Schubladen
Das Interessanteste an ihm sind die vielen Schubladen. Es sind zwölf an der Zahl, acht kleine und vier grosse. Anfangs dachte ich im Stillen daran, dass dort irgendwelche Fundstücke zu entdecken wären, leider wurde ich da enttäuscht. Ausser einigen alten Zeitungen von 1934, die dort als Bodenbelag dienten, gab es nichts zu entdecken. Aber auch diese erzählten mir sehr viel über die Zeit, als ich noch als Baby in der buchstäblichen Wiege auf meine Zukunft wartete.
Schubladen wecken stets in mir ein kindliches Bedürfnis, irgendwelche Geheimnisse zu erforschen. Wo aber fange ich hier an? Welche Schublade öffne ich zuerst? Sie sehen alle so ähnlich aus. Nehme ich die erste oder die letzte? Nehme ich die letzte, wird sie die die erste sein. Wenn ich aber die erste nehme, bleibt alles beim alten. Ich könnte natürlich auch die vierte oder sechste nehmen - aber, von woher zähle ich jetzt, von links oder von rechts? Ist das jetzt ein Schritt zur Weisheit? Gibt es die weise Erkenntnis in der Mitte oder eher an den Seiten? Es ist schon so, eine unbekannte Schublade zu öffnen bleibt schon ein Erlebnis.
Ich könnte die kleine dort ganz am Ende zuerst öffnen. Ist das vielleicht die Schublade der Vergangenheit? Die wollte ich eigentlich gar nicht. Dort die zweite, das könnte die der Freude sein. Gut. Wenn ich das so bedenke, sie könnte aber auch die Traurigkeit beinhalten. Also ich muss mich endlich mal entscheiden. Ich nehme einfach die grösste Schublade dort unten, fertig. Das ist die, in dem die alte Zeitung den Boden bedeckt. Ich lese auf diesem altersgebräunten Papier
Das steht also in der »Ostpommerschen Zeitung« in der Ausgabe des 28.Januar 1934. Ich staune. Da war die SPD noch eine Partei, die gegen die braunen Horden auftrat - auch wenn das nicht mehr viel nützte.
Da, die kleine Eckschublade ganz links ziehe ich ganz leise und behutsam heraus. Auch dort eine Papiereinlage auf dem Boden. Ein Bild in groben Rastern aus einer Zeitung, dann ein Text von 1934
.
Soso, denke ich, es gab sie also auch in anderen Ländern, diese KLs. Ja, solch alte Schubladen bringen doch manches zutage, von dem man nichts wusste.
Noch einige Schubladen ziehe ich auf, manche leer, in einer eine alte Blechdose mit dem Aufdruck »Ich hab’s, URBIN!«. War damals die Schuhcrememarke in Deutschland.
Nachdenklich schaue ich mir das alte Möbelstück an. Wie viel persönliche Schicksale waren wohl schon mit ihm verknüpft, wer alles hat diese Schubfächer tausend und mehr Male geöffnet. Ich komme ins Grübeln, aber all das Denken bringt mich nicht weiter, weil mir die Verbindung zu den speziellen Menschen halt fehlt.
So werde ich diesen alten Sekretär auch weiterhin als ein exotisches Stück Vergangenheit betrachten, der mir zwar einige Anhaltspunkte gab, dann jedoch nur noch ein wissendes Lächeln für mich übrig hatte!
Kommentare (3)
Lieber Horst,
meine Augen wegen meide ich gewöhnlich lange Texte. Irgendwie aber bin ich bei deiner erzählung hängen geblieben und ich musste das Ganze bis zu Ende durchlesen. in der gleichen Erwartung wie du, dass da irgendein Wunder aus der Schublade springt. Aber letztendlich war das auch gar nicht nötig, denn die Erfüllung ist oft enttäuschend, aber die Hoffnung ist immer schön. Das Lesen hat mir Freude bereitet und das ist nicht nur so dahin gesagt. Manchmal braucht man gar nicht so viel, um ein gutes Gefühl zu bekommen. Da genügt eine Geschichte von einem alten Schrank.
Einen schönen Tag dir mit lieben Grüßen von Lisa.
@Lisan
Ich möchte mich besonders bei Dir bedanken für die Geduld beim Lesen des Textes! Sehr oft mache ich das nicht, da ich jedem Leser selbst überlassen möchte, ob er etwas mag oder nicht. (Schon ein 💗 sagt mir, dass ich richtig liege) Aber ich weiss, das längere Texte oft langweilig wirken, ich verstehe das . Gerade deshalb also:
Thank you so much!
Horst
Vergangnes
Gib dich mit den Dingen zufrieden,
wie sie sich dir heute zeigen
schließlich lebst du jetzt hienieden,
Vergangnes bringt dich nur zum Weinen!
Nichts, rein gar nichts könntest du ändern,
an dem, was einst geschehen ist,
möge es in Frieden ruhen,
was nicht geweckt wird, wird nicht vermisst.
...meint mit Abendgrüßen
Syrdal