Azoren – am Rande Europas


Die meisten Mitteleuropäer kennen die Azoren nur aus dem Wetterbericht. „Azorenhoch“ oder „Azorentief“ sind Begriffe, die fast in jedem Wetterbericht zu hören sind. Denn dort entsteht das Wetter, das dann einen oder zwei Tage später bei uns am Rhein eintrifft. Wer die Azoren kennt, der versteht, dass die Inselgruppe mitten im Atlantik gerne als Wetterfabrik bezeichnet wird. Denn dort gibt es jeden Tag alle vier Jahreszeiten und das in einem so schnellen Wechsel, dass man gar nicht schnell genug die Regenschirme auf und zu machen kann.

Die Azoren haben außerdem noch eine weltübergreifende Bedeutung. Sie sind die aus dem Ozean ragende Spitze des unterseeischen mittelatlantischen Rückens. So gut wie alle Erdbeben werden von dort aus verursacht, denn die tektonischen Platten, aus denen der Erdmantel besteht, streben im mittelatlantischen Rücken auseinander und drücken an anderer Stelle – zum Beispiel im Pazifik – aufeinander und lösen Verschiebungen der Plattentektonik aus – Erdbeben.

Auf den Azoren selbst sind die Beben eher selten, aber dort ist die Erde offen, an vielen Stellen zischt und brodelt es, brühend-heißes Wasser in den Fumarolen, Wasserdampf und infernalisch stinkender Rauch aus den Felsspalten, brodelnder zischender Schlamm hebt und senkt sich in den Löchern, die sich das Erdinnere nach außen gebohrt hat.

Also eine ganze Reihe von Gründen, auch mal die Azoren zu besuchen. Wir waren zweimal dort, auf der Hauptinsel Sao Miguel in dem Dörfchen Furnas, das inmitten eines ehemaligen Vulkankraters liegt, der zur Hälfte ein See mit unterseeischen heißen Quellen geworden ist.

Wer auf die Azoren reist, begibt sich – zumindest teilweise – auch in ein anderes Jahrhundert. Natürlich ist die Inselgruppe portugiesisch und gehört zu Europa, aber sie ist nun mal der am weitesten draußen liegende Vorposten. Da gehen – wie man so sagt – nicht nur die Uhren anders – die gehen auf jeden Fall langsamer und manchmal überhaupt nicht. Vieles gibt es nicht, und so lernt man denn auch sehr schnell, dass man viele unserer modernen Zivilisations-Notwendigkeiten eigentlich überhaupt nicht braucht. Und wenn man doch dringend etwas Besonderes haben will, dann fliegt man in die anderthalb Stunden entfernte Hauptstadt Lissabon. Es ist ja ein Inlandsflug, der gerne auch dann von den azoreanischen Hausfrauen genommen wird, wenn sie neue Klamotten brauchen, weil die Nachbarstochter heiratet.

Den Inlandsflug auf die Azoren mussten auch wir benutzen, nachdem wir uns vom internationalen Teil des Lissabonner Flughafens in den nationalen durchgekämpft hatten. Die sogenannte deutsche Ordnung vermisst man dann sehr schnell. Wenigstens das Flugpersonal sprach ein verständliches Englisch. Es konnte also losgehen.

Und es ging los. Vor uns in der Reihe saßen vier mittelalte Hausfrauen. Als das Flugzeug anrollte, fingen die vier an laut zu beten mit bekreuzigen und allem, was zu einem Rosenkranz dazu gehört. Sie beteten bis zur Landung in Ponta Delgada – und siehe da, nachdem sie uns über dem Atlantik in der Luft gehalten hatten brachten sie uns auch sicher auf den Boden …

In der Flughafenhalle erwartete uns ein metergroßes Schild mit unserem Namen drauf, der Mann vom Reisebüro sprach perfektes Deutsch, weil er einen Großteil seines Lebens in Köln verbracht hatte. Er brachte uns in das zwei Stunden entfernte Furnas. Mittlerweile war es Mitternacht, auf dem Hotelzimmer erwarteten uns ein paar Sandwiches. Die wunderschöne Landschaft, den Hotelpark mit dem 38 Grad warmen Badesee haben wir erst am nächsten Morgen vom Balkon aus gesehen.

Das Hotel Terra Nostra liegt zwar an der Hauptstraße von Furnas aber dahinter öffnet sich der jetzt zum Hotel gehörende riesengroße Park mit einer hochherrschaftlichen Villa, die zu Zeiten der Gründung der Vereinigten Staaten von dem reichen Amerikaner Thomas Hickling gebaut und bewohnt wurde. Hickling übte damals so etwas wie eine Botschafterrolle aus, weil die Azoren auf dem Seeweg zwischen Europa und Amerika eine wichtige Station war.

Der Badesee ist an seiner tiefsten Stelle nicht mehr als zwei Meter tief, die Farbe des Wassers wechselt je nach Lichteinfall zwischen schwefelgelb und rostbraun, und es riecht auch nach Schwefel und nach Rost. Die Sicht unter Wasser beträgt bestenfalls zehn Zentimeter. Und wer nach dem Schwimmen seine europäische Hautfarbe wieder haben will, der muss in seinem Hotelzimmer eine Weile unter die Dusche.

Aber das Wasser hat eine sehr starke heilende Wirkung. Meine Frau kam mit Ischias-Problemen in Furnas an, diese Probleme sind in dem Badesee geblieben. Auch sonst werden die vulkanischen Dämpfe sowohl von den Besuchern in der freien Natur, als auch in einem dort aufgebauten Sanatorium für den ganzen rheumatischen Formenkreis genutzt.

Eine gastronomische Besonderheit ist eine außergewöhnliche Kochgewohnheit der Azoreaner. Da werden Kartoffeln, Gemüse, Fleisch, Gewürze und was sonst noch dazu gehört in ein großes Leinentuch fest eingebunden. Dieses Bündel wird dann an einem Haken in eine Fumarole mit dem kochend heißen Wasser eine entsprechend lange Zeit reingehängt und von dort kommt es essfertig auf den Tisch. Solche Picknicks sind an den Wochenenden unter den Einheimischen üblich. Auch unser Hotel hat solche Fumarolen-Gerichte angeboten. Die europäischen Gäste vom Festland haben alle mal bestellt – zu Ende gegessen hat keiner, denn der Schwefelgeschmack war dann doch wohl zu stark.

Urlaub auf den Azoren hat etwas Besonderes. Abenteuerlich schnelle Wetteränderungen mit dahinsausenden Wolken, das völlige Fehlen von organisiertem Tourismus, die Stille der Natur, die etwas altertümlichen Umgangsformen der Einheimischen.

Beim Rückflug frühmorgens, als sich das Flugzeug die scheinbar unendlich hohen Wolkenberge hochschraubte, da haben wir die vier Hausfrauen vermisst, die auf dem Hinflug durch ihre Gebete das Flugzeug über den Wolken gehalten haben. Es machte uns besorgt, dass wir uns beim Rückflug allein auf das Können des Flugkapitäns verlassen mussten. Aber es hat geklappt …

Die Azoren wurden 1427 von Diego de Silves im Auftrag des portugiesischen Königs Heinrich dem Seefahrer wieder entdeckt. Sie wurden Habichtsinseln genannt, Acores = Habichte (portugiesisch). Münzfunde auf der Insel Corvo lassen darauf schließen, dass die Azoren schon etwa 500 Jahre vor Christi Geburt von den Phöniziern entdeckt worden waren.

Die Besiedlung durch Portugal begann Mitte des 15.Jahrhunderts. Mit Beginn des 19.Jahrhunderts erlebten die Azoren eine wirtschaftliche Blüte. Orangen, Tee und Tabak wurden angebaut. Der Walfang wurde intensiviert und eine Walfangflotte wurde aufgebaut. An dieser wirtschaftlichen Entwicklung hatten auch die guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten einen großen Einfluss.

Mit zunehmender Technisierung wurden die Azoren zu einer Schaltstelle zwischen Amerika und Europa. Die Dampfschifffahrt benötigte Versorgungs-Häfen. 1893 wurden mit dem ersten Unterseekabel die beiden Kontinente telegrafisch verbunden. Schon in den 30er Jahren gab es einen regelmäßigen Fluglinienverkehr mit großen Wasserflugzeugen. Der Hafen von Horta war ein Zwischenlandeplatz auch für die deutsche Do X.

São Miguel ist die größte Insel der Azoren. Sie hat eine Fläche von 746,8 Quadratkilometern. Die Insel ist 63,7 km lang und 16,1 km breit. Auf São Miguel leben etwa 131.000 Menschen. Rund 20.000 davon in der Hauptstadt Ponta Delgada. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist für Sao Miguel der Anbau von Obst, insbesondere Ananas. Auf der Insel sind die einzigen Teeplantagen innerhalb der Europäischen Union. Die Bedeutung der Fischerei ist stark rückläufig. Vermutlich weil der kommerzielle Walfang seit den 60er Jahren verboten ist..



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