Singen + Demenz: Kommunikation jenseits des gesprochenen Wortes


Ich bin klassische Sängerin und Tochter einer seit 2000 an Alzheimer erkrankten Mutter, die seit über 5 Jahren nicht mehr spricht.

Meine Mutter, Jahrgang 1928, erhielt die Diagnose „Alzheimer“ im Jahr 2000, und der Fortgang der Krankheit geschah zunächst schleichend. Seit etwa 5 Jahren allerdings befindet sie sich im Endstadium der Krankheit, d.h. sie spricht nicht mehr, kann sich nicht eigenständig bewegen und braucht für alles 24 Stunden Hilfe.

Als ich vor etwa 6 Jahren bemerkte, daß meine Mutter immer mehr ihre Sprache verliert und auch die Logopädin dies zwar verzögern aber nicht verhindern konnte, begann ich, mit meiner Mutter Volkslieder zu singen. Das Spannende war, daß meine Mutter, die immer weniger sprach, plötzlich in meinen Gesang hinein „schön“ oder andere Vokabeln, die nicht mehr in ihrem Gebrauch waren, sprach oder plötzlich eine komplizierte Phrase mit Text mitsang.

Begeistert von dieser Erfahrung, mit meiner Mutter jenseits des gesprochenen Wortes kommunizieren zu können, entstand meine Idee zu dem Projekt

Volkslieder
Kindheit - Gedächtnis - Gefühl - Alter - Identität

Volkslieder als Therapie bei Demenzerkrankungen

Meine Idee war, die gängigen Volkslieder so, wie ich sie meiner Mutter vorsinge - also mit tiefer Stimme, ohne Instrumentalbegleitung, mit großer Textverständlichkeit - aufzunehmen, als CDs und MP3-Downloads anzubieten und dazu begleitend die Website www.volksliedsammlung.de zu gestalten. Der Gedanke dahinter ist, daß es anderen Angehörigen vielleicht leichter fällt, mit ihrem Vater oder ihrer Mutter zu singen, wenn sie mit der Sängerin auf der CD mitsingen können. Ein weiterer Gedanke war, daß viele Mitsing-CDs in zu hohen Tonlagen aufgenommen wurden, bei denen die alten Damen und Herren nicht mehr mitsingen können, da die Stimme im Alter tiefer wird.

Da auch bei Kindern die Sprachfähigkeit mit dem Singen von Volksliedern gefördert wird, habe ich beim Singen der Lieder natürlich auch an Kinder gedacht!

Die Website ging vor knapp 2 Jahren online. Zur gleichen Zeit erschien meine erste Mitsing-CD „Kinderlieder“ mit 32 bekannten Kinderliedern plus Booklet mit den Texten. Hörproben finden sie unter www.volksliedsammlung.de/cd.html .

Nun ist Anfang November meine zweite Mitsing-CD zu diesem Projekt fertig geworden:
Weihnachtslieder - Album 2 "Volkslieder: Kindheit - Gedächtnis - Gefühl - Alter - Identität"
(Wiebke Hoogklimmer - Altstimme)

Auf der CD befinden sich 28 bekannte Weihnachtslieder aus dem weltlichen und kirchlichen Bereich. Ein Booklet mit den Texten liegt auch bei.
Ausführliche Informationen und Hörproben finden Sie auf meiner Website:
www.volksliedsammlung.de/cd-weih.html

Wie oben erwähnt, habe habe ich beim Einsingen der CDs natürlich nicht nur an Demenzkranke gedacht, sondern auch an Kinder und alle Menschen, die gern Volkslieder singen und denen die anderen Mitsing-CDs oft zu hoch sind.

Fast zeitgleich mit meiner Website und der Kinderlieder-CD erschien im März 2012 vollkommen unabhängig von meinem Projekt das Buch „Mit Musik geht vieles besser - Der Königsweg in der Pflege bei Menschen mit Demenz“ der beiden Musiktherapeutinnen Simone Willig und Silke Kammer im Vincentz-Verlag. Dieses Buch bestätigt von fachlicher Seite meine Erfahrungen mit meiner Mutter und ist sicher für viele, die sich näher mit dem Thema beschäftigen möchten, interessant.

Die heilsame Wirkung des Singens beschränkt sich übrigens nicht nur auf Demenzkranke, sondern betrifft auch Schlaganfallspatienten, Patienten mit Parkinson etc….

Herzliche Grüße

Wiebke Hoogklimmer

PS: Hier kommt ein Lied aus der Weihnachtslieder-CD:



volksliedsammlung



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Kommentare (4)

anjeli bis August habe ich ein Jahr lang eine Alzheimer-Patientin betreut und gepflegt...
sie war spastisch... konnte nur noch den Kopf drehen und einen Arm bewegen... nicht sprechen, sich nicht drehen... gar nichts mehr... sie reagierte auch nicht auf ihren Hund und der Hund auch nicht auf sie...
ich habe ihr sehr viele Lieder vorgesungen... Kinderlieder, Wanderlieder und andere Volkslieder... ob ich sie erreicht habe, dass kann ich nicht so genau sagen... machmal... meinte ich, sie würde reagieren... wenn ich das Lied sang
"Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg"...
eventuell war es auch Wunschdenken von mir...

Ich habe ihre Sinne erreicht, wenn ich sie eingecremt habe, ihr den Nacken massiert habe, ihr Gesicht, ihre Beine und Arme, sowie den Rücken gestreichelt habe...
(Basale Stimulation)
dann war ihr Gesicht total entspannt...
Ich habe auch oft eine heiße Rolle gemacht, weil sie immer trotz dicker Socken kalte Füße hatte... das hatte sie auch gerne... meine ich...

das konnte ein Außenstehender aber nicht beurteilen, nur wer sie näher kannte und auch pflegte...

Die Tochter kaufte eine große Flasche ihres Lieblingsparfüms... ich sprühte ihr die Haare ein... keine Reaktion auf den Duft...
Gegessen hat sie gut... ich habe auch gekocht für sie...
sie konnte noch schlucken... manchmal machte sie den Mund zu und schluckte das Essen nicht herunter... ich wertete es so, dass es nicht schmeckte... sie konnte auch nicht mit dem Kopf schütteln...
Kuchen, Torte und Schokolade hat sie nicht verschmäht...

Ich kann meine Patientin nicht mehr pflegen, weil ich mir einen Trümmerbruch in Ellbogen und Schulter zugezogen habe...

jetzt betreue ich eine 92jährige alte Dame, die auch dement ist, noch laufen kann (gut) alleine zur Toilette geht... nur ein bisschen Hilfe beim Anziehen und Ausziehen und beim Waschen braucht...
sie schält Kartoffeln, putzt Gemüse, spült das Geschirr ab, wenn wir gekocht haben... sie weiß nicht was sie mit dem Gemüse machen soll, dann mache ich ihr es vor und sie macht nach...
sie ist pflegeleicht... lebt aber teilweise in der Vergangenheit...
Singen mag sie nicht... sie hat nur aus Sympathie zu mir mitgesungen...
Ich habe auch eine CD und Liedertexte mit Volksliedern... aber meine Mia mag das nicht, sie spielt lieber Mensch ärger dich nicht, sitzt in der Sonne im Garten und guckt alte Fotos mit mir... mit Sprichwörter kann ich sie auch locken...

Menschen, die nie gesungen haben und nie Mensch ärger dich nicht gespielt haben, werden das auch nicht im Alter machen wollen, wenn sie noch selbst bestimmen können...

Aber, können Senioren in den Seniorenheimen noch selbst bestimmen, was sie machen möchten?

Gruß anjeli
Allegra persönlich keine Erfahrung mit Alzheimerkranken in meiner Umgebung habe:
Dein Wirken und Engagement ist segensreich, und ich kann es nur bewundern, liebe Wiebke.
Singen und Musizieren bereichert das Leben unendlich und trägt, wie ich es auch bei meinen
Kindern erlebt habe, zu bester Sprachentwicklung bei!

In diesem Sinne:
Lasset uns singen ein fröhliches Lied!
Singen macht heiter und froh das Gemüt!


Grüße von Allegra
werderanerin das ist wohl einer der größten Ängste der alternden Bevölkerung, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken und kaum Jemand ist davor sicher...habe selbst auch meinen Vater daran verloren...und weiß, was es heißt, einen Alzheimerkranken zu begleiten..., noch heute habe ich all das Elend vor Augen...man selbst kann nur hoffen, daran nicht zu erkranken, denn "Leben" kann man das nicht mehr nennen...

Das Singen überhaupt gut ist, weiß man ja derweile und wenn dann auch Demenzkranke ein wenig davon profitieren können, ist das doch wunderbar, zeigt es ja auch, dass die alten Dinge, wie Lieder u.a. eben doch noch nicht ganz verschwunden sind.

Dir persönlich kann ich nur viel Kraft und Liebe wünschen, denn die braucht man und manchmal muss man aufpassen, nicht selbst zugrunde zu gehen...

Kristine
Ela48 Danke für Deine Worte und ich kann Dir nur zustimmen..
Musik ist der Königsweg in der Demenzbegleitung.
Sage ich beruflicher Erfahrung.
Ich habe hier im Forum einen Blog und teile mit vielen Menschen Erfahrungen.
Darf ich Dir den Link geben?
Ich tue es einfach.

Validation
Ela48

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