Das Ende einer Bekanntschaft


Das Ende einer Bekanntschaft

Es muss im Sommer oder Herbst 1980 gewesen sein. Wir lebten nun in Paris, mein ältester Sohn war zu dem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt.

Eine Bekannte sagte ihren Besuch an, während meines Sprachstudiums war Gaby meine Dozentin gewesen und wir trafen uns auch noch gelegentlich privat, nachdem ich mein Studium beendet hatte.

Natürlich freute ich mich auf die Neuigkeiten aus der Heimat und einige nette, unterhaltsame Tage, zudem mein Mann zu diesem Zeitpunkt auf Geschäftsreise war.

Gaby kam am späten Nachmittag an, sie wurde freudig von unserem Hund, meinem Sohn und mir
begrüßt. Am nächsten Morgen stand sie verschlafen gegen 10 Uhr in der Küche, leerte meinen Kühlschrank, und verabschiedete sich mit den Worten, dass sie sich so sehr auf Paris gefreut habe.

Es war kurz nach Mitternacht, als es klingelte. Nobby, unser Hund war recht groß, er wog 35 kg und hatte eine sehr, sehr tiefe Stimme. Er war ein liebes Tier, begrüßte jeden mit Begeisterung. Aber für ihn war es eben nicht normal, dass so spät am Abend eine fremde Person vor der Tür stand, er musste Frauchen und den kleinen Jungen schließlich beschützen. Natürlich bemerkte er auch, dass ich verärgert war. Das laute Bellen von unserem Nobby weckte Frédéric, der nun laut schrie. Mein Sohn brauchte eine ganze Weile, bis ich ihn wieder beruhigt hatte. Während dieser Zeit saß Gaby gemütlich in der Küche. Und futterte. Danach ging sie schlafen.

Am nächsten Morgen war es wieder etwa 10 Uhr, als die Dame sich mit hungrigen Augen auf den Kühlschrank stürzte. Ich setzte mich zu ihr und wollte einige Dinge klären. Sie wehrte ab, sie müsse los. Ganz eindrücklich habe ich ihr allerdings vermittelt, dass sie bitte abends um 20.30 Uhr zurück sein solle. Sie habe ja erlebt, welches Chaos ansonsten durch Hund und Kind entstünde. Wir müssten unbedingt reden.

Es war kurz nach Mitternacht, es schellte, der Hund bellte wie verrückt, der Junge wurde wach und war wieder sehr lange nicht zu beruhigen. Alles das interessierte meinen Besuch absolut nicht, sie hatte Hunger. Meine Geduld war am Ende, ich war stinksauer.

Natürlich hatte ich nichts dagegen, wenn ein Besucher auch gelegentlich alleine die Stadt erkunden wollte. Aber ich hätte auch einen gemeinsamen Spaziergang mit Hund und Kind, ein gemeinsames Essen, einfach ein nettes Gespräch sehr nett gefunden.

Ich habe mich sehr klar ausgedrückt, sie könne gern gehen, solle aber vor 20.30 Uhr wieder zurück sein. Darauf verlangte die Dame einen Schlüssel. Sorry, wir lebten noch nicht lange in dieser Wohnung und besaßen zu dem Zeitpunkt nur zwei und einen hatte mein Mann mit auf die Geschäftsreise genommen. Zudem hätte unser Hund natürlich auch einen Riesenzirkus gemacht, wenn spät am Abend eine Person die Wohnung betreten hätte, die nicht zu seiner Familie gehörte.

Als ich meinen Sohn abends in sein Bett legte, war mein Besuch immer noch nicht zurück. Es war nach 23 Uhr, als sie vor der Tür stand. Lautes Bellen vom Hund, lautes Weinen aus dem Kinderzimmer. Gaby grüßte freundlich, wollte in die Küche gehen. Aber ich versperrte ihr den Weg. „Pack Deinen Koffer, verschwinde, so rasch wie möglich.“ Sie sah mich entgeistert an und lachte dann wie über einen guten Witz. Noch zweimal musste ich den Satz wiederholen, bis sie begriff. „Das ist nicht Dein Ernst.“ - „Doch, sofort, jetzt und auf der Stelle.“ - „Jajaja, morgen.“
„NEIN, JETZT SOFORT.“ „Wie stellst Du Dir das vor? Wo soll ich hin?“ - Ich blieb sehr gelassen. „Schräg gegenüber ist ein Hotel. Beeil Dich, ich will, dass Du diese Wohnung so rasch wie möglich verlässt.“

Die arme, arme Gaby, sie musste gehen, ohne noch etwas gegessen zu haben. 
Als Dozentin hatte sie ein sehr gutes Gehalt, die französische Sprache beherrschte sie perfekt, ich habe mir keine Gedanken machen müssen.
Wohin sie gegangen ist, was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht und es ist mir auch total egal.

Nie wieder hatte ich Besuch, der sich so rücksichtslos und unverschämt benommen hat.
 


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Kommentare (8)

Rosi65

Liebe Anita,

zu dieser Zeit gab es ja weder Handy noch Internet. Wie sehr muss Du Dich also damals auf den Besuch der guten Bekannten, und somit auch auf neue Nachrichten aus der Heimat gefreut haben.

Natürlich geht man in diesem jungen Alter gerne aus, und Paris ist dann natürlich ein ganz tolles Abenteuer.
Doch Du hattest schon Verantwortung für Deinen kleinen Sohn und den Hund zu tragen, und konntest nicht mit ihr einfach mal so um die Häuser ziehen. Das hatte Deine Bekannte doch sicher vorher schon gewusst, oder?

Wie schade, denn ihr hättet auch mit Kinderwagen und Hund tagsüber gemeinsam etwas Schönes unternehmen können, denn Du warst ja als Fremdenführerin geradezu dafür prädestiniert, und kanntest sicher auch die interessantesten Stellen und Ecken der Stadt. Dabei hätte man dann stundenlang plaudern und klönen können, auch über die alten Zeiten in Deutschland.
Sie hätte Dich ja wenigstens mal zum Essen einladen können, als kleines Dankeschön für Deine Gastfreundschaft.

Deshalb kann ich auch Deine Enttäuschung und Reaktion gut verstehen.

Herzliche Grüße
     Rosi65
 

IndianSummer1952

@Rosi65  

Liebe Rosi,

danke für Deine netten Worte.

Die Dame kannte mich sehr gut, während meines Studiums war sie meine Dozentin für Französisch. Aber auch danach hat sie uns gelegentlich in Bochum besucht. Allerdings: wir waren nie bei ihr in Dortmund.

Gaby kannte die Sehenswürdigkeiten von Paris wahrscheinlich besser als ich, sie war schon sehr oft dort gewesen. Wir waren gerade erst vor wenigen Monaten nach Paris gezogen. Natürlich waren wir vorher oft in Frankreich, aber dann meistens bei der Familie meines Mannes in der Normandie.

Natürlich hatte ich mich auf den Besuch gefreut. Wir hätten viel gemeinsam unternehmen können, der berühmte Friedhof Père Lachaise lag z. B. nur zehn Gehminuten entfernt von uns, wir hätten am frühen Abend zusammen essen gehen können mit Frédéric...  Aber das wollte sie doch gar nicht.

Sie hätte auch gern allein etwas unternehmen können, das wäre kein Problem gewesen. 

Wenn ich heute überlege, was ich empfunden habe, kann ich sagen: ich war wahnsinnig wütend. Enttäuschung war auch da, aber vor allem Wut. Sie hat mich ganz bewusst ausgenutzt. Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht und konnte es nicht begreifen, dass ich sie eiskalt in der Nacht auf die Straße gesetzt habe. Nein, ich habe kein schlechtes Gewissen. 😃

Komm gut durch die nächsten Tage, die wohl sehr heiß werden..
Liebe Grüße
Anita

werderanerin

Nicht umsonst gibt es ja dieses Sprichwort..."Besuch ist schön aber nach 3 Tagen fängt er vom Kopf an zu stinken, wie ein Fisch"...

Ich denke mir, dass es so etwas alles geben kann, wie ja dein Negativbeispiel zeigt aber im allgemeinen ist es doch, vielleicht nicht immer einfach aber machbar, wenn alle Seiten ein paar Regeln beherzigen.

Was überrascht, dass diese Frau so gar keine Empathie hatte und das ist doch eigentlich selten genug aber wie sagt man so schön....alles ist ein erstes mal.

Ich staune, dass du überhaupt solange mitgemacht hast. Was solls, man kann immer auch etwas lernen, die Menschen aber nie durchschauen. Getrennte Unterkünfte sind allemal besser aber wie du schreibst, sie hat dich ausgenutzt, was ja für einen schlechten Charakter spricht.

Kristine

IndianSummer1952

@werderanerin  

Hallo Kristine,

Dein Spruch "Besuch ist schön aber nach 3 Tagen fängt er vom Kopf an zu stinken, wie ein Fisch" gefällt mir überhaupt nicht.

Das hier war eine Ausnahme. Es gab Besuch, der zwei Wochen und länger blieb, so z. B. die Eltern meines Mannes, sie lebten in der Normandie. So war es schon, als wir noch in Deutschland wohnten.

Mich hat es immer sehr gefreut, wenn jemand vor der Tür stand. Auch nach diesem Erlebnis. 

Du staunst, dass ich dieses Spiel drei Tage mitgemacht habe. Ich hatte früher sehr viel Geduld, wenn aber der Geduldsfaden riss, dann war Schluss. Mit dieser Frau hätte ich nie wieder ein Wort gewechselt. 

Anita

 

Muscari

Liebe Anita,

solche Dinge passieren leider immer wieder mal.
Dass sich der Gast aus irgendwelchen Gründen beim Gastgeber nicht wohlfühlt und umgekehrt.
So würde auch ich nie und nimmer im Hause der Gastgeber wohnen wollen, sondern ziehe immer ein Hotel in der Nähe vor.
Sogar beim Besuch meines Sohnes mit Familie und eigenem Haus.
Die unterschiedlichen Gewohnheiten sind meist nicht miteinander zu vereinbaren, was zu Problemen und Unwohlsein führt.
Schade für Dich, dass aus diesem Grunde der Kontakt zu Gaby abgebrochen wurde.
Aber ich grüße Dich, mit großem Verständnis, ganz herzlich.
Andrea

IndianSummer1952

@Muscari  

Liebe Andrea,

danke für Deine netten Worte.

Diese Geschichte ist vor langer, langer Zeit passiert. 

Wir hatten oft Besuch, sei es von Freunden und Bekannten aus Deutschland, sei es von der Familie meines Mannes aus der Normandie.
Und immer hatten wir sehr viel Spaß bei gemeinsamen Unternehmungen, sind auf dem Père Lachaise, den man in 10 Minuten zu Fuß von uns erreichte, von Grab zu Grab gelaufen, genossen die stundenlangen Gespräche bis in die Nacht hinein.
Alle durften auch gerne alleine etwas unternehmen, damit hatte ich nie ein Problem. 

Aber in diesem Fall wurde ich einfach nur ausgenutzt, die Dame verdiente gut, beherrschte die Sprache perfekt (schließlich war sie meine Dozentin), sie hätte sich ein Hotel leisten können, aber sie plünderte erst einmal morgens den Kühlschrank. Auch so kann man Geld sparen. 😃

So etwas ist nie wieder passiert. Unsere Besucher wollten Zeit mit uns verbringen, Paris stand nur an zweiter Stelle.

Damals war ich sehr enttäuscht, heute kann ich darüber lachen. 

Ich hoffe, es geht Dir gut. Pass gut auf Dich auf bei dieser Hitze.
Viele Grüße
Anita

Lenova46

Das war gut zu lesen. Danke. 

Übrigens ich übernachte nie bei Bekannten. Immer ziehe ich ein Hotel vor, um ungebunden zu sein. 😉
Meine Wohnung betrachte ich auch nicht als Beherbungsbetrieb.

Die Menschen sind so unterschiedlich und wollen sich ihre Eigenheiten bewahren. 
Dagegen habe ich nichts einzuwenden. In der Regel passe ich mich bei kurzen Besuchen in einer fremden Wohnung an. Wie gesagt, übernachten nie, auch wenn ich dazu eingeladen werde. 

IndianSummer1952

@Lenova46  

Danke für Deinen Kommentar.

Lang, lang ist es her, dass diese Geschichte passiert ist.

Wir hatten oft Besuch, aus Deutschland von Freunden und Bekannten, aus der Normandie von der Familie meines Mannes. 
Immer hatten wir viel Spaß, wir haben viele Dinge unternommen, bei denen sich auch die Kinder nicht langweilten. Alle aber kamen, um Zeit mit uns zu verbringen, nicht wegen Paris.

Das hier war die ganz große Ausnahme. 
Ich habe mein Verhalten nie bereut. Sorgen musste ich mir ja um diese Dame in der Nacht in Paris nicht machen... 😃


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