Zahnschmerzen
Der Mensch hat immer – oder meist –
auch ein Gebiss, mit dem er beißt,
am Unterende des Gesichts.
Normalerweise merkt er nichts,
sodass er herzhaft und direkt
in das hineinbeißt, was ihm schmeckt.
Doch ist es aus gewissen Gründen
geneigt, sich manchmal zu entzünden,
und wird das Innere erst fiebrig,
dann bleibt ihm gar nichts andres übrig,
als, angeregt durch Eiterbeulen,
verschämt ins Taschentuch zu heulen.
Es schüttelt ihn ein irrer Schmerz,
reißt ihn empor und himmelwärts.
Gleichzeitig rast durch sein Gebein
die schauerlichste Höllenpein,
sodass er ganz und gar vergisst,
ob Männchen er, ob Weibchen ist.
Er gäbe gern sein letztes Hemd,
würd´ nur dies Bohren eingedämmt.
Er schmiedet wahnsinnige Pläne,
denkt schließlich an den Arzt der Zähne,
bei dem, so hofft er wohl begründet,
er Linderung und Heilung findet,
und macht sich auf, mehr tot als lebend,
halb freiwillig, halb widerstrebend,
weil ihn die Angst beinahe lähmt,
wofür er sich natürlich schämt,
doch andrerseits und überhaupt,
er an Erfolg und Fortschritt glaubt.
Betritt er dann das Wartezimmer,
erlischt sofort sein Hoffnungsschimmer
im Kreis der traurigen Gestalten,
die sich nur mühsam aufrecht halten,
verängstigt mit den Füssen scharren
und trüben Blicks ins Leere starren.
Ringsum ertönen in der Reihe
kaum unterdrückte Schmerzensschreie,
wodurch der Welt Vergänglichkeit
ihm schrill und grell entgegenschreit.
Er blättert mit zermürbten Kräften
in schmierigen Gesundheitsheften,
in denen stolz und unbeirrt
Zahnmedizin gepriesen wird,
die, heißt es darin frank und frei,
der Menschheit Freund und Helfer sei
und, so versteht sie ihre Rolle,
allein des Menschen Bestes wolle,
wozu ihm jener Witz einfällt:
Des Menschen Bestes ist sein Geld.
Auf einmal fängt sein Nebenmann
zu keuchen und zu röcheln an.
Sein Kopf wird rot, sein Auge zuckt,
wobei er in sein Schupftuch spuckt.
Der Mensch, im tiefsten Sein erschüttert,
sitzt wie gelähmt dabei und zittert
und spürt im Nu und Handumdrehn
den Hauch des Todes um sich wehn.
Er faltet schweigend und betreten
die feuchten Hände wie zum Beten.
Es fällt ihm ein, dass sein Pastor
entschieden auf das Beten schwor
und die Versammelten anflehte:
O Mensch, wenn Not dich anficht, bete!
Zwar fehlen ihm an diesem Orte
die passenden und frommen Worte.
Er hat, so denkt er jetzt betrübt,
das Beten nicht genug geübt,
doch hofft er, dass ihm Gott verzeiht,
wenn er nun wortlos zu ihm schreit,
ja dass er obendrein versteht,
worum er ohne Worte fleht.
Er schließt die Augen, schaut nach innen,
um über alles nachzusinnen.
Was da an ihm vorüberhuscht,
ist so vermurkst, verkorkst, verpfuscht.
Er wird in Zukunft öfters beten
und dem Verfall entgegentreten,
zum Beispiel sich die Zähne putzen
und jeglicher Verführung trutzen
in Form von süßen Schleckereien,
die doch nur kurzes Glück verleihen.
Und erst der Assistentin Schritte,
ihr drohendes: „Der Nächste bitte“
reißt ihn in diesem kahlen Raum
aus seinem Selbstkasteiungstraum,
und schwankend wie ein Somnambule
lässt er sich führn zum Marterstuhle.
Der Arzt befiehlt ihm, dass er sitze,
sticht zu, und zwar mit einer Spritze.
Er bäumt sich auf, sein Blutdruck hämmert,
bis er entspannt ins Jenseits dämmert.
Es zeigt sich hier, des Körpers Pein
kann für die Seele heilsam sein.
Sie wird, wie Hiob schon bescheinigt,
durch Schmerz geläutert und gereinigt.
Je mehr´s rumort im Unterkiefer,
desto beständiger und tiefer
der Wunsch, dem Bösen zu entsagen
und guten Zielen nachzujagen.
Drum wünsch ich dir von ganzem Herzen
gelegentlich dergleichen Schmerzen.
Es scheint so, dass gerade Dornen
den Hang zur guten Tat anspornen.
Geht´s ohne sie, dann umso besser,
ich bin kein Schinder und Erpresser.
Im Gegenteil, du kannst entscheiden
auch ohne Einwirkung von Leiden:
Tu Gutes, standhaft und beherzt,
bevor der nächste Zahn dich schmerzt.
Kommentare (10)
Ja, lieber silesio..., da hast du einen Nerv wahrlich getroffen..., gleich denkt man den Onkel Doktor mit dem schönen "Besteck"...es gibt wohl Niemanden, der wirklich gerne dorthin geht aber manchmal ist eben Vorsorge besser als Schmerzen...oder ?
In dem Sinne eine zahnschmerzlose Zeit wünscht
Kristine
Ach ja, die Männer, diese Feiglinge. Wenn die auch noch kinder kriegen müssten, würde es keine Überbevölkerung geben.
Nebenbei: Wegen meiner 84, habe ich natürlich nicht mehr alle Zähne meiner Jugend. Aber alle Zähne, die ich habe, sind meine, an Ort und Stelle gewachsen .
Es leben die Zahnärzte!
Silesio
Hallo lieber Christoph,
Carola hat recht, Deine Vers-Art erinnert ein wenig an Eugen Roth und auch ein bisschen an Wilhelm Busch- wie auch immer mir gefallen sie sehr gut.
Die Zahnarztpein kann wohl jeder von uns hier nachempfinden. Und je größer und stärker die Mäünner umso mehr die Angst vorm Zahnarzt.. (Jedenfals meine Beobachtungen...)
Ich habe Deinen Zahnarztbesuch nachempfinden können und mitgelitten.
Herzlichen Gruß nach Dubai
Angelika
In der Tat, Eugen Roth, war eines meiner geliebten Vorbilder. Ich hatte alle seine Werke.
Hier in Dubai besitze ich ja nur noch 2 (zwei) Bücher; mein griechisches neues Testament und ein englisch-deutsches, deutsch-englisches Lexikon. Meine Bücherregale samt allen Möbeln habe ich hinter mir gelassen.
Christoph
Lieber Silesio,
Dein Gedicht ist eine humorvolle Betrachtung
über etwas so unangenehmes wie Zahnweh.
Es hat mich ein bisschen an "Der Zahnarzt" von
Eugen Roth erinnert und hat mir sehr gut gefallen.
Liebe Grüße
Carola
Hallo Silesio,
ich bin jedesmal auf's Neue, über Deine Art Gedichte zu schreiben, mehr als positiv
überrascht.
Sie sind einfach nur großartig und originell und ich lese sie mit großem Vergnügen
und Freude.
Liebe Grüße
Uscha
Mir gefällt sowohl der eigentliche Inhalt deines Gedichtes, Silesio, als auch dessen zwei letzten Zeilen. :)
Und übrigens, wie schön, dass man heutzutage beim Zahnarzt fast gar nicht mehr leiden muss! Auf jeden Fall ist mein Dentist hier so geschickt.
Mit Grüßen
Christine
Schade, dass du beim Lesen Zahnschmerzen bekommt. Ich habe die Verse geschrieben, um die Zahnschmerzen zu vertreiben.
Silesio
... und das Zähneputzen nicht vergessen, morgens und abends!
Silesio