Porzellangeschichten


Tante Friedas Hutschenreuther Kaffeeservice
Das Kaffeeservice von Hutschenreuther für 6 Personen, bestehend aus Tassen, Untertassen, Kuchenteller und einem großen Kuchenteller habe ich zwischen 1973 und 1975 von meiner Großtante Frieda Koepke bekommen. Tante Frieda war eine der vier Schwestern meiner Großmutter. Ich weiß nicht viel über das Leben dieser Großtante. Ich habe sie als liebenswerten und lustigen Menschen in Erinnerung. Sie lachte sehr viel und nahm das Leben von der sonnigen Seite. Ich habe erst sehr viel später erfahren, dass sie sehr gläubig war und einer Baptistengemeinde in West-Berlin angehörte. Sie verstarb 1975 für mich sehr plötzlich. Tante Frieda habe ich bewusst in den 1950er Jahren kennengelernt. Sie besuchte mich während meiner Klinikaufenthalte in der Berliner Charité in den Jahren 1954-1956. Dann brach der Kontakt mit dem Bau der Berliner Mauer ab. Erst Anfang der 1970 Jahre mit dem Zustandekommen der Berliner Abkommen haben wir uns wiedergesehen. Die Westberliner durften wieder in den Osten Berlins und dann auch in die DDR reisen. In dieser Zeit haben wir uns entweder in Berlin bei der Familie meines Großonkels Walter Koepke getroffen oder sie besuchte mich mit ihrer Freundin Gigi (Gisela) von W… in Birkenwerder. Den Nachnamen von Gigi weiß ich nicht mehr. In Birkenwerde arbeitete und wohnte ich in der Clara-Zetkin-Gedenkstätte. Es war meine erste Dienststelle. Meine Wohnverhältnisse waren bescheiden, aber ich war mit meiner Arbeit zufrieden und nahm das Leben sehr optimistisch. Ich freute mich immer auf die Besuche von Tante Frieda und Gigi. Sie brachten immer sehr leckere Salate und Kuchen mit. Wir haben viel gelacht und uns gefreut, dass wir uns hatten. Mir wird heute noch sehr warm ums Herz, wenn ich daran zurück denke. Arbeit und Politik wurden nicht berührt… Ich frage mich heute, warum ich nie Schwierigkeiten oder Probleme hatte, weil ein Mercedes aus Westberlin vor meiner Dienststelle stand, in der ich ja wohnte? Und ich hatte Anfragen angeblich von der Polizei, wenn ein West-Auto in der Nähe der Gedenkstätte gesehen wurde… Der Mercedes gehörte Tante Frieda. Gigi war ihre Freundin und Begleiterin. Sie fuhr auch das Auto. Tante Frieda hatte keinen Führerschein. Ich weiß auch nicht, wie die beiden sehr unterschiedlichen Frauen sich gefunden haben: Frieda aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und die verarmte Adlige, die alles an Grundbesitz in Thüringen verloren hatte. Ob Gigis Angaben wahr waren, weiß ich nicht. Sie erzählte immer wieder diese Geschichten… Beide hatten sich gefunden. Durch die Bekanntschaft mit Gigi konnte Tante Frieda Reisen unternehmen und ihrem Rentendasein schöne Zeiten geben. Sie war auf das Auto angewiesen, da ihr das Laufen Schwierigkeiten bereitete. Frieda und Gigi waren sehr unwirklich und skurril, hatten sehr dunkel gefärbte Haare, die sehr laienhaft zu einem Lockendutt frisiert waren. Ihre Lippen trugen immer Farbe eines knallroten Lippenstiftes. Nicht viel Wert legten sie auf Kleidung. Sie waren nicht modisch interessiert und orientiert. Beide legten wenig Wert auf Äußerlichkeiten. Ihre Kleidung war sauber, aber nicht immer passend und wurde nur sehr unkundig umgeändert. Es interessierte nicht, dass die Änderungen nur im Umheften, nicht im Umnähen oder Säumen der zu langen Kleidung, bestanden. Die einfachen Heftungen waren oftmals zu sehen. Frieda und Gigi waren in allem, was sie taten, ungewöhnlich. Diese Skurrilität hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass beide Frauen immer ohne Kontrollen durch die Grenze kamen und so mir Geschirr und andere Haushaltssachen nach Birkenwerder mitbringen konnten. So kam auch das Hutschenreuther Kaffeeservice in meinen Besitz. Wenn beide Damen mich in Birkenwerder besuchten, erhielt ich einige Teile des Services. Die letzte Tasse brachte Gigi mir noch nach dem Tod von Tante Frieda. Sie war eine Nachbestellung, die originale Tasse war kaputt gegangen... Ich habe dann nichts mehr von Gigi gehört. Ich war immer sehr stolz, dieses Service zu besitzen und habe es auch oft benutzt bis Anfang der 1990er Jahre. Dann kam es nur sehr selten auf den Tisch. Große Festlichkeiten, wie oftmals zu DDR-Zeiten, gab es nun sehr selten. Die Kontakte zu Freunden, Bekannten und Familie wurden weniger. Jeder hatte mit sich zu tun. Wie die Gesellschaft sich veränderte, veränderten sich auch die Beziehungen zwischen den Menschen… Auch ich habe mich verändert und neue Sichten aufgrund von Alter und Tod erlangt. Für mich ist es wichtig, alle Dinge zu regeln und soweit es möglich ist, sich von Besitz zu trennen. Wichtig ist nur, dass diese geliebten Dinge in die richtigen Hände kommen und geschätzt werden. So werde ich mich also von diesem Geschirr trennen. Die Erinnerungen werden aber bleiben.
Bevor ich meine Porzellangeschichten aufschreiben konnte, recherchierte ich im Internet nach Porzellanmarken. Ich wollte wissen, wann dieses Geschirr produziert wurde. Ich fand heraus, dass die Porzellanmarke „Hutschenreuther Hohenberg 18 CM 14 Germany“ im Zeitraum 1948-1970 hergestellt wurde. Andere Recherchen zum Zeitwert haben mich entsetzt. Die Auktionspreise im Internet sind sehr niedrig. Für mich hat aber dieses Porzellan einen sehr hohen Wert. Es spricht zu mir und meiner Familie. Es erzählt kleine Geschichten von geliebten Menschen. Es ist Erinnerung und gehört zur Familie.
herzogin







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Kommentare (1)

Traute Eine der vielen Verbindungen zwischen Ost und West. eine Art der Beziehungen, die durch die Trennung eines Volkes auf diese Art entstand.
So hat sich, wie Du schreibst doch nun mit der Zeit vieles geändert und wie mir aus den alten Bundesländern bekannt wurde, ließen die festen verwandtschaftlichen Beziehungen mit der Wendezeit nach. So fühlten sich viele aus den alten Ländern gebraucht als Not war und zurückgesetzt als die Not nachließ.
Ich habe eine Familienangehörige erst nach der Wende gefunden und sie hat mir ein Geschenk gemacht das tausend Meißner Services nicht aufwiegen würden, jedenfalls für mich), ich bekam zwei Bilder auf denen meine Mutter, die in Ostpreußen 1946 verhungerte, geschenkt.
Das man Dir die Westbesuche nicht übel verrechnete, erstaunt mich. Bei uns wurde ein Dispatcher, der einem havarierten Westauto , mit einsteigen in das Auto, den Weg in die nächste Werkstatt zeigte, äußerst scharfe Zurechtweisungen in der Firma. Das hatte die Stasi in unseren Betrieb gemeldet und Sanktionen verlangt. Du wirst einen Beschützer gehabt haben, der sich für Dich verbürgte, denke ich.
Schön, wenn man Dinge so lieben kann. Das hat sich bei mir nicht so ausgeprägt.
Das Geschirr und Kristall, welches in der DDR Zeit so ein Statussymbol hatte ist völlig entwertet.
Meine Stiefmutter gab mir eine besondere Schale, zweigeteilt mit Schlange als Henkel in der Mitte, von KPM. Wenn sie einer meiner Jungs haben wollte könnte er sie sofort einpacken und mit nehmen....
Interessante Familiengeschichten, sind durch den Krieg und die Teilung geschaffen. Da gibt es sicher noch viel zu erzählen. Hier gibt es für ehemalige DDR STLer eine Rubrik, da kannst Du auch noch ein bisschen stöbern ?
Mit herzlichen Grüßen und Danke für die interessante Erzählung,
grüßt Traute

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