Das Gebiss

…. Wer älter wird, merkt dies gewiss
auch eines Tages am Gebiss.
Dies fehlte ihm am Anfang noch,
als er ans Licht des Kreißsaals kroch.
Doch für den unbezahnten Knilch
erfand Natur die Muttermilch.
Die lässt sich schlucken und verdauen,
auch ohne sie vorher zu kauen.
…. Darauf begann das Paar der Kiefern
die ersten Beißerchen zu liefern,
was meistens in der Nacht passierte
und arge Wachstumsschmerzen schürte,
was seinerseits mehr, als man glaubt,
den Eltern Schlaf und Ruhe raubt,
worauf er ohne Kompromiss
in alles, was ihn reizte, biss:
Waschpulver, Schnecken, fremde Finger,
Bonbons und Wagners Meistersinger.
Der Umfang dieses Schabernacks
trug bei zur Bildung des Geschmacks,
weil man in Lauf der Zeit entdeckt:
Nicht alles, was gut aussieht, schmeckt.
…. Doch Erdenpracht wird überall
bedroht von Schrumpfung und Verfall.
Der Zahn der Zeit ist sein Begleiter;
er nagt und nagt und nagt stets weiter.
Auch Zähnen, noch so fest und hart,
bleibt dieses Schicksal nicht erspart.
Das ehemalige Idyll
verkrümelt sich im Wohlstandsmüll.
Der erste Schultag mit der Tüte,
als er vor Stolz und Neugier glühte,
mit dem Tornister auf dem Rücken,
im Zahngehege breite Lücken.
…. Nichts blieb von dieser Doppelreihe.
Doch welch ein Glück, es wuchsen neue.
Die pflegte er mit Fluorpaste
und einer Schweineborstenquaste,
um alle schädlichen Bazillen
zu unterdrücken und zu killen.
…. Doch diese, keineswegs verloren,
begannen, bis ins Mark zu bohren.
Als dann der Schmerz im Schmelz rumorte,
blieb nur, dass ein Experte bohrte.
Das Opfer hing, betäubt vor Qual,
im zahnärztlichen Marterpfahl,
spie seine Angst in einen Kübel
aus Angst vor noch mehr Angst und Übel.
…. Der Zahn der Zeit beißt allgemein
zwar langsam, aber gründlich klein.
Die Zahl der Zähne schmolz zusammen,
wie Holz verkohlt in Feuersflammen,
und jetzt benutzt er ein Gebiss
gemäß dem Spruch: Stirb oder friss!
Er kann es leicht beiseite legen,
penibel reinigen und pflegen,
und hat, weil´s nicht vergammeln kann,
vielleicht noch lange Freude dran.
Hat ihn der Tod in seinen Krallen,
sind Fleisch und Knochen längst zerfallen,
dort in des Grabes Finsternis
bleibt eins erhalten: Sein Gebiss.


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Kommentare (15)

Tulpenbluete13


Lieber Christoph......

Deine Reime über die Zähne...von der Wiege bis zu Bahre sind einmalig....
Ich habe lauthals lachen müssen und habe mich an den neckenden Spruch meines Mannes denken müssen... der so hieß:

Deine Zähne sind wie Sterne......nachts kommen sie raus.---

So jetzt darfst Du lachen oder auch nicht....

bissfeste Grüße
Angelika

 

Roxanna

Ein steiler Zahn (sagt man heute nicht mehr 😉),
ins Gras beißen,
die Zähne zusammenbeißen,
die Zähne zeigen
einen Zahn zulegen
........

Das fiel mir gerade noch so als kleine Ergänzung ein.

Lieben Gruß
Roxanna

 

silesio

@Roxanna  
Es ist wie bei den Prüfungen in einem Examen: Die richtige Antwort fällt einem oft nachher ein.
Aber was hier geschieht, ist ja nun wirklich kein Examen,
sagen wir, eher ein Spiel

Syrdal


...dort in des Grabes Finsternis
kommt nicht zur Ruhe das Gebiss,
dauernd muss es Würmer beißen,
nicht mal wissend wie sie heißen
und der Geschmack ist widerlich,
wenigstens ist‘s ökologisch,
also beiß tüchtig zu und friss,
wie lange noch ist ungewiss.


...das weiß nun auch nicht der
Syrdal

silesio

@Syrdal
Tja, vielleicht treffen wir uns dort oben ja vielleicht - oder da unten, und dann futtern wir gemeinsam 

Claudine

Nimm's mit Humor...
Wenn das einer kann, dann du! Und die Frage kommt auf: Gibt es eigentlich noch etwas, worüber du nicht .geschrieben hast? Wobei Schreiben allein für dich ja viel zu einfach wäre. Wenn schon, dann in Fersen und Strophen und perfekt sitzt jede einzelne Silbe. Erlaube mal, wenn ich vor so viel Können den Hut ziehe.
Und das mit 88 Jahren..., das kann man wohl nicht anders nennen, als begnadet.
Liebe Grüße
Claudine

silesio

@Claudine  
Du übertreibst wie der Herr Baron von Münchhausen.
Und noch etwas: Da du keinen Hut aufhast, kannst du auch keinen abnehmen.
Aber Dankeschön!

Claudine

@silesio  
Nun gut. Das war eine ehrliche Bewunderung, eine aufrichtige Wertschätzung. Aber bitteschön!

silesio

@Claudine  
Eingeschnappt?
Du musst wissen, meine Ironie ist noch größer als meine dichterische Begabung.
Falls ich dir auf einen Zeh getreten habe,
Entschuldigung!

ehemaliges Mitglied

Ein sehr gelungenes Gedicht, aber
wie kann man selbst über den Zahnarzt noch so humorvoll schreiben?

Mir bleibt schon beim Gedanken daran,
jedes Wort im Halse stecken.
Am liebsten sehe ich seine Praxis NICHT,
nicht mal von der Ferne!!!

liebe Grüße
WurzelFluegel

silesio

@WurzelFluegel
Es stimmt ja wohl, vor manchen Entscheidungen möchte man am liebsten die Augen schliessen.
Aber es nützt nichts: Es kommt doch!
Vielleicht könntest du auch davon ein Lied singen!
 

ladybird

...das ist eine lustig Beschreibung, einer ernsten Wahrheit....
die "gebremste" Tränen der Freude und des Leidens inne hat.
   Inzwischen kann ich mich selber in den Popo beißen und meine  Zähne beim Dentist zwecks Kontrolle (für den Krankenkassen-stempel ) einfach nur abgeben...
Jedes Ding hat immer zwei Seiten.....
lacht mit Dank und Gruß
🐞-ladybird

silesio

@ladybird  
Tiefgreifende Erkenntnis, die es verdient, verbreitet zu werden: Jedes Ding hat 2 Seiten.
Logische Schlussfolgerung: Auch ein Gebiss

Roxanna

Es soll aber auch Leute geben, die so gutes Zahnmaterial haben, dass sie ihre eigenen Zähne mit ins Grab nehmen. Danke für den Lacher am Morgen. Unter Schmerzen kommen sie, unter Schmerzen gehen sie, was hat sich die Schöpfung dabei nur gedacht? Für einige Sprichwörter müssen sie auch herhalten.

Am Abend werden sie ins Glas gelegt,
von Kukident dort wohl gepflegt.
Frisch sind sie am andern Morgen,
man frühstückt so ganz ohne Sorgen.
Auch schmerzen können sie nicht mehr,
da sag ich doch, so ein Gebiss muss her.

Lieben Gruß
Brigitte

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silesio

@Roxanna  
Dann noch lange mit den Eigenen:
Guten Biss!


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