So fing es mal an - ein Blick zurück!
Das Wirtschaftswunder nahm bei uns im Westen dank des Marshall-Plans langsam Fahrt auf. Die Freunde aus den fernen USA ließen uns doch nicht im Stich! Also, wer das gedacht hatte, lag nun eben falsch; der alles verheerende Weltkrieg war doch erst drei Jahre vorbei und der Morgenthau-Plan, mit dem man Deutschland zum reinen Agrarland machen wollte, schon rechtzeitig vom Tisch! Man brauchte the germans plötzlich wieder als Bollwerk gegen den »roten Osten«!
Nur bei uns im entlegenen Ostfriesland, der »neuen Heimat«, ließ noch alles etwas länger auf sich warten. Das zuständige Arbeitsamt aber wusste für mich Rat, natürlich - sie saßen ja an der Quelle. Daher kam auch ein Angebot: Ein Schiffer in Haren an der Ems suchte einen Schiffsjungen! Na super, was sich daraus alles machen ließ. Ich stellte mich vor und eins-zwei-drei hatte ich einen Job, aber leider keine Lehrstelle. Wer aber fragte danach? Das war es dann auch schon. Ich besaß ja nichts. Mit einem Anfangslohn von zwanzig neuen Deutschen Mark monatlich konnte ich auch keine großen Sprünge machen.
Die ersten sechs Monatslöhne gingen schon für den Erwerb von Berufskleidung drauf, die der Schiffer mir »äußerst großzügig vorfinanzierte«. Nun war ich also Schiffsjunge auf einem Schleppkahn in der Binnenschifffahrt. Super, ohne Zweifel ein Fortschritt. Klar, ich lernte nun das zerschlagene Westdeutschland auf allen Kanälen und auf dem Rhein kennen. Anderseits war es auch eine höllisch harte Arbeit. Zwölf Stunden stets mit allen Sinnen und Muskeln auf dem Posten sein, nebenbei noch Smutje spielen, das war für einen Vierzehnjährigen gar nicht so einfach.
In den Jahren nach dem Krieg stand die Schleppschifffahrt auf Flüssen und Kanälen ja auch noch in voller Blüte, aber schon kamen die moderneren, selbstfahrenden Motorschiffe hinzu. Mein Metier allerdings war noch die alte Binnenschifffahrt, ich lernte noch das alte Muster der Binnenschifffahrt, das in dieser fortschrittlichen Welt keine Zukunft mehr hatte.
»Non scholae, sẹd vitae discimus!«
Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir! Der alte Seneca hätte diese Aussage mit Fug und Recht als Lehrsatz stehen lassen können, wenn es denn der Wirklichkeit entsprochen hätte. Das aber war nicht so!
In der Umkehrung dieses Gedankens sah es nämlich anders aus:
»Non vitae, sed scholae discimus« = leider nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir!
So jedenfalls stellte sich mir im Jahr 1948 der Berufsanfang dar. Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, aber spätestens nach einem halben Jahr hatte ich von diesem »Anfang« die Nase gestrichen voll. Klar, natürlich kannte ich den alten Satz: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Doch in dieser Schifferfamilie hätte ich es nicht noch zweieinhalb Jahre ausgehalten.
Die ausgesprochen strenge katholische Lebensart dieser Menschen brachten mich oft zur Weißglut. Wenn die Tischgebete vor- und nachher beispielsweise länger dauerten als die gesamte Mahlzeit dazwischen, trug dies nicht unbedingt dazu bei, meine Ansichten zu ändern. Dazu kam noch die Intoleranz mir gegenüber als Flüchtling - und zu allem Übel hatte ich dann noch die falsche Konfession! Ich war evangelisch, wie peinlich für den Arbeitgeber!
Ja, irgendwann danach geschah etwas, das mir dann das Nachdenken über mein Leben erst einmal völlig aus der Hand nahm. Bei einer Fahrt zu einer Reparatur in einer Papenburger Werft blieb ich mit einem Fuß in einem aufgerollten Drahtseil hängen. Dieser Fehltritt war dieser Seilschlinge überhaupt nicht Recht. Sie sträubte sich gegen den Fußtritt und warf mich kurzerhand einfach über Bord! Pech für mich. Jedenfalls sah ich es im ersten Moment so. Oder etwa doch nicht? Damals war es mir noch nicht so ganz klar.
Jedenfalls lernte ich den Papenburger Hafen aus einer völlig anderen Perspektive kennen. Das Wasser war im Februar noch gar nicht gut temperiert, freundlicherweise zog man mich sehr schnell wieder aus diesem öltriefenden Nass des Hafenbeckens aufs Trockene. Es war aber auch höchste Zeit, denn ich konnte nämlich nicht schwimmen! What kind of sailor can swim?
Na gut, »Seemann« konnte man mich nicht nennen, aber doch immerhin, nicht wahr, etwas Respekt stand mir denn doch wohl zu, oder?
Nach eingehender Besichtigung meines edlen Körpers konnte nunmehr jeder sehen, dass ich tiefe Eindrücke des Papenburger Hafens mit an Land gebracht hatte.
Zu den schmerzhaften dunkelblauen Seilabdrücken am rechten Bein kam schließlich noch mehr hinzu.
Eiswasser mag ja gut für einen Drink sein, zugegeben, aber für menschliche Knuddel-Bedürfnisse nicht so ganz geeignet. My body bedankte sich bei mir mit einer saftigen Erkältung, diese durfte ich später bei meiner Mutter zu Hause auskurieren. Für kranke Mitarbeiter war nun mal kein Platz im großen Haus des Käpt’ns.
Ich durfte gern fiebrig angehaucht mit dem Zug nach Hause fahren. Doch, wirklich, ich fand das - seinerzeit - doch sehr human. Sonst hätte ich möglicherweise an Bord auf der Werft bleiben müssen (so war es ja geplant).
So weit, so gut, - oder so schlecht - da war nun also erst einmal Pause in meinem gerade begonnenen Arbeitsleben angesagt. Solch ein Unfall hat eben auch manches Mal zwei Seiten! So auch bei mir.
Wegen starker Schmerzen in meiner Lunge konsultierten wir das Kreiskrankenhaus in Leer. Die lieben Ärzte dort waren gar nicht zufrieden mit mir. Sie erzählten mir, dass ich sehr,sehr krank wäre. War ich darüber traurig? Eigentlich nicht, es schien, als würde ich den »armen Käptn« sehr gern auf seinen Moses warten lassen ...
(©by H.C.G.Lux)
Kommentare (7)
So hat alles im Leben seine Bedeutung, auch wenn wir oft nicht gleich erkennen oder erst viel später bemerken, dass ein vorerst „unglückliches“ Geschehen letztlich eine wichtige Weichenstellung bedeutete zu einem neuen, lichtvolleren Weg.
Eine plastische Geschichte aus dem „wahren Leben“, wie sie wohl viele so oder so erfahren haben. Gut zu lesen und sogleich zu eigenen Erfahrungen führend...
...mit Dank für die gewährte Teilhabe grüßt
Syrdal
Richtig, lieber Syrdal, oft verkennen wir den Plus-Wert eines negativen Ereignisses. Meist ist dann "das Kind schon in den Brunnen gefallen"
lacht mit Gruß
Horst
Lieber Pan,
diese fromme Schifferfamilie hat ihre christliche Nächstenliebe eindrucksstark demonstriert, indem sie einen jungen Menschen, dazu noch ein Kind, schamlos ausgebeutet hat.
Deine Jugenderinnerung, mit bösem Witz erzählt, ist so lebendig, dass man regelrecht das Tuckern des Schiffsmotors hören kann. Und beim Lesen spürt man noch die ohnmächtige Wut des Schreibers, dem damals die Möglichkeiten fehlten, sich dagegen zu wehren.
Trotzdem scheint es so, als wenn ein kleiner Schutzengel immer dicht in Deiner Nähe war.
Herzliche Grüße
Rosi65
Ich bins nochmal, Rosi:
Das "Kind" das Du erwähnst, war 14. So weit, so gut(!)
Vergiss dennoch dabei nicht, dass 1948 der Beginn des Berufslebens bei 80% der Menschen in diesem Alter lag. Und - nicht zu vergessen- dass die Jugendschutzgesetze erst am Anfang des Weges waren, den sie HEUTE erreicht haben.
Grüßle
von Horst
Klar Rosie - der flog immer mit. Manchmal aber kam er mit dem Tempo nicht klar. Als der manches Mal ankam, war das Übel schon geschehen ...
meint mit einem Lächeln,
Horst
Das Schicksal stellt die Weichen und manchmal auch den Platz, wo Du hingehörst.
Ein interessanter Bericht. Dank dafür !
P.S ich wohne in den kleinen Häusern ( Siedlung heißen sie noch heute ) die mit
Mittteln aus dem, Marshall-Plan gebaut wurden. Sie sind gegen früher nicht wieder
zuerkennen, klein und fein sind sie. Die einheimischen nannten sie die " Heiland-
Siedlung ". Auf Fragen sagten sie " Ja, der Heiland kommt und geht !" ( Heiland war
in dieser Gegend ein bekanntes Möbelgeschäft , bei denen man auf "Abzahlung "
kaufen konnte.
Heute ist
hier eine angesehene Gegend und ein Gedenkstein erinnert an Herrn Marshall,
die meisten Bewohner wissen nichts mehr von seinem grandiosen PLan.
UNd so hat sich alles ( bisher ) zum Guten gewendet.
Auf ein nicht ganz so stürmisches Wochenende
wünscht Distel1fink7 Renate