Alleine leben - nicht immer (un-)möglich
Ich habe (eigentlich) immer alleine gelebt. Nach der ersten Kennenlernphase, dem Zusammenleben, bis die Kinder da waren (komm mir bloß nicht mit einem dritten Kind, nimm die Pille!!) gab es eine in gewisser Art Zeit des Zusammenlebens. Aber das führte nicht dahin, dass sich nach dem Auszug der selbstständig gewordenen Kids wieder eine andere, neue Art des Zusammenlebens ergab.
Er hatte schon mit 14 Jahren angefangen zu trinken. Er blieb zwar sein Leben lang bei Bier, aber dennoch war er zu 99 % Alkoholiker. Irgendwann in den 1980er Jahren wechselte er den Hausarzt. Eines Tages musste ich für ihn wegen einer Erkrankung dort hin, sein Blutergebnis und eventuell Medikamente-Verschreibung abholen. Die Antwort des Arztes auf meine Frage, ob das Blutergebnis ok sei, erschlug mich fast: "Wenn ich für meine Studenten als Dozent einen typischen Alkoholiker zeigen müsste, wäre ihr Mann prädestiniert dafür!"
Diesen Satz und die Ausdrucksweise des Arztes werde ich nie vergessen!!
Es fiel mir schwer, den Weg nach Hause einzuschlagen!! Bewusst hatte ich unseren Pkw zuhause gelassen, damit mein Mann aufgrund der gefahrenen km nicht feststellen könnte, wo ich gewesen sein mochte. Also schlich ich mich heftig zitternd zu Fuß nach Hause. Es wurde ein langer Weg ...
Ich wusste ja, dass er jeden Abend seine Bierchen trank, aber die Menge kannte ich nicht. Er schluckte in seinem Bastelkeller und ich saß meist im Wohnzimmer, schaute beim Pullover stricken für die ganze Familie inklusive Schwiegermutter TV.
Der Kontrolleur in mir erwachte. Ich begann, jeden Morgen die restlichen Flaschen Bier in der Kiste zu notieren und rechnete aus, wie hoch sein Alkoholpegel beim Zubettgehen war und wie hoch er im Verlauf des kommenden Tages abends noch sein würde. Schnell stelte ich fest, dass er nie mehr nüchtern sein konnte ... Ich begann, auf längeren Strecken selber zu fahren, damit ich mir nicht Vorwürfe machen müsste, sollte es zu einem Unfall gekommen sein, mir auch noch von der Polizei Vorwürfe anhören zu müssen, warum ich ihn hatte das Steuer übernehmen lassen. Und er freute sich, dass ich ihn "spazieren" fuhr.
Es war letztlich für mich der Anlass, ihm keine Kiste Bier mehr ins Haus zu holen, sie nicht zu kaufen, nur damit er etwas zu trinken hätte. Das musste er nun selbst tun. Dummerweise begann ich zu der Zeit, die Wochenenden bei unserer Tochter in meinem heutigen Zuhause zu verbringen. "Wenn K. Kontakt mit uns haben will, kann sie ja herkommen! Ich fahr ihr doch nicht hinterher!" bekam ich von ihrem Vater zu hören ... Dafür entdeckte ich so manches Mal gleich zwei leere große Bierkisten, die vor meiner Fahrt zur Tochter noch nicht im Keller gestanden hatten. Und Gäste hatte er nicht gehabt!
Es gab ein Wochenende, an dem ich mit dem Zug gefahren war. Ich hatte keine Lust, von meinem Mann vom Bahnhof abgeholt zu werden, ihm Rede und Antwort zu stehe, weshalb ich erst Montags wieder nach Hause gekommen sei. Ich rief eine liebe Freundin an, sie holte mich vom heimischen Bahnhof ab und wir machten erst einmal einen Einkaufsbummel, einerseits, um ein wenig Zeit miteinander zu verbriingen, andererseits wollte sie ihrem Gatten ein Geschenk zum 50. Geburtstag kaufen. Aber irgendwann musste jede von uns auch wieder nach Hause.
Es gab bald kein Miteinander mit meinem Mann mehr. Ich floh vor ihm nach Verden. Nur ins 50 km entfernte Münster in mein Elternhaus zu flüchten war mir zu nahe. Es hätte sein können, dass er mich von dort nach Hause hätte holen wollen. Doch über 170 km würde er dazu nicht fahren ,... Tat er auch nicht.
Mich offen ihm gegenüber gegen seinen Alkoholmissbrauch zu stellen, wagte ich nicht. Ich wusste ja, wie brutal er mit seiner Mutter umging, wenn wir sie für ein Wochenende aus der Geriatrie zu uns geholt hatten, weil sie dann oft in die Wechselgeschichte ihrer manisch-depressiven Erkrankung verfiel, manchmal kaum zu bändigen war. Ich erlebte nicht nur einmal, wie heimtückisch sie dem Pflegepersonal der Klinik vormachte, dass es ihr gut gehe, so dass wir Zwei einen Spaziergang machen konnten ... Es kam vor, dass sie die getrocknete Wäsche aus dem Waschkeller geholt hatte, diese zusammenlegte, dann im Küchenschrank verstaute und sich lauthals über das dort lagernde Geschirr beklagte.
Wenn ich sie am Wochenende besuchte, kam es vor, dass sie dann schon insgeheim Fluchtpläne erdacht hatte und mich auf offener Straße ohrfeigte, wenn ich nicht so funktionieren wollte, wie sie sich das dachte. Meine Fantasie war dann gefragt, damit ich sie doch wieder iin der Geriatrie abliefern konnte.
Einmal war es so krass, dass ich mir einfallen ließ, ihren Sohn - meinen Mann - von einer Telefonzelle aus anzurufen. Sie hatte mit ihrer kranken Idee mir schon die passende Ausrede vorgegeben: Mein Mann würde heute heiraten und sie sei eingeladen, das mitzufeiern! Also rief ich ihn zuhause an und fragte ihn, wo er denn bleibe, die Braut und die Hochzeitsgäste warteten schon auf ihn!
Obwohl er nicht mehr nüchtern war, begriff er meine Notlage sofort. Kurz darauf kam er mit einem Taxi, griff seine Mutter schimpfend und steuerte sie streng und kurz gehalten zurück in die Klinik.
Ein letzter Spaziergang fand nicht mehr statt, weil sie an jenem Tag hohes Fieber hatte, aber das interessierte die Krankenschwester nicht. Sie maß erst Fieber bei ihr, als ich darauf bestand! Ich wies noch darauf hin, dass sie - anders als sonst - einen hochroten Kopf hatte. Ihre Temperatur lag über 41° C. Das Temperaturergebnis erst veranlasste die Schwester zu erforderlichem Handeln. Nun aber "war Holland in Not"! Es läutete das Ende meiner Schwiegermutter ein. Sie bekam ihre letzte Ruhestätte bei ihrem Mann, der schon ein paar Jahre zuvor gegangen war.
Für ihren Sohn - meinen Mann - war die Erkrankung seiner Mutter der Ausgangspunkt zum Alkoholiker. Ihr Ende aber verstärkte es noch. Es kam der Zeitpunkt, an dem ich mich entschloss, dieses Handeln nicht mehr zu ertragen. Ich packte heimliich die notwendigsten Sachen, während mein Mann seinen Rausch auf der Terrasse im Frühlingssonnentag, am 8, März, dem Welttag der Frauen, ausschlief. Unser Pkw war auf mich zugelassen und so nahm ich mit meinen Sachen auch den Pkw mit. Erstes Frohgefühl überkam mich, als ich die erste Straßenkurve von Zuhause nahm, so daß ich das Gefühl hatte: jetzt kann er dich nicht mehr festhalten! Und richtig glücklich lachend rief ich meine Tochter an, als ich die B51 erreicht hatte, um zu meinem neuen Zuause zu fahren ... "Ich bin auf dem Weg zu Dir!"
Kommentare (4)
@Distel1fink7
Liebe Distelfink7!
Das Leben hat mich wohl in weiser Vorraussicht mit viel Kraft ausgestattet. Mit gerade 7 Jahren die Mama zu verlieren war schon recht schwer. Dann für vier Jahre die große Schwester nicht mehr zu haben, weil sie "als Zankliese" der Oma und unserem Vater das Leben schwer machte, war der nächste Knackpunkt, der dafür sorgte, dass ich begann, mein Leben nur auf mich selbst als festen Punkt zu beziehen.
Es führte dazu, dass unsere Jüngste, nochmal 2 1/2 Jahre jünger als ich, und ich uns ein wenig den Halt gaben, den wir durch die fehlende Mama so vermissten. Erfuhr ich gerade vor einigen Wochen von ihr, als sie mich auf der Durchreise nach Hause hier besuchte, Sie kam von einer Freundin in Norwegen, war auf dem Heimweg nach NRW. Solchen Kontakt haben wir Zwei nicht zu unserer "Großen". Ich hatte das Bedürfnis, diese nach dem Besuch der jüngeren Schwester mal anzurufen. Doch ihre Art war mir so befremdlich, dass ich das nicht so bald wiederholen werde. Ob das nur an dem geringeren Altersunterschied zwischen uns Jüngeren liegt??
Gelegentlich dachte ich, es sei die Art unserer Mutter, so, wie sich die Älteste gab. Aber schon vor vielen Jahren gab mir der Besuch bei einer Schwester meiner Mutter die Antwort, dass das nicht so sein konnte. Meine Tanten und ihre Brüder waren der Erziehung der ältesten Schwester - meiner Mutter - als Kinder ausgeliefert, weil das Elternhaus meiner Mutter das Haus eines Handwerkers mit 9 Gesellen war, für die ihre Mutter, die Frau des Firmeninhabers, zu den Arbeiten für die eigene Familie kochen und waschen musste. Da wurde die Älteste gleich reichlich eingespannt!
In den 1950er Jahren war es dann auch noch so, dass meine ältere Schwester nach Beendigung ihrer Schulzeit im Salon unseres Vaters den Friseurberuf erlernen musste. Dann heiratete unser Vater ein zweites Mal. Die Stiefmutter brachte ihren mir gleichaltrigen Sohn mit in die Ehe. Unser Vater hatte sie geheiratet, weil der Sohn einmal den Salon übernehmen sollte. Wir Mädchen als Frauen seien nicht in der Lage, ein so großes eigenes Geschäft zu führen!! Das sei Männern vorbehalten! Frauen seien keine Geschäftsinhaber! Unser Adoptivbruder zeugte später zwei Töchter. Aber er hatte keine Ambitionen, der Älteren den Salon nicht zu übertragen! Sie führt den Salon ausgezeichnet! Die jüngere Schwester ist seit Jahren in Berlin als Staatsanwältin tätig.
Aus tiefer Enttäuschung, beruflich nicht das tun zu dürfen, was mir gefiiel, schrieb ich als 14-Jährige ein 200 Seiten starkes Abenteuerbüchlein. Mein Vater las es, es gefiel ihm gut, aber "... mit schreiben verdient man nichts! Lern lieber einen anständigen Beruf!" Also machte ich eine Bürolehre.
Weder unsere Jüngste noch ich gingen unserer Lieblingsbeschäftigung nach. Die beste Zensur auf unsesren Zeugnissen war eine Eins für Kunst! Meine jüngere Schwester lernte zwar zuerst Friseuse, aber nach der mit sehr gut bestandenen Abschlussprüfung bekam sie ein Stipendium für Malerei, Rhetorik und Deutsch. Letztlich aber führte die Heirat mit einem Designer zu ihrem heuigen Beruf - ebenfalls Designerin (sie musste ihre eigenen Arbeiten immer sehr hüten, ihr Mann verkaufte sie nämlich als seine Arbeiten!).
Meiner Tochter habe ich erst gar keine Steine diesbezüglich in den Weg gelegt. Sie arbeitet in ihrer eigenen Firma längst als Designerin, die sich den heutigen Anforderungen der Werbebranche längst angepasst hat ...! Und was das Schreiben angeht, ist sie auch nicht ganz untätig!
Irgendwie setzt sich eben doch durch, was als Talent in einem angelegt ist ...
In meine Mittdreißigern hatte ich in der Adventszeit befreundeten Damen aus meinem damaligen Heimatort Stoffdruck-Kurse angeboten und durchgeführt, für einen Hobbymarkt etliche kleine Bildchen angefertigt, die guten Absatz fanden. Aber die Schulzeit meiner Kinder forderten Anderes.
Viele kleine Bildchen in meinem Flur erinnern mich täglich daran, einmal das getan zu haben, was meine Polyneuropathie heute nicht mehr zulässt. Das Leben geht eben manchmal andere Wege als man sich wünscht.
Hallo,
das kann ich nachvollziehen, auch wenn es bei mir lange nicht so schlimm war !
Aber jeder hat sein "Päckchen" zu tragen : dafür war es bei mir das ewige Fremdgehen meines Mannes, seine Unzuverlässigkeit, man konnte sich überhaupt nicht auf seine Zusagen stützen ! Daher war ich erst "frei", als er sich von mir trennen wollte und ich dann dafür gesorgt habe, dass es irgendwie ging (wir hatten ja immerhin 6 Kinder!).Erst später empfand ich das "Glück des Alleinseins" !
Liebe Grüße Marianne
Schön, kannst du bei deiner Tochter leben.
Auch, dass du eine "Restfamilie" hast, die hinter dir steht.
Alles Gute für dich wünscht dir, Agathe
namttor
Das ist eine sehr schlimme Leidemsgeschichte. Es ist richtig, dass Du
nun Deinen Weg allein (d.h. ohne Ihn ) gehst.
Diesen Weg wirst Du noch genieße n
können.
Weiterhin viel Kraft
Distel1fin7