Opa hatte einen schwarzhaarigen Rauhaardackel, unseren Pucki. Der war schon da, bevor ich bei meinen Eltern einzog. Pucki war eine ganz treue Seele. Selten, dass er mal an der Leine lief. Er liebte sie Alle: Opa, sein Herrchen, den Papi, der Opas Sohn Hans war, und Mutti, die man Lotte rief und Papis Ehefrau war.

Papi und Opa waren in einer großen Versicherung in Berlin beschäftigt. Jeden Morgen liefen sie zur S-Bahn, um in die Stadt zufahren; abends kamen sie wieder zurück. Und Pucki blieb mit Lotte zu Hause. Pucki war ein Geburtstagsgeschenk an Opa. Wie gesagt: ich war noch nicht da und Pucki hatte freie Hand, durch die Stadtwohnung zu wetzen, zu schnüffeln, alles zu beäugen. Er hatte zu lernen, dass er nicht alle Zeit und überall „ins Höschen machen“ oder „das Bein heben“ durfte. Und er kapierte es, gab Laut oder wedelte mit der Rute, wenn’s nötig war.

Pucki war der „King“. Mutti erwischte ihn in der Küche, als er sich in der Speisekammer (das war ein Schrank) selbst bedient. Seine Augen blickten so liebenswürzig und unschuldig zur schimpfenden „Frauchen“, so als wusste er doch nicht, dass das sich nicht gehörte, einfach zu klauen.

In der Wuhlheide – jeder östlich orientierter Berliner kennt diesen Landschaftspark im Südosten von Berlin, gleich neben der Rennbahn in Karlshorst – in der Wuhlheide kannte sich der kleine Hund schon recht gut aus. Als er Hans und Lotte beim Spaziergang begleiten durfte – immer ganz ohne Leine – kamen sie zu dem See in der Wuhlheide, den es heute nicht mehr so gibt, so einer mit Brückchen am Zufluss und Brückchen am Abfluss. Hans und Lotte ging getrennt über diese Brückchen und trafen sich auf der anderen Seite des nicht so großen Sees. Sie lockten Pucki. Sie wollten sehen, was Pucki jetzt machen würde - läuft er Hans oder Lotte nach? Was meinste, was Pucki machte?? Pucki schwamm einfach hinüber. Er wollte niemanden kränken. Sie nahmen ihren Kumpel, rubbelten ihn trocken, und Pucki lief mit erhobener Rute voraus.

Pucki hatte seinen Sitzplatz auf dem „Vorderdeck“ von Papis Faltboot. Da saß er brav und schaute sich die Landschaft an, während Hans und Lotte mit ihren Paddeln die Wasser der Dahme, der Spree, und der Havel hinter sich drückten. So ging es auch durch Schleusen. Bloß einmal in einer Schleuse passierte es: Pucki plumpste in der Schleusenkammer ins Wasser. Das abfließende Wasser riss ihn mit sich, raus aus der sich entleerenden Kammer. Hans und Lotte waren verzweifelt. Als sich aber das untere Schleusentor öffnete, stand Pucki am Ufer bellte und wedelte ganz eifrig, als er Hans und Lotte wiedersah. Von da ab kuschelte sich Pucki lieber unter Deck zu Lottes Füßen.

1936. Olympische Spiele in Berlin. Man stand an der Köpenicker Landstraße und wartete mit vielen anderen Leuten, ob groß oder klein, mit und ohne Hund, auf die Läufer, die das Olympische Feuer nach Berlin brachten. Die Kinder hielten Fähnchen in den Händen, rote und weiße Wimpel. Die Läufer rannten vorbei und das ganze Theater war flugs vorbei. Zuhause versuchte Hans, durch Basteln am Radio einen besseren, ja lauteren Empfang zu erreichen.

Für uns nach und nach eintreffenden Kinder war Pucki ein Spielkamerad, der ganz schön wetzen konnte, wenn’s um das Versteckspielen ging. Und weil die Stadtwohnung für den geplanten Kindersegen allmählich zu klein wurde, ging Lotte mit der Haustochter und den drei Kindern – das jüngste war noch kein Jahr alt – auf Inspektionsreisen, galt es doch zu sehen, was so hinter den Immobilienangeboten steckte. Pucki war immer mit von der Partie. Mal ging’s nach Schöneiche – Opa: „was soll ich da draußen, wo sich Hund und Katze Gute Nacht sagen?“ – und wer weiß, wo sonst noch hin. Zuletzt war Eichwalde dran, ein Vorort im Südosten von Berlin, so an der Görlitzer Strecke.

Um von Schöneweide nach Eichwalde zu gelangen, musste man (damals) in Grünau von der S-Bahn in den Vorortzug in Richtung Königs Wusterhausen umsteigen. Also fuhr die „Mannschaft“ bis Grünau und wanderte durch den Grünauer Forst nach Eichwalde. Man besuchte mehrere „Angebote“ und entschied sich im Familienrat für das Anwesen in der Schillerstraße 43 in Eichwalde. Achthundert Quadratmeter Garten, ein freistehendes Haus usw. usw. Nur (für einen Erwachsenen) gerade zehn Minuten bis zum Bahnhof. Ideal für Alle.

Für die Kinder und Pucki genügend Freiraum im Garten und im Haus. Opa hatte unterm Dach sein Zimmer. Dahinter lag die Kammer, wo das Hausmädchen wohnte. Die Kinder, zwei an der Zahl, schliefen vor Opas Zimmer. Ich, der Älteste zog in Opas Zimmer mit ein. Und Pucki? Im Sommer stand sein Körbchen in der Veranda, sonst machte er sich’s im Esszimmer neben dem Kachelofen bequem. Die gewundene Treppe ins Dachgeschoss hinauf schaffte Pucki nicht so einfach. Also blieb er brav unten.

Im Sommer war Pucki draußen im Garten zu finden. Da ließ er sich die Sonne auf den Pelz strahlen. So döste er neben dem Küken-Gatter. Ein kleiner Wolle-Knäuel pickte Pucki auf die immer nasse Nase. Das ärgerte Pucki, er griff nach dem Störer durch die Maschen im Zaun. Er traf dabei das kleine Wesen so kräftig, dass es liegen blieb. Er versuchte es durch die Maschen zu bugsieren, es gelang ihm nicht. Lotte hatte Pucki beobachtet, erlebte, wie er es schaffte, das noch immer still daliegende Tier doch heraus zu holen, es zu seinem Körbchen zu apportieren. Mit ganz traurigen Augen schaute er zu Lotte hoch: „Ich wollte das doch nicht!“.

Nein, nein, getriezt haben wir Kinder unseren Pucki nie. Wir ließen ihn in Ruhe, er ließ uns in Ruhe. Als nun, es war Krieg geworden, Opa zu Hause blieb, dann aber ins Krankenhaus kam und von da nicht mehr wieder kam, saß Pucki auf dem Weg von der Veranda zum Gartentor, ließ sich nicht zum Reinkommen bewegen, knurrte Mutti an, wenn sie ihn reinholen wollte. Pucki bekam die Staupe. Mutti ging mit Pucki fort, kam ohne ihn wieder heim. Pucki war im Hundehimmel angekommen.

Nun waren zwei aus der Familie gegangen: Opa und Pucki. Und unser Vater musste in den Krieg. Zurück blieben Mutti und wir vier Kinder. Die Ziege war auch weg. Der Hühnerstall leerte sich, und auch so manche Karnickelbucht blieb verweist zurück. Das war 1940.
Kurz vor Weihnachten kam (endlich) ein Brüderchen dazu, hatte ich bis dahin (nur) drei Schwestern. Und weitere drei Jahre danach kam noch ein Schwesterchen dazu. Schließlich 1951 kam unser Nesthäkchen dazu.

Wir waren 1945 im Westen gelandet. Und nach dieser langen Zeit bis vor vier Jahren bin ich nicht in der Wuhlheide, in Schöneweide und Eichwalde aufgeschlagen – außer in kurzen Durchfahrten – doch jetzt kann ich jederzeit dahin, wo wir mit Pucki spazieren gegangen sind, weil ich wieder zu Hause bin.

ortwin

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Kommentare (2)

tilli von dir, die uns das Herz erweicht.Immer wieder suchst du aus deiner Schatztruhe der Erinnerungen, Geschichten für ST. Das ist doch schön.
Grüße Tilli
Traute Einfach umwerfend schön und so natürlich geschrieben, Deine Geschichte über Pucki und Deine Lieben.
Das Bild ist göttlich! Wenn ich an die Leibchen denke, an denen Strippen mit Knopfloch waren, woran man die langen Strümpfe knöpfte. Aber damals gab es nichts anderes. Im Winter mussten wir den Hampelmann drunter ziehen. Der War wie langärmliges Oberhemd mit langen Unterhosen dran, vorne geknöpft über dem Bauch.
Wann werden Deine schönen Erinnerungen mal ein Buch?
Mit österlichen, freundlichen Grüßen,
Traute

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