dem Suppner stand.
Eine alte Frau öffnete mir die Tür - es hätte ihre Mutter sein können, doch es war sie, die Tochter, das späte Mädchen.
Und fröhlich, freundlich präsentierte sie ihren Enkel......
es war doch nicht zu spät für die Kusstherapie.
Sie wußte auch, daß ich hier immer bei Omi und Opa war, ein schönes Gefühl.....

mit musikalischen Grüßen
euer Moni-Finchen



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Kommentare (2)

Traute Ja so ist das mit den Mauerblümchen, den späten Mädchen, nun hat sie doch einen gefunden, der sie liebte.
Womöglich mehr als die frühen Mädchen, geliebt wurden.
Was lange dauert wird gut, sagt eine alte Volksweisheit.
Es war eine schöne Erinnerung und zeigt den Zeitgeist aus der Zeit richtig an.
Wie immer, mein Finchen, es war mir ein Vergnügen,
Traute, mit herzlichen Grüßen
ehemaliges Mitglied mit einer herrlichen Pointe!!

Danke Finchen für diese Geschichte .

Uschi

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