In der DDR war der Kraftstoff für Betriebsfahrzeuge rationiert. Es gab Talons für Dieselkraftstoff zu je 10 Liter, die wie Briefmarken aneinander­gereiht waren. Bei Bedarf riss man die entsprechende Anzahl von Wert­marken an der Perforation ab und übergab sie dem Tankstellenpersonal. Auf einer der ersten gemeinsamen Fahrten mussten sie tanken und Ulrich schickte Lothar an die Tanksäule, nicht ohne ihm den Hinweis mit auf den Weg zu geben, dass sie nur 80 Liter tanken dürften, weil sie nicht mehr Talons hatten. Lothar öffnete den Tankverschluss des LKW, nahm den Schlauch, steckte die Zapfpistole in den Tank und drückte den Hebel, sodass der Kraftstoff zu fließen begann. Lothar war seit langem Autofahrer, weshalb er meinte genau zu wissen, wie Tanken funktioniert. Als er nach einigen Sekunden zur Tankanzeige schaute, war er ganz erstaunt, dass erst fünf Liter Diesel in den Tank geflossen waren, denn der Schlauch war viel dicker, als der an der Benzintanksäule und das Geräusch deutete auch auf eine größere Menge hin. Er hielt also weiterhin die Zapfpistole gedrückt, um auf die gewünschten 80 Liter zu kommen. Als die Pistole automatisch abschaltete, zeigte die Anzeige 13 Liter. Er rief Ulrich, der gerade mit der Tankwartin flirtete und zusammen mit dieser gleich erschien. Ulrich traute seinen Augen nicht, als er auf die Anzeige blickte und rief entsetzt: „Ich habe doch gesagt nur 80 Liter!“ Lothar schaute verdutzt auf die Anzeige und bemerkte plötzlich, dass am Rand der Skala „x10“ zu sehen war; also hatte er 130 statt 80 Liter getankt. Nun war guter Rat teuer. Die Tankwartin blieb ruhig. Sie nahm erst mal die acht Dieselgutscheine und sagte dann ganz pragmatisch: „Dann zahlt ihr mir den Rest eben in bar.“ Lothar war froh, dass sich die Sache so einfach lösen ließ und zückte sein Scheckbuch. Er war sich bewusst, etwas falsch gemacht zu haben und zog nun die Konsequenzen. Ulrich jedoch war optimistisch, denn er ließ sich eine Quittung über den bezahlten Betrag aushändigen und wollte diese dem Chef vorlegen, damit Lothar sein Geld zurückbekäme.

Als Lothar zurück in der Firma die Tankquittung klopfenden Herzens dem Chef zur Unterschrift vorlegte, schlug dieser ihm anerkennend auf die Schulter, denn auf diese Weise hatten sie mehr getankt als ihnen zustand. Er sagte: „Da kann ich Sie ja öfter zum Tanken schicken.“

Aus dem Buch "Er war stets bemüht" von Wilfried Hildebrandt


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