Das Schallplattenregal



Ein Zeitungsartikel über Plattenspieler brachte mich auf die Idee, mal wieder eine unserer Langspielplatten aufzulegen. Beim Griff ins Blaue erwischte ich den „Tanzbär“. Der Gesang wird, so las ich auf der Plattenhülle, garniert von Schellenring und Glockenspiel, Marimbaphon und Gong, Sopranflöte, Tenorkrummhorn, Tamburin sowie weiteren Instrumenten aus früherer Zeit. Eine fröhliche Mittelaltermusik, die für gute Laune sorgte. Dabei wollte ich nur mal reinhören, um – so dachte ich – nach wenigen Minuten entnervt die Platte abzustellen. Irrtum!
Ein weiterer, wirklich hörenswerter Zufallstreffer waren die „Arabian Affairs“ vom Abdul Hassan Orchestra. Die nächste Platte von Santa Esmeralda mit ihrer Neuinterpretation des Animals-Songs „Don’t let me be misunderstood“. Das war einer der zehnminütigen Titel, bei denen in der Diskothek (damals hieß es noch nicht „Disco“) niemand auf seinem Platz sitzen blieb. Zu sehr drängte sich der Rhythmus in die Beine.
Beim Weiterhören dachte ich an private Einladungen bei uns zuhause, dabei fiel mir unser damaliger Plattenspieler ein. Eigentlich ein Zehnerwechsler, der aber bis zu 13 LPs aufnahm und sie wacker abspielte. Etwa nach sieben oder acht LPs hatten wir den 22-Uhr-Zeitbereich erreicht. Nicht immer hatten wir die Uhrzeit im Blick, wohl aber die Nachbarn in der Wohnung unter uns. Kurz nach zehn kam nämlich der Besenstiel zum energischen Einsatz. Okay. Wir stellten den Apparat leiser und weiter ging es. Fürs Aussuchen und Zusammenstellen der Musik für uns und unsere abendlichen Gäste habe ich mir jedenfalls stets Zeit genommen, und legte Platten von Fleetwood Mac, Foreigner, Pink Floyd, Sam & Dave, Wilson Pickett, den Beatles oder den Stones auf. „Was lief da gerade, kannst Du das noch mal auflegen?“ hörte ich dann zuweilen. Eine großartige Bestätigung meines (ähm) Musikgeschmacks.
Nun also, Jahrzehnte später, hörte ich mir vieles davon erneut an, und nicht nur vor Begeisterung bekam ich zwischendurch rote Wangen, denn auch so manche Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Bei einigen Titeln erinnerte ich mich an echtes Wohlgefallen, wovon jetzt aber nichts mehr übrig war. Was habe ich nur damals an dieser Musik so toll gefunden? Nach wie vor bin ich Anhängerin von Rock-Musik, aber manches war schon schrecklich.
Nach etwa zwei Stunden des tapferen Zuhörens schaltete ich den Plattenspieler aus, und die Ruhe war unbeschreiblich. Es war wohl des Guten zuviel. Trotzdem. Mein Ausflug in die Niederungen des Plattenregals hat sich gelohnt. Nicht nur, dass ich überrascht war, wie sich mein Geschmack verändert hat. Erst recht spannend fand ich, welche Erinnerungen an konkrete Situationen aufkamen oder welche Gedanken aufblitzten. Welche Situation mir in den Sinn kam, an die ich Jahrzehnte lang nicht mehr gedacht habe, während im Dauerlauf „Wheels on Fire“ von Julie Driscoll lief, kann ich hier nicht wiedergeben.
Also – soweit noch vorhanden: Ran an die alten schwarzen Scheiben. Es macht wirklich Spaß.
 
 

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