Rassismus
Im Zug war es wieder krachend voll. Diesmal stand neben ihm ein dunkelhäutiger sehr gut gekleideter Mann, der ihn freundlich anlächelte. Frank lächelte zurück und so kam es zu einem Gespräch zwischen den beiden. Darin erfuhr Frank, dass sein Gesprächspartner Professor für Literatur war und in Fritzfurt an der River University unterrichtete. Er hatte einen Ausflug nach Cottbus unternommen und wollte nun wieder zu seiner vorübergehenden Wohnung in Fritzfurt zurückkehren.
Vor einigen Wochen hätte Frank diesen Mann wahrscheinlich „Neger“ genannt und nicht einmal mit dem Allerwertesten angeschaut. Vor allem hätte er kein Wort mit ihm gewechselt. Inzwischen war er aber um einiges schlauer geworden und bemerkte wieder einmal, wie viel schöner die Welt war, wenn man ohne Vorurteile durchs Leben ging.
Der Professor sprach sehr gut deutsch, sodass es keine Verständigungsschwierigkeiten gab. Er erzählte Frank, dass er aus den USA komme und eigentlich in Berlin lebe und arbeite, aber für ein halbes Jahr im Rahmen einer Gastprofessur Vorlesungen an der Fritzfurter River University hielt. Beide verabschiedeten sich überaus freundlich voneinander, als der Zug in den Bahnhof von Fritzfurt einfuhr.
Als der Zug gehalten hatte, stiegen sowohl Frank als auch der Professor aus. Frank beeilte sich, den Bahnhof zu verlassen, war aber zu ungeübt, um sich schnell in dem zähen Menschenstrom zu bewegen. Zu seinem Ärger geriet er sogar auf die falsche Seite, sodass ihm die Menschenmassen entgegenkamen, die zum Bahnsteig wollten. Endlich hatte er den Bahnhofsvorplatz erreicht und wollte nun schnellen Schrittes zur Autowerkstatt gehen, da erblickte er seine drei früheren Freunde und noch einige andere schwarz Gekleidete. Sie hatten einen Halbkreis um den Bahnhofsausgang gebildet und musterten die herausströmenden Menschen. Als einer von ihnen den Afroamerikaner erblickte, war die Sache klar. Der Schläger pfiff seine Freunde zu sich und schnell hatten sie den Schwarzen eingekreist, sodass sie ihn herumschubsen konnten. Jedes Mal, wenn das Opfer einen Stoß bekam und gegen einen der Raufbolde geschleudert wurde, schrie dieser: „Habt ihr das gesehen? Der Neger hat mich angegriffen!“ Dann schlug der Vermummte kräftig zu und schubste den Professor gegen einen anderen schwarz Gekleideten. Die übrigen Passanten machten einen großen Bogen um die Gruppe und taten so, als ob sie nichts bemerkten. Obwohl Frank es eilig hatte, konnte er nicht anders, als sein Handy zu zücken und die Polizei zu rufen.
Nachdem der Amerikaner mehrmals hingefallen war und im Gesicht schon stark blutete, konnte es Frank nicht mehr ertragen, dem schrecklichen Geschehen untätig zuzuschauen, bis die Polizei eintreffen würde. Er ging beherzt auf die Rowdys zu, durchbrach den Ring, den sie gebildet hatten und packte den Amerikaner am Arm, um ihn aus dem Kreis zu ziehen. Nach einem kurzen Moment der Verblüffung richteten die Schläger ihre Wut nun auch gegen Frank und ehe er den Kreis verlassen konnte, wurde er genau wie der Professor herumgestoßen und geschlagen.
Frank kam es wie eine Ewigkeit vor, während der er wie ein Spielball hin- und hergeworfen wurde, dann ertönte endlich das Martinshorn eines Polizeiwagens. Die Nazis machten sich so schnell wie möglich davon; zurück blieben Frank und der Professor. Frank konnte gerade noch denken, wie ärgerlich es war, dass die Schläger das Weite gesucht hatten, da wurde er von einem Polizisten auf den Boden geworfen und seine Hände wurden hinter seinem Rücken mittels Handschellen gefesselt. Gleiches sah er aus den Augenwinkeln auch bei dem Professor. Dann wurden beide zum Polizeiauto geschleift und sehr unsanft hineingestoßen. Als sie beide nebeneinander auf der Rückbank des Streifenwagens saßen, versuchte Frank die Polizisten darauf aufmerksam zu machen, dass sie die Falschen geschnappt hatten und dass die tatsächlichen Täter über alle Berge waren. Die Polizisten ignorierten ihn jedoch. Der Amerikaner neben ihm sagte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Frank: „Thank you, my friend.“ Trotz der widrigen Umstände musste Frank lächeln.
Aus dem Buch "Geliebte Feindin - verhasste Freunde" von Wilfried Hildebrandt
Kommentare (5)
Hallo Wilfried,
was für eine schreckliche Geschichte ! Hoffen kann ich nur, dass sie erfunden ist.
Obgleich man täglich in den Zeitungen Ähnliches lesen kann. Meist spielt sogar
Messer eine Rolle.
Meine Enkelin ist mit einem Russen verlobt,, der ist ein lieber guter Mensch,
die Freundin meines Enkels ist Polin.
Ich freu mich dann darüber, dass beide den deutschen Pass bekommen haben.
Jetzt können sie in Ruhe leben und studieren, was sie mit Freude tun.
Tja es gibt ne Spaltung und das ist nicht gut.
Gruß Distel1fink7
@Distel1fink7
Hallo Distel1fink7,
der hier veröffentlichte Text ist ein Ausschnitt aus einem von mir verfassten tragikomischen Roman. Wie das bei Romanen so üblich ist, wird darin nicht über tatsächliche Begebenheiten berichtet. Definitionsgemäß ist ein Roman eine literarische Gattung erzählender Prosa, in der [in weit ausgesponnenen Zusammenhängen] das Schicksal eines Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen (in der Auseinandersetzung mit der Umwelt) geschildert wird.
In diesem Roman greife ich das Leben eines anfangs sehr rechtslastigen jungen Mannes auf, der durch die Liebe zu einer Polin bekehrt wird. Gewissermaßen eine Wandlung vom Saulus zum Paulus.
Wie du schon richtig bemerktest, muss man leider viel zu oft von derartigen Vorfällen hören und lesen, sodass ein Ereignis, wie das geschilderte durchaus im Bereich des Möglichen liegt.
Mein Anliegen beim Schreiben dieses Buches war der Wunsch, den Menschen die Augen zu öffnen, die engstirnig und voller Hass auf andere Völker sind. Das war allerdings ein frommer Wunsch, wie ich jetzt weiß, denn diese Personengruppe liest keine Bücher - vor allem nicht solche wie dieses.
Viele Grüße
Wilfried
@Wilfried
Schönen Sonntag heute !
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man gern Dinge verkleidet
schildert, die man wahrgenommen hat, die einen berührt haben.
Die Hand in eine Wunde legen, um sie zu zeigen, hört auf damit.
Viele unschöne Sachen passieren, wie kann man sie stoppen ?
Ich hbe meine Zeitung abbestellt, weil auf jeder Seite irgendeine
Untat beschrieben wird , um nicht ausführlicher zu werden,.
Ich glaube aber trotzdem an das Gute im Menschen.
Liebe Grüße vom Distel1 fink 7
Renate
Zum Glück musste ich so etwas mit meinem schwarzen Schwager nie erleben. In den 1970er Jahren gab es das noch nicht bei uns im hochkatholischen (deshalb schwarzen) Münster.
Wie es heute in dieser Universitätsstadt aussieht, weiß ich nicht. Es gibt so viele Bürger und Studenten mit ausländischen Wurzeln, die man ihnen auch ansieht. Aber es gibt so viele andere, familiäre Dinge zu besprechen, dass ich gar nicht auf die Idee käme, meine Schwester, die durchaus noch Kontakte zur Uni lebt, danach zu fragen, wenn wir telefonieren ...
Und hier, in meiner ländlichen Umgebung, scheint alles normal, ohne Rssismus zu verlaufen. Vielleicht gibt es ja in den nahen Städten mit Universitäten ein anderes Bild? Ich hoffe es nicht, denn wir alle sind gleichwertige Menschen!!!
hallo,
ich finde es toll, dass dieses thema hier angesprochen wird.
ja ich habe mir auch schon oft die frage gesstellt:
was würdest du machen, wenn du so etwas sehen würdest?
ich habe gehört: man soll hilfe rufen und gezielt passanten ansprechen, dass sie doch helfen oder wenigstens mitrufen.
die polizei anrufen ist ja wohl selbstverständlich.
aber ich habe auch schon gehört, dass jemand, der sich eingemischt hat, selbst nur mit worten, auch angegriffen wurde. deshalb halte ich es für wichtig, dass man mit mehreren sich äußert, die diese täter sind meist nur stark, wenn sie nicht in der minderheit sind.
sollte es nicht normal sein, dass jeder, der so etwas sieht sofort "aufhören" ruft?
ja, wenn man sicher in der stube sitzt, dann ist vieles einfach...
es gibt einen spruch.
es reicht schon, viele nichts gegen das böse tun, um das böse gewinnen zu lassen
...oder so ähnlich...
l.g. an alle