22.April 1945
Es war am 22.April vor 65 Jahren als mein ein Jahr älterer Bruder und ich gemeinsam konfimiert wurden. Meine Konfirmation hätte erst ein Jahr später, nach Vollendung meines 14.Lebensjahrs erfolgen dürfen, doch meine Mutter hatten sich angesichts der prekären Lebensverhältnisse zu dieser doppelten Einsegnung entschlossen und Pfarrer Bourquin hatte eingewilligt.
So schritt also an diesem Frühlingstag 1945, der Herr Pfarrer gemessenen Schrittes durch den Mittelgang der St.Pauls Kirche in Berlin-Gesundbrunnen, in Richtung Altar. Wir Konfirmanden trotteten jeweils zu zweit hinterher. Als mit einem Mal das schon den ganzen Vormittag andauernde Grummeln in der Luft anschwoll und dumpfe Detonationen zu vernehmen waren, wurde der Herr Pfarrer schneller. Als wir kurz darauf vorn angelangt waren und niederknieten, war das Handauflegen, das hastige Murmeln eines Segensspruchs und die Überreichung des gedruckten Konfirmationsspruches, in Rekord verdächtiger Zeit abgehandelt. Die Kirche leerte sich in eben so grosser Eile. Wir, meine Mutter, deren Mutter, eine Tante, mein Bruder und ich hasteten durch die Strassen um ganz schnell nach Hause zu kommen. Das Arteleriefeuer und Granateinschläge hörten sich bereits bedrohlich Nahe an, Hinzu kam das bellende Geräusch des Abfeuerns der Flakgeschütze auf dem nahen Humboldhain-Bunker. Zuhause angekommen ganz nahe der Bornholmer Brücke, zogen wir richtig in den Luftschutzkeller ein, der bislang nur vorübergehend bei Alarm genutzt werden musste.
Bei unserem Eintreffen war die Hausgemeinscht vollzählig anwesend und eben eine Diskussion im Gange. Einige meinten, es wäre vielleicht ganz gut, wenn die Russen kämen mein Vater hätte seine Sträflingssachen an. War doch mein Vater erst vor einem Monat aus dem Zuchthaus Sonnenburg zurück gekommen. Dem Massaker dort war er mit beinahe unfassbsrem Glück entkommen wie auch dem anschlissenden Todesmarsch der von Sonnenburg über Küstrin zum Zuchthaus Brandenburg gehen sollte. Der Leiter der Strafanstalt Wronke a.d. Warthe, ein Herr Jörg, widersetzte sich dem Befehl die Gefangenen nach Sonnenburg zu bringen und dort zu erschiessen. 500 Strafgefangene entlies Jörg umgehend, mit weiteren 1000 begann der Todesmarsch gen Westen. Meine Mutter beendete die Debatte um die Sträflingskleidung, sie meinte so lange die Russen nicht da wären und die SS-Kettenhunde sich noch draussen rumtrieben käme sowas nicht in Frage.
Das mit einer SS-Streife habe ich am nächsten Tag sehr drastisch erlebt. Auf Erkundungstour sah ich in der Jülicher Strasse drei SS-Manner die einen alten Mann von einem Stuhl runterzerrten, auf dem er gestanden war um eine weisse Fahne an der Haustür anzubringen. Was da in scharfem Ton gebrüllt wurde, konnte ich nicht verstehen. Aber mit ansehen musste ich wie der alte Mann an die Hauswand gestellt und im nächsten Augenblick erschosssen wurde.
Vielleicht schreibe ich hier irgendwann mal weiter
sysiphus...
So schritt also an diesem Frühlingstag 1945, der Herr Pfarrer gemessenen Schrittes durch den Mittelgang der St.Pauls Kirche in Berlin-Gesundbrunnen, in Richtung Altar. Wir Konfirmanden trotteten jeweils zu zweit hinterher. Als mit einem Mal das schon den ganzen Vormittag andauernde Grummeln in der Luft anschwoll und dumpfe Detonationen zu vernehmen waren, wurde der Herr Pfarrer schneller. Als wir kurz darauf vorn angelangt waren und niederknieten, war das Handauflegen, das hastige Murmeln eines Segensspruchs und die Überreichung des gedruckten Konfirmationsspruches, in Rekord verdächtiger Zeit abgehandelt. Die Kirche leerte sich in eben so grosser Eile. Wir, meine Mutter, deren Mutter, eine Tante, mein Bruder und ich hasteten durch die Strassen um ganz schnell nach Hause zu kommen. Das Arteleriefeuer und Granateinschläge hörten sich bereits bedrohlich Nahe an, Hinzu kam das bellende Geräusch des Abfeuerns der Flakgeschütze auf dem nahen Humboldhain-Bunker. Zuhause angekommen ganz nahe der Bornholmer Brücke, zogen wir richtig in den Luftschutzkeller ein, der bislang nur vorübergehend bei Alarm genutzt werden musste.
Bei unserem Eintreffen war die Hausgemeinscht vollzählig anwesend und eben eine Diskussion im Gange. Einige meinten, es wäre vielleicht ganz gut, wenn die Russen kämen mein Vater hätte seine Sträflingssachen an. War doch mein Vater erst vor einem Monat aus dem Zuchthaus Sonnenburg zurück gekommen. Dem Massaker dort war er mit beinahe unfassbsrem Glück entkommen wie auch dem anschlissenden Todesmarsch der von Sonnenburg über Küstrin zum Zuchthaus Brandenburg gehen sollte. Der Leiter der Strafanstalt Wronke a.d. Warthe, ein Herr Jörg, widersetzte sich dem Befehl die Gefangenen nach Sonnenburg zu bringen und dort zu erschiessen. 500 Strafgefangene entlies Jörg umgehend, mit weiteren 1000 begann der Todesmarsch gen Westen. Meine Mutter beendete die Debatte um die Sträflingskleidung, sie meinte so lange die Russen nicht da wären und die SS-Kettenhunde sich noch draussen rumtrieben käme sowas nicht in Frage.
Das mit einer SS-Streife habe ich am nächsten Tag sehr drastisch erlebt. Auf Erkundungstour sah ich in der Jülicher Strasse drei SS-Manner die einen alten Mann von einem Stuhl runterzerrten, auf dem er gestanden war um eine weisse Fahne an der Haustür anzubringen. Was da in scharfem Ton gebrüllt wurde, konnte ich nicht verstehen. Aber mit ansehen musste ich wie der alte Mann an die Hauswand gestellt und im nächsten Augenblick erschosssen wurde.
Vielleicht schreibe ich hier irgendwann mal weiter
sysiphus...
Kommentare (2)
ortwin
Ich war zu jung, um aus der Gemengelage, die uns in dieser Zeit umgab, logische Folgerungen zu ziehen. Ich war zu behütet, um Negatives zu erfassen.
Du schreibst über die Erlebnisse in den letzten Tagen von "Pompeji".
Seit Herbst 1944 war ich bei der Nachrichten-H.J. so mit anderen Schulkameraden - Wir wollten nicht mehr Geländespiele machen, wir wollten was "Nützliches" tun.
Wir trainierten das Strippenziehen und das Spiel am Klappenschrank.
Wir fuhren mit S- und Vorortbahn nach Zossen ins OKH (Oberkommando des Heeres), schleppten die Fernmeldemittel hinaus nach Eichwalde, zogen durch den Ort Strippen und bauten in Schulzendorf im Gutshaus eine Vermittlung auf. Wir schoben Dienst am Klappenschrank.
Fliegeralarm! Man stopfte uns Bürschchen in den Keller - wir waren sauer.
20.April - genau vor 65 Jahren - wir wurden auf den "Führer" vereidigt, durften nun die H.J.-Binde tragen - sofern man noch eine erwischte.
Wir wollten ab nach Potsdam, wollten uns freiwillig melden.
Rechnung ohne unsere Mütter: Karzer im Keller!
In der Nacht irgendwann danach marschierte der Russe durch Eichwalde - in jede Straße, die er passierte setzte er MG-Feuer ein. Am nächsten Morgen zogen Truppen Richtung Berlin - ich stand da am Straßenrand, noch mit dem Braunhemd und der Überfallhose - ich hatte keine andere Wäsche - man beachtete mich nicht, ich "beurteilte" das Geschehen mit naiven Augen.
Ein Sergant und ein Gemeiner kamen in unseren Garten, verlangten Wasser. Mutter hatte uns sechs Kinder um sich geschart - Kein Russe tut einem Kind etwas zu Leide! Mutters Schutz, wenn überhaupt noch nötig.
Weiterschreiben! so, wie ich es auch tue - Nicht alles denen überlassen, die besseren Draht zu TV und Radio haben.
ortwin
Du schreibst über die Erlebnisse in den letzten Tagen von "Pompeji".
Seit Herbst 1944 war ich bei der Nachrichten-H.J. so mit anderen Schulkameraden - Wir wollten nicht mehr Geländespiele machen, wir wollten was "Nützliches" tun.
Wir trainierten das Strippenziehen und das Spiel am Klappenschrank.
Wir fuhren mit S- und Vorortbahn nach Zossen ins OKH (Oberkommando des Heeres), schleppten die Fernmeldemittel hinaus nach Eichwalde, zogen durch den Ort Strippen und bauten in Schulzendorf im Gutshaus eine Vermittlung auf. Wir schoben Dienst am Klappenschrank.
Fliegeralarm! Man stopfte uns Bürschchen in den Keller - wir waren sauer.
20.April - genau vor 65 Jahren - wir wurden auf den "Führer" vereidigt, durften nun die H.J.-Binde tragen - sofern man noch eine erwischte.
Wir wollten ab nach Potsdam, wollten uns freiwillig melden.
Rechnung ohne unsere Mütter: Karzer im Keller!
In der Nacht irgendwann danach marschierte der Russe durch Eichwalde - in jede Straße, die er passierte setzte er MG-Feuer ein. Am nächsten Morgen zogen Truppen Richtung Berlin - ich stand da am Straßenrand, noch mit dem Braunhemd und der Überfallhose - ich hatte keine andere Wäsche - man beachtete mich nicht, ich "beurteilte" das Geschehen mit naiven Augen.
Ein Sergant und ein Gemeiner kamen in unseren Garten, verlangten Wasser. Mutter hatte uns sechs Kinder um sich geschart - Kein Russe tut einem Kind etwas zu Leide! Mutters Schutz, wenn überhaupt noch nötig.
Weiterschreiben! so, wie ich es auch tue - Nicht alles denen überlassen, die besseren Draht zu TV und Radio haben.
ortwin
Die jungen Menschen waren leicht zu begeistern,weiß man wie das heute aussehen würde ?
Wie gut daß sich heute kein junger Mensch für solches entscheiden muß!