Zimmer 13
~
Etliche Stunden war Anke schon mit dem Auto unterwegs und es wurde bereits dunkel. Dieser fürchterliche Streit mit ihrem Vater ging ihr nicht aus dem Kopf. Er konnte Dieter, ihren Freund, einfach nicht leiden, ständig meckerte er über ihn, denn er sah in ihm nur den armen Studenten, der seiner Tochter nichts bieten konnte. Ihr aber waren seine finanziellen Verhältnisse egal, sie liebte Dieter nun mal, da konnte ihr Vater sagen, was er wollte.
Heute Mittag jedoch, als Anke von Verlobung gesprochen hatte, war dieser stete Zwist eskaliert und ihr Vater war total ausgerastet, woraufhin sie sich in ihr Auto gesetzt hatte und einfach losgefahren war. Sie wollte ihren Kopf freibekommen, jedoch gelang es ihr nicht so richtig, sie war stinksauer. Der Rückspiegel wurde ihr Gesprächspartner.
„Ich bin 19 Jahre alt, kein Kind mehr, da bin ich doch wohl reif genug, um über meine Zukunft, über mein Leben, selbst bestimmen zu können.“
Der Spiegel konnte ihr nicht antworten, aber das war ihrem grimmigen Gesichtsausdruck auch sehr recht.
Plötzlich fing der Motor an zu stottern. Was war denn jetzt los? Anke hielt an einem Waldrand an, kramte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, betätigte den Hebel für die Frontklappe und stieg aus dem Wagen aus. Das Öffnen der Motorhaube war überhaupt kein Problem, auch das Feststellen mit der Haltestange ging ganz einfach, aber was konnte sie denn schon ausrichten? Besaß sie vielleicht Kenntnisse über Motoren? Nein, sie hatte keinen blassen Schimmer, was die Ursache für diese Panne sein könnte, deswegen hätte sie sich den Blick in den Motorraum genauso gut sparen können.
Wo war sie eigentlich? Die Umgebung sagte ihr gar nichts und auf Hilfe brauchte sie in dieser einsamen Gegend wohl auch nicht zu hoffen.
Unverrichteter Dinge klappte Anke die Frontklappe zu und setzte sich wieder hinter das Lenkrad ihres Wagens. Sie legte die Taschenlampe beiseite und den Zündschlüssel drehend, versuchte sie erneut den Motor zu starten, doch dieser gab nun gar keinen Ton mehr von sich. „Super!“ Was machte sie eigentlich hier? Auf einmal fühlte sie sich sehr allein und wollte nicht mehr in dieser abgelegenen Gegend sein. Sie wünschte sich in ihr Zuhause zurück.
Ankes Blick schweifte umher. In der Dunkelheit meinte sie einen schwachen Lichtschein zu erkennen. In ihr begann ein Fünkchen Hoffnung zu glimmen, da war Licht und wo Licht brannte, müßten auch Menschen sein. Wieder stieg sie aus dem Auto aus. Da es bereits recht frisch wurde, schnappte sie sich ihre Jacke vom Beifahrersitz und zog sie an. Danach klemmte sie sich noch ihre Handtasche unter den Arm, griff nach der Taschenlampe, knipste sie an und marschierte los.
Kein Laut war zu hören. Der unheimliche Pfad führte Anke immer tiefer in den Wald hinein. Sie sprach sich Mut zu.
„Dort, da hinten, da muß doch etwas sein!“
In der Ferne schimmerte immer noch das Licht und sie bewegte sich schnellen Schrittes darauf zu. Da es aber mittlerweile stockdunkel geworden war, kroch so langsam die Angst in ihr hoch. Zu allem Überfluß kam jetzt auch noch Nebel auf, er waberte bereits um ihre Füße. Plötzlich stolperte sie und fiel hin. Anke schalt sich selbst einen Esel und rappelte sich flugs wieder auf. „Klasse“, nun hing auch noch der halbe Waldboden an ihrer Kleidung. Sie versuchte sich von dem Schmutz zu befreien, klopfte ihn einigermaßen ab und lief weiter. Da, gleich da vorn, da mußte es sein! Es schien ihr, als wäre das Licht größer geworden.
Die unheimliche Stille wurde jäh unterbrochen. Was war das für ein Geräusch? Anke lief eine Gänsehaut über den Körper. Sie meinte irgendetwas gehört zu haben, konnte aber nicht wirklich einordnen, was es gewesen sein könnte und begann zu rennen. Kurze Zeit später erreichte sie, fast atemlos, eine Schneise zwischen den Bäumen. Am Wegrand stand ein Schild, der Lichtkegel ihrer Taschenlampe gab die Beschriftung preis: „Rasthaus zur roten Laterne 500 m“. Endlich ein Hoffnungsfunke! Anke befahl sich selbst zur Ruhe und lief in Richtung des Wegweisers. Kurz darauf stand sie vor einem kleinen Haus. Der Schriftzug am Eingang sagte ihr, dass sie an ihrem Ziel angekommen war. „Gott sei Dank“, kam ein Flüstern über ihre Lippen. Sie hatte sich also nicht geirrt und es brannte Licht, also mußte auch jemand da sein.
Anke stolperte nahezu zur Tür herein und alle Anwesenden schauten auf. An der gegenüberliegenden Wand, hinter einem Tresen, stand ein bulliger Kerl, das mußte wohl der Wirt sein. Auf drei Barhockern saßen nicht gerade einladende Gestalten und an einem Tisch, in der linken Ecke, saßen vier Leute und spielten Poker.
Fast so, als käme sie vom Mond, starrten alle Männer sie an. In diesem Moment kümmerte Anke das aber kaum, Hauptsache sie war dem dunklen Wald entronnen und war jetzt nicht mehr allein. Da die Uhr beinahe schon Mitternacht zeigte, beschloß sie, falls es in diesem Rasthaus ein freies Zimmer geben würde, hier zu übernachten. Schnell faßte sie all ihren Mut zusammen und schritt auf den Wirt zu. Der Mann begrüßte sie und wollte wissen, was er für sie tun könnte. Anke erkundigte sich, ob er Zimmer vermieten würde, sie bräuchte eine Unterkunft für die Nacht. Selbstverständlich könnte sie sich in diesem Haus einquartieren, es wären noch Zimmer frei, aber Frühstück gäbe es keins, lautete seine Antwort. Anke war das mit dem Frühstück einerlei, dankend nahm sie den Schlüssel entgegen.
Der Wirt kam hinter dem Tresen hervor und zeigte ihr den Weg zu den Räumen, er schlurfte vor ihr her. An einer Tür blieb er stehen und deutete mit dem Finger auf die Zahl.
„Hier ist es, Zimmer dreizehn.“
Natürlich dreizehn, was auch anderes in dieser Gegend, in dieser merkwürdigen Nacht.
Anke schloß die Tür auf, trat ein und sah sich um, der Raum war sehr einfach, aber dafür sauber eingerichtet. Der Wirt stand immer noch im Gang, sie wünschte ihm eine gute Nacht und schloß die Tür.
Anke entschied sich gleich schlafen zu gehen. Was sollte sie hier auch anderes unternehmen? Großes Verlangen, sich in den Schankraum zu begeben und Smalltalk mit den anwesenden Männern zu führen, verspürte sie jedenfalls nicht. Nein, ganz geheuer waren ihr diese Gestalten kaum, darum ließ sie es auch lieber bleiben.
In einer der Zimmerecken war ein kleines Waschbecken angebracht. Anke zog sich bis auf die Unterwäsche aus, wusch sich notdürftig und danach legte sie sich in die geblümte Bettwäsche. Kaum, dass sie in Schlafposition war, fielen ihr die Augen zu.
Am nächsten Morgen wachte Anke auf und erschrak fürchterlich. Sie sprang fast aus dem Bett. Was war denn hier los? Die geblümte Bettwäsche, die gestern noch so freundlich ausgesehen hatte, die war äußerst schmuddelig und baumelte in Fetzen herab. Die Tapeten waren teilweise abgerissen, die Vorhänge total mottenzerfressen und das Waschbecken war auch nicht mehr heil, gesplitterte Keramik hing halb hinunter.
Anke rieb sich die Augen, das konnte doch nicht wahr sein. Sie zog sich rasch an und lief aus dem Zimmer. Aber, was war hier passiert? Sie kam sich vor, wie in einem falschen Film. Der Flur zeigte sich auch nicht in einem besseren Zustand, überall hingen Tapeten herunter. Gestern sah hier alles anders aus! Anke wurde es total mulmig, sie konnte nicht glauben, was sie sah. Krächzend, ihr versagte die Stimme, rief sie nach dem Wirt und nach kurzem Räuspern noch einmal, aber es kam keine Antwort. Es war hier sowieso unheimlich ruhig. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte, es war 10.00 Uhr, es mußte doch jemand wach sein.
Als Anke in den Schankraum trat, traute sie ihren Augen kaum. Die Fenster waren teils vernagelt, die Barhocker lagen verstreut herum, dieser Ort war verlassen, niemand außer ihr war anwesend. Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie das gestrige Geschehen nur geträumt? Das konnte nicht sein! Dermaßen viel Einbildungskraft gab es nun wirklich nicht, oder? Die Menschen waren real gewesen, davon war sie fest überzeugt, deswegen konnte sie sich das heutige Ambiente kaum erklären.
Anke fand in einem der Fenster ein Schlupfloch, zwängte sich hindurch und entfernte sich von dem Gemäuer. Einmal drehte sie sich noch herum und sah, dass über dem Schild „Rasthaus zur roten Laterne“ noch ein anderes genagelt war und auf dem stand groß und breit „Betreten verboten“. Das war da gestern noch nicht angenagelt gewesen, das gab es doch gar nicht! Die Verwirrung war jetzt vollkommen, Anke gab Fersengeld und rannte in Richtung Straße. Sie wollte nur noch weg, weg von dem Ort, der ihr quasi den Verstand raubte.
Der Pfad war total verwildert, es gab kaum ein Durchkommen, das war ihr am Vortag auch nicht aufgefallen. Es war auch ein anderes Laufen gewesen, dieser Ort war jetzt nicht mehr derselbe. Dieses Erlebnis, es wurde immer kurioser.
Als Anke endlich wieder an ihrem Auto ankam, schloß sie hastig die Tür auf. Sie betete inständig, hoffte, dass ihr Auto ansprang. Das Glück war mit ihr, merkwürdigerweise lief der Motor sofort wieder und sie fuhr los.
Nach circa 10 km kam Anke in einen kleinen Ort. Sie suchte sich einen Parkplatz und kehrte in einem Café ein. Nachdem sie Platz nahm, bestellte sie sich ein Frühstück. Die Bedienung war sehr freundlich und Anke erzählte ihr von dem Rasthaus.
Die Frau schaute sie eigenartig an und meinte, dass ihre Übernachtungs-Geschichte nicht stimmen könnte. Nach dem schlimmen Unglück, damals 1956, hätte man die „rote Laterne“ geschlossen und sie wäre nie wieder in Betrieb genommen worden.
„Von welchem Unglück sprechen Sie?“
Die Serviererin wußte jedoch nicht viel über das dortige Drama zu erzählen. Zwar hätten einige Einheimische hin und wieder von dem Ort gesprochen, was aber wirklich dort geschehen war, das könnte man wahrscheinlich nur in alten Zeitungsberichten nachlesen.
Jetzt war Anke noch neugieriger geworden. Sie aß ihr Frühstück, beglich ihre Rechnung und fuhr ins Stadtarchiv. Dieser Sache mußte sie unbedingt auf den Grund gehen. Da Anke aber kein genaues Datum wußte, sie nur das Jahr kannte, mußte sie sich durch unzählige Zeitungsartikel wühlen.
Nach geraumer Zeit wurde sie fündig:
Am 20. Oktober 1956 ereignete sich im „Rasthaus zur roten Laterne“ ein schreckliches Drama. Nach einem Streit mit ihrem Vater erhängte sich die 19-jährige Tochter des Wirtes. Er fand ihren Leichnam im Fremdenzimmer Nummer dreizehn. Der Anblick ihres leblosen Körpers mußte ihn wohl total aus der Bahn geworfen haben, denn anschließend war er nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen und drehte völlig durch. Der Wirt, ein passionierter Jäger, nahm sich eines seiner Gewehre und rannte in den Schankraum. Die Gäste, die an diesem Tag zugegen waren, besaßen keine Chance ihm zu entkommen. Der Wirt erschoß alle, wahllos, drei Männer die am Tresen gesessen waren, vier Pokerspieler an einem Tisch und anschließend richtete er sich selbst.
Anke standen die Haare zu Berge, das konnte doch nicht wahr sein. Wenn alle vor Jahren gestorben waren, wieso war sie diesen Menschen dann dort begegnet? Schon wieder kroch eine Gänsehaut über ihren Körper, das paßte nun ganz und gar nicht in ihr reales Denken, so etwas passierte niemals in Wirklichkeit. Aber, es war geschehen. Wie sollte sie mit solch einem Erlebnis nur fertig werden?
Plötzlich fiel ihr Blick auf einen anderen Zeitungsartikel, welcher an einem späteren Datum geschrieben worden war. In jenem behauptete ein Förster, dass er des Öfteren, immer so gegen Mitternacht, einen hellen Lichtschein im „Rasthaus zur roten Laterne“ bemerkt hätte. Der pflichtbewußte Mann ging jedes Mal zu dem verlassenen Ort und sah nach dem Rechten, denn er wollte dem Phänomen unbedingt auf die Spur kommen, aber er fand nichts. Allezeit, wenn er am Rasthaus ankam, es betrat, verschwand das Licht und niemand zeigte sich ihm.
War es nicht seltsam, was einem im Leben manchmal passierte?
Mit einem Mal verspürte Anke das unbändige Verlangen ihren Vater anzurufen. Er sollte unbedingt wissen, dass es ihr gut ging und dass sie in ein paar Stunden wieder zuhause wäre.
Sofort kramte sie in ihrer Tasche und suchte nach ihrem Mobiltelefon.
~
( Urheberrecht Uschi Pohl )
Etliche Stunden war Anke schon mit dem Auto unterwegs und es wurde bereits dunkel. Dieser fürchterliche Streit mit ihrem Vater ging ihr nicht aus dem Kopf. Er konnte Dieter, ihren Freund, einfach nicht leiden, ständig meckerte er über ihn, denn er sah in ihm nur den armen Studenten, der seiner Tochter nichts bieten konnte. Ihr aber waren seine finanziellen Verhältnisse egal, sie liebte Dieter nun mal, da konnte ihr Vater sagen, was er wollte.
Heute Mittag jedoch, als Anke von Verlobung gesprochen hatte, war dieser stete Zwist eskaliert und ihr Vater war total ausgerastet, woraufhin sie sich in ihr Auto gesetzt hatte und einfach losgefahren war. Sie wollte ihren Kopf freibekommen, jedoch gelang es ihr nicht so richtig, sie war stinksauer. Der Rückspiegel wurde ihr Gesprächspartner.
„Ich bin 19 Jahre alt, kein Kind mehr, da bin ich doch wohl reif genug, um über meine Zukunft, über mein Leben, selbst bestimmen zu können.“
Der Spiegel konnte ihr nicht antworten, aber das war ihrem grimmigen Gesichtsausdruck auch sehr recht.
Plötzlich fing der Motor an zu stottern. Was war denn jetzt los? Anke hielt an einem Waldrand an, kramte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, betätigte den Hebel für die Frontklappe und stieg aus dem Wagen aus. Das Öffnen der Motorhaube war überhaupt kein Problem, auch das Feststellen mit der Haltestange ging ganz einfach, aber was konnte sie denn schon ausrichten? Besaß sie vielleicht Kenntnisse über Motoren? Nein, sie hatte keinen blassen Schimmer, was die Ursache für diese Panne sein könnte, deswegen hätte sie sich den Blick in den Motorraum genauso gut sparen können.
Wo war sie eigentlich? Die Umgebung sagte ihr gar nichts und auf Hilfe brauchte sie in dieser einsamen Gegend wohl auch nicht zu hoffen.
Unverrichteter Dinge klappte Anke die Frontklappe zu und setzte sich wieder hinter das Lenkrad ihres Wagens. Sie legte die Taschenlampe beiseite und den Zündschlüssel drehend, versuchte sie erneut den Motor zu starten, doch dieser gab nun gar keinen Ton mehr von sich. „Super!“ Was machte sie eigentlich hier? Auf einmal fühlte sie sich sehr allein und wollte nicht mehr in dieser abgelegenen Gegend sein. Sie wünschte sich in ihr Zuhause zurück.
Ankes Blick schweifte umher. In der Dunkelheit meinte sie einen schwachen Lichtschein zu erkennen. In ihr begann ein Fünkchen Hoffnung zu glimmen, da war Licht und wo Licht brannte, müßten auch Menschen sein. Wieder stieg sie aus dem Auto aus. Da es bereits recht frisch wurde, schnappte sie sich ihre Jacke vom Beifahrersitz und zog sie an. Danach klemmte sie sich noch ihre Handtasche unter den Arm, griff nach der Taschenlampe, knipste sie an und marschierte los.
Kein Laut war zu hören. Der unheimliche Pfad führte Anke immer tiefer in den Wald hinein. Sie sprach sich Mut zu.
„Dort, da hinten, da muß doch etwas sein!“
In der Ferne schimmerte immer noch das Licht und sie bewegte sich schnellen Schrittes darauf zu. Da es aber mittlerweile stockdunkel geworden war, kroch so langsam die Angst in ihr hoch. Zu allem Überfluß kam jetzt auch noch Nebel auf, er waberte bereits um ihre Füße. Plötzlich stolperte sie und fiel hin. Anke schalt sich selbst einen Esel und rappelte sich flugs wieder auf. „Klasse“, nun hing auch noch der halbe Waldboden an ihrer Kleidung. Sie versuchte sich von dem Schmutz zu befreien, klopfte ihn einigermaßen ab und lief weiter. Da, gleich da vorn, da mußte es sein! Es schien ihr, als wäre das Licht größer geworden.
Die unheimliche Stille wurde jäh unterbrochen. Was war das für ein Geräusch? Anke lief eine Gänsehaut über den Körper. Sie meinte irgendetwas gehört zu haben, konnte aber nicht wirklich einordnen, was es gewesen sein könnte und begann zu rennen. Kurze Zeit später erreichte sie, fast atemlos, eine Schneise zwischen den Bäumen. Am Wegrand stand ein Schild, der Lichtkegel ihrer Taschenlampe gab die Beschriftung preis: „Rasthaus zur roten Laterne 500 m“. Endlich ein Hoffnungsfunke! Anke befahl sich selbst zur Ruhe und lief in Richtung des Wegweisers. Kurz darauf stand sie vor einem kleinen Haus. Der Schriftzug am Eingang sagte ihr, dass sie an ihrem Ziel angekommen war. „Gott sei Dank“, kam ein Flüstern über ihre Lippen. Sie hatte sich also nicht geirrt und es brannte Licht, also mußte auch jemand da sein.
Anke stolperte nahezu zur Tür herein und alle Anwesenden schauten auf. An der gegenüberliegenden Wand, hinter einem Tresen, stand ein bulliger Kerl, das mußte wohl der Wirt sein. Auf drei Barhockern saßen nicht gerade einladende Gestalten und an einem Tisch, in der linken Ecke, saßen vier Leute und spielten Poker.
Fast so, als käme sie vom Mond, starrten alle Männer sie an. In diesem Moment kümmerte Anke das aber kaum, Hauptsache sie war dem dunklen Wald entronnen und war jetzt nicht mehr allein. Da die Uhr beinahe schon Mitternacht zeigte, beschloß sie, falls es in diesem Rasthaus ein freies Zimmer geben würde, hier zu übernachten. Schnell faßte sie all ihren Mut zusammen und schritt auf den Wirt zu. Der Mann begrüßte sie und wollte wissen, was er für sie tun könnte. Anke erkundigte sich, ob er Zimmer vermieten würde, sie bräuchte eine Unterkunft für die Nacht. Selbstverständlich könnte sie sich in diesem Haus einquartieren, es wären noch Zimmer frei, aber Frühstück gäbe es keins, lautete seine Antwort. Anke war das mit dem Frühstück einerlei, dankend nahm sie den Schlüssel entgegen.
Der Wirt kam hinter dem Tresen hervor und zeigte ihr den Weg zu den Räumen, er schlurfte vor ihr her. An einer Tür blieb er stehen und deutete mit dem Finger auf die Zahl.
„Hier ist es, Zimmer dreizehn.“
Natürlich dreizehn, was auch anderes in dieser Gegend, in dieser merkwürdigen Nacht.
Anke schloß die Tür auf, trat ein und sah sich um, der Raum war sehr einfach, aber dafür sauber eingerichtet. Der Wirt stand immer noch im Gang, sie wünschte ihm eine gute Nacht und schloß die Tür.
Anke entschied sich gleich schlafen zu gehen. Was sollte sie hier auch anderes unternehmen? Großes Verlangen, sich in den Schankraum zu begeben und Smalltalk mit den anwesenden Männern zu führen, verspürte sie jedenfalls nicht. Nein, ganz geheuer waren ihr diese Gestalten kaum, darum ließ sie es auch lieber bleiben.
In einer der Zimmerecken war ein kleines Waschbecken angebracht. Anke zog sich bis auf die Unterwäsche aus, wusch sich notdürftig und danach legte sie sich in die geblümte Bettwäsche. Kaum, dass sie in Schlafposition war, fielen ihr die Augen zu.
Am nächsten Morgen wachte Anke auf und erschrak fürchterlich. Sie sprang fast aus dem Bett. Was war denn hier los? Die geblümte Bettwäsche, die gestern noch so freundlich ausgesehen hatte, die war äußerst schmuddelig und baumelte in Fetzen herab. Die Tapeten waren teilweise abgerissen, die Vorhänge total mottenzerfressen und das Waschbecken war auch nicht mehr heil, gesplitterte Keramik hing halb hinunter.
Anke rieb sich die Augen, das konnte doch nicht wahr sein. Sie zog sich rasch an und lief aus dem Zimmer. Aber, was war hier passiert? Sie kam sich vor, wie in einem falschen Film. Der Flur zeigte sich auch nicht in einem besseren Zustand, überall hingen Tapeten herunter. Gestern sah hier alles anders aus! Anke wurde es total mulmig, sie konnte nicht glauben, was sie sah. Krächzend, ihr versagte die Stimme, rief sie nach dem Wirt und nach kurzem Räuspern noch einmal, aber es kam keine Antwort. Es war hier sowieso unheimlich ruhig. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte, es war 10.00 Uhr, es mußte doch jemand wach sein.
Als Anke in den Schankraum trat, traute sie ihren Augen kaum. Die Fenster waren teils vernagelt, die Barhocker lagen verstreut herum, dieser Ort war verlassen, niemand außer ihr war anwesend. Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie das gestrige Geschehen nur geträumt? Das konnte nicht sein! Dermaßen viel Einbildungskraft gab es nun wirklich nicht, oder? Die Menschen waren real gewesen, davon war sie fest überzeugt, deswegen konnte sie sich das heutige Ambiente kaum erklären.
Anke fand in einem der Fenster ein Schlupfloch, zwängte sich hindurch und entfernte sich von dem Gemäuer. Einmal drehte sie sich noch herum und sah, dass über dem Schild „Rasthaus zur roten Laterne“ noch ein anderes genagelt war und auf dem stand groß und breit „Betreten verboten“. Das war da gestern noch nicht angenagelt gewesen, das gab es doch gar nicht! Die Verwirrung war jetzt vollkommen, Anke gab Fersengeld und rannte in Richtung Straße. Sie wollte nur noch weg, weg von dem Ort, der ihr quasi den Verstand raubte.
Der Pfad war total verwildert, es gab kaum ein Durchkommen, das war ihr am Vortag auch nicht aufgefallen. Es war auch ein anderes Laufen gewesen, dieser Ort war jetzt nicht mehr derselbe. Dieses Erlebnis, es wurde immer kurioser.
Als Anke endlich wieder an ihrem Auto ankam, schloß sie hastig die Tür auf. Sie betete inständig, hoffte, dass ihr Auto ansprang. Das Glück war mit ihr, merkwürdigerweise lief der Motor sofort wieder und sie fuhr los.
Nach circa 10 km kam Anke in einen kleinen Ort. Sie suchte sich einen Parkplatz und kehrte in einem Café ein. Nachdem sie Platz nahm, bestellte sie sich ein Frühstück. Die Bedienung war sehr freundlich und Anke erzählte ihr von dem Rasthaus.
Die Frau schaute sie eigenartig an und meinte, dass ihre Übernachtungs-Geschichte nicht stimmen könnte. Nach dem schlimmen Unglück, damals 1956, hätte man die „rote Laterne“ geschlossen und sie wäre nie wieder in Betrieb genommen worden.
„Von welchem Unglück sprechen Sie?“
Die Serviererin wußte jedoch nicht viel über das dortige Drama zu erzählen. Zwar hätten einige Einheimische hin und wieder von dem Ort gesprochen, was aber wirklich dort geschehen war, das könnte man wahrscheinlich nur in alten Zeitungsberichten nachlesen.
Jetzt war Anke noch neugieriger geworden. Sie aß ihr Frühstück, beglich ihre Rechnung und fuhr ins Stadtarchiv. Dieser Sache mußte sie unbedingt auf den Grund gehen. Da Anke aber kein genaues Datum wußte, sie nur das Jahr kannte, mußte sie sich durch unzählige Zeitungsartikel wühlen.
Nach geraumer Zeit wurde sie fündig:
Am 20. Oktober 1956 ereignete sich im „Rasthaus zur roten Laterne“ ein schreckliches Drama. Nach einem Streit mit ihrem Vater erhängte sich die 19-jährige Tochter des Wirtes. Er fand ihren Leichnam im Fremdenzimmer Nummer dreizehn. Der Anblick ihres leblosen Körpers mußte ihn wohl total aus der Bahn geworfen haben, denn anschließend war er nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen und drehte völlig durch. Der Wirt, ein passionierter Jäger, nahm sich eines seiner Gewehre und rannte in den Schankraum. Die Gäste, die an diesem Tag zugegen waren, besaßen keine Chance ihm zu entkommen. Der Wirt erschoß alle, wahllos, drei Männer die am Tresen gesessen waren, vier Pokerspieler an einem Tisch und anschließend richtete er sich selbst.
Anke standen die Haare zu Berge, das konnte doch nicht wahr sein. Wenn alle vor Jahren gestorben waren, wieso war sie diesen Menschen dann dort begegnet? Schon wieder kroch eine Gänsehaut über ihren Körper, das paßte nun ganz und gar nicht in ihr reales Denken, so etwas passierte niemals in Wirklichkeit. Aber, es war geschehen. Wie sollte sie mit solch einem Erlebnis nur fertig werden?
Plötzlich fiel ihr Blick auf einen anderen Zeitungsartikel, welcher an einem späteren Datum geschrieben worden war. In jenem behauptete ein Förster, dass er des Öfteren, immer so gegen Mitternacht, einen hellen Lichtschein im „Rasthaus zur roten Laterne“ bemerkt hätte. Der pflichtbewußte Mann ging jedes Mal zu dem verlassenen Ort und sah nach dem Rechten, denn er wollte dem Phänomen unbedingt auf die Spur kommen, aber er fand nichts. Allezeit, wenn er am Rasthaus ankam, es betrat, verschwand das Licht und niemand zeigte sich ihm.
War es nicht seltsam, was einem im Leben manchmal passierte?
Mit einem Mal verspürte Anke das unbändige Verlangen ihren Vater anzurufen. Er sollte unbedingt wissen, dass es ihr gut ging und dass sie in ein paar Stunden wieder zuhause wäre.
Sofort kramte sie in ihrer Tasche und suchte nach ihrem Mobiltelefon.
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( Urheberrecht Uschi Pohl )
Kommentare (5)
Hueterin
Bin derselben Meinung,wie Willy,gut und spannend erzählt,mit einem Übergang ins Unterbewusstsein und letzt- endlich wieder zum Thema-die nicht immer einfache Vater-Tochter Beziehung .Gruß Kunigunde-Hueterin
Willy †
Eine spannende, gut erzählte Geschichte. Es ist aber nicht meine Art, jetzt darüber zu grübeln, worauf alles resultierte. Eine frei Erfindung der Autorin- vielleicht auch anderes....?
Wichtig für mich ist, dass die Geschichte gut ist und ich glaube auch nicht, dass Geschichten solcher Art, eine spätere Aufklärung brauchen.
Ich liebe es (auch bei meinen Geschichten) die Dinge in der Schwebe zu lassen.
b.G.
W.
Wichtig für mich ist, dass die Geschichte gut ist und ich glaube auch nicht, dass Geschichten solcher Art, eine spätere Aufklärung brauchen.
Ich liebe es (auch bei meinen Geschichten) die Dinge in der Schwebe zu lassen.
b.G.
W.
ladybird
auch ich bin noch gespannt auf andere Kommentare, ich komme von dieser (Gänsehaut-Geschichte) nicht mehr los.
finde leider keine Deutung, die mich zufrieden stellt...
gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß eventuell doch eine Erklärung folgt??
Mit Spannung wartet Renate-ladybird
finde leider keine Deutung, die mich zufrieden stellt...
gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß eventuell doch eine Erklärung folgt??
Mit Spannung wartet Renate-ladybird
werderanerin
da hast du uns ja eine schöne Geschichte präsentiert...wo man erstmal echt nachdenken muss, was überhaupt geschehen ist..Wahrheit, Traum, Trugschlüsse oder was ...?
Ich denke, dass der Streit mit ihrem Vater sie so tief im Inneren getroffen hat, dass sich all das in ihrem Kopf abgespielt hat...das unbändige Verlangen ihrerseits, den Vater sogleich anzurufen, um ihm zu sagen, "Papa mir geht es gut"...zeigt mir, dass er ihr ganz, ganz wichtig ist, genau das ihm zu sagen und sie ihn ganz tief liebt !
Man kann sich streiten aber man sollte sich immer wieder auch vertragen...!
Aber vielleicht lieg ich ja auch ganz falsch mit meinen Empfindungen - bin gespannt auf andere Kommentare...
Sonnige Herbstgrüße sendet
Kristine
Ich denke, dass der Streit mit ihrem Vater sie so tief im Inneren getroffen hat, dass sich all das in ihrem Kopf abgespielt hat...das unbändige Verlangen ihrerseits, den Vater sogleich anzurufen, um ihm zu sagen, "Papa mir geht es gut"...zeigt mir, dass er ihr ganz, ganz wichtig ist, genau das ihm zu sagen und sie ihn ganz tief liebt !
Man kann sich streiten aber man sollte sich immer wieder auch vertragen...!
Aber vielleicht lieg ich ja auch ganz falsch mit meinen Empfindungen - bin gespannt auf andere Kommentare...
Sonnige Herbstgrüße sendet
Kristine
Gänsehaut, die will ich verteilen, spannende Unterhaltung, das sollen meine Geschichten sein und es freut mich sehr, dass es meiner Story und mir gelungen ist, euch in meinen Bann zu ziehen.
Wenn dann auch noch Schlüsse gezogen werden und die Leserschaft etwas aus meinen Werken mitnehmen kann, bin ich umso stolzer auf das, was meiner Phantasiewelt entsprungen ist.
Tiefsinn, ein ganz wichtiges Thema in meiner Gedankenwelt, denn meine Passion ist es, die Menschen zum Nachdenken zu animieren und ihr seid dem Dazwischen schon sehr nahe gekommen.
Zeit, sie ist kostbar. Gevatter Tod, er ist allgegenwärtig und wenn er seine Hand ausstreckt, man die Finger fast schon im Nacken spürt, dann kommt so mancher ins Grübeln. Unsere Zeit auf Erden kann von heute auf morgen vorbei sein, deswegen, so denke ich, sollte man Unstimmigkeiten bereinigen und Streit bestmöglich vermeiden.
Habt Dank für das Hineindenken
herzliche Grüße
uschi