Naturismus

Autor: ehemaliges Mitglied


Nacktheit – Scham – Moral
Überlegungen im Zusammenhang mit dem Naturismus, einer Lebensform unter anderen
 
Nacktheit in der Öffentlichkeit wird offensichtlich nur dann freiwillig praktiziert, wenn Schamfreiheit damit verbunden ist. Also Nacktheit im häuslichen Bereich, in der Sauna, in Bädern, am Strand und z. B. in Feld und Wald oder auch in der Kunst als Modell oder Akteur auf der Bühne und eben auch im erotischen bzw. sexuellen Lebensbereich. Schamfreiheit unter diesen Umständen ist erforderlich, da anderenfalls ein solches Handel freiwillig nicht denkbar erscheint.
Scham entsteht und ist vorhanden, wenn man etwas tut oder unterlässt, was man für unstatthaft/fehlerhaft hält. Das einzelne Tun und Unterlassen von Menschen ist kulturell bestimmt und unter den Menschen ganz sicher nicht einheitlich positiv oder negativ determiniert. Was einigen richtig erscheint, wird von anderen ggf. als falsch angesehen. Dass sich aus solchen Einschätzungen ergebene Verhalten wird dann als Moral ausgegeben. Es bilden sich soziale Gruppen mit gleichartigem Schamverhalten, die dazu neigen, ihre „Moral“ für verbindlich erklären zu wollen. Das eingeengte Denkvermögen in solchen Fällen führt zu der Annahme, die Wahrheiten in Sachen Moral erkannt zu haben und andere Verhaltensweisen missbilligen zu dürfen. Eine totale Selbstüberschätzung. Wenn es dann sogar zu dem sogenannten „Fremdschämen“ kommt, wenn also Scham entsteht, weil andere eine andere Moral leben, ist es nur noch peinlich.
Um bei dem Thema „Nacktheit in der Öffentlichkeit“ zu bleiben: Zur Nacktheit ohne Schamgefühl gehört offensichtlich dann die Überzeugung, dass der eigene nackte Körper keinen Grund liefert, ihn zu verbergen; das Unterlassen der Bekleidung also unter bestimmten Umständen keinen Anlass zur Scham geben kann. Dass also der eigene Körper in einem Zustand ist, den man selber voll verantworten kann, weil man eben in diesen Körper geboren ist und ihn den gegebenen Möglichkeiten nach gepflegt hat. Eine Körperakzeptanz ist erforderlich bzw. gegeben, die den ganzen Körper erfasst; also neben dem nackten Mund auch die nackten Brüste, den nackten Penis und die nackte Vulva usw. Dann ist Nacktheit ohne Scham selbstverständlich. Aber eben nicht für jeden Menschen, da eine solche Körperakzeptanz von vielen in dieser Form nicht gesehen wird. Der Körper bleibt für diese Menschen in der Öffentlichkeit immer weitgehend bekleidet.
 
Warum? Warum wird der nackte Mund kaum bekleidet; aber der nackte Penis und die nackte Vulva fast immer schamvoll bedeckt? Ist der nackte Mund so viel schöner? Nein, er ist nur nicht so sexuell konnotiert wie Penis und Vulva, obwohl auch er in der Sexualität eine Rolle spielt. Eine solche überstarke Konnotation  ist im Wesentlichen durch Religionen, Kirchen bzw. Ideologien herbeigeführt worden! Die Erbsünde lässt grüßen. Die Religion erzählt: Im sogenannten Paradies war man schamfrei nackt. Wer war eigentlich dabei und hat es gesehen? Es geschah angeblich der Sündenfall, den auch der sogenannte Allmächtige nicht verhindert hat. Und seitdem gibt es das Märchen, dass die Blöße zu bedecken sei.
Die Folge einer solchen Prägung ist dann verständlich. Die primären Geschlechtsorgane werden nur unter dem Aspekt der Sexualität gesehen und diese als einen sehr intimen Vorgang, der nur unstatthaft die Öffentlichkeit verträgt. Das wird weithin kulturell so verstanden. Anerzogen worden ist dann ein fehlgeleitetes Schamgefühl durch Überbetonung der Bedeutung von Penis und Vulva in Bezug auf die Sexualität unter dem Gesichtspunkt der Lustfeindlichkeit und Dämonisierung. Nacktheit in der Öffentlichkeit ist unter diesen Umständen nicht praktizierbar.
Wenn man durch die Welt heute und in vergangenen Zeit schaut, ist das Verhältnis zum eigenen Körper immer wieder sehr unterschiedlich gesehen und gewollt worden. Bekleidung / Verkleidung und Nacktheit wurden und werden unterschiedlich beurteilt und gelebt. Der Mensch in seiner Vielgestaltigkeit – körperlich und geistig – fand und findet unterschiedliche Darstellungsformen seines Körpergefühls. Diese Differenzierungsmöglichkeiten machen unter anderem das Menschsein aus und zeigen sich ganz besonders in dem Begriff Freiheit. In die Freiheit des einzelnen Menschen sollten andere nicht willkürlich eingreifen. Das gilt auch für die Nacktheit in der Öffentlichkeit, wenn der einzelne es für moralisch richtig, statthaft und schamfrei hält. Basis dafür ist u. a. Artikel 2 des Grundgesetzes:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Freie Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden heißt im Ergebnis eine hochdifferenzierte Gesellschaft hinsichtlich der praktizierten Lebensart der einzelnen Bürger. Also eine offene Gesellschaft im Sinne von Karl R. Popper. Eine Gesellschaft dieser Art – gemäß Grundgesetz – entwickelt sich nur unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Toleranz eines jeden Bürgers. Diese Pflicht zur Toleranz ist die komplementäre Ergänzung zum Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes.
 
Axel  Geertz – 2018.07.22


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Kommentare (4)

Manfred36


Ich finde Nacktheit plump. Anfänglich vielleicht aus einer Bedeckung gegen Außeneinwirkungen entstanden, ist (marginäre) Bekleidung doch zu einer evolutionären Norm geworden. Selbst Naturvölker praktizieren sie. Der Verzicht auf sie kennzeichnet eine besondere Protesthaltung oder Veranlagung. Die 68er Generation sah das anders. In der Kunst einen schönen Körper nackt darzustellen, ist mit den Fantasie- und kreativen Ausdrucksfreiräumen der Kunst verbunden. Ich bin überzeugt, das Eros und Libido sich auch auf völlige Nacktheit einspielen könnten, aber damit wäre nichts gewonnen. Ich erinnere mich, wie reizend ich die Sandalen meiner Frau empfand, die die Zehen, aber nicht die Zehenansätze zeigten. Das Nicht-mit-der-Tür-ins-Haus-Fallen ist eine Errungenschaft unserer Kultur. Hast du schon einmal mit einem Muslim über das Thema gesprochen?
Gruß
Manfred

Manfred36


Lieber Axel,
es besteht so etwas wie eine Übereinkunft, dass wir uns im Seniorentreff mit „DU“ und Vorname anreden. Auch eine Art vorausgesetzter Nacktheit. Ich habe es jetzt weiter so gehandhabt; falls wir noch einmal miteinander reden sollten und du es nicht magst, dann entschuldige bitte und sag es mir.
Für mich war Nacktheit nicht der Anfang sexueller Übungen. Aber wenn du meinst, dass im Rahmen unserer Kultur, die sich durch Deutlichkeit und Offenheit auszeichnet, jegliches Versteckspielen nicht gefragt ist, auch das bis zum letzten Hautfetzen hin, dann liegst du auch nicht ganz richtig. Wir spielen noch in ganz anderen Dingen Versteck, auch du. Und Bedecken der Schamteile ist nun mal eine Überlieferung, die auch auf Hygiene beruht. Ich habe durch eine Operation meine Testosteronproduktion verloren und konnte nicht mehr sexuell agieren. Aber Frauen (und auch Männer) haben für mich denselben Reiz wie zuvor. Ich habe viele Aktbilder gemalt.
Ich denke doch, wir bleiben bei ein Wenig Bedecktheit und der minimalen Korrekturmöglichkeit, die darin besteht.

Gruß
Manfred

 

ehemaliges Mitglied

 


Verehrter Herr Manfred,
 
mit Ihrer Wortwahl reagieren Sie – wie so häufig und von mir in obigen Beitrag ausgeführt – auf Nacktheit sexuell disponiert. Hinter „Plump“ und „nicht mit der Tür ins Haus fallen“ steht doch offensichtlich die Vorstellung, Nacktheit ist direkt der Anfang sexueller Übungen. Das mag bei Ihnen so sein. Es gibt auch anders disponierte Zeitgenossen.
 
Warum sollte ich mit einem Muslim sprechen. Es ist bekannt, wie sehr Verhüllungswahn den Islam ausmacht und wie wenig Toleranz im Islam gilt. Soweit Toleranz als Pflicht gemäß Artikel 2 Grundgesetz nicht akzeptiert wird – und das wird bei fast allen Muslimen der Fall sein – sollten Menschen dieser Art sich aus Deutschland fortmachen. In diesem Sinn bin ich Verfassungspatriot. Wie deutlich formuliert, richtet sich eine solche Haltung nicht gegen Fremde, sondern gegen Menschen, die sich nicht verfassungskonform verhalten wollen!
 
Eine solche Feststellung: „Das Nicht-mit-der-Tür-ins-Haus-Fallen ist eine Errungenschaft unserer Kultur.“ sehe ich als reine Fantasie und hat keinen Bezug zu einer Nacktheit in der Öffentlichkeit. Im Rahmen der hiesigen Kultur ist es immer genehm, direkt sich darzustellen bzw. sein Anliegen vorzubringen. Versteckspielen ist nicht gefragt – Offenheit und Deutlichkeit zeichnet unsere Kultur aus.
 
Beste Grüße
Axel Geertz

ehemaliges Mitglied

Vielen Dank für diesen Artikel!
Ich bin einerseits ein sehr schamhafter Mensch, würde mich also nicht in der Sauna oder am FKK-Strand zeigen. Andererseits bin ich in intimen Situationen ziemlich hemmungslos. 

Das hat viele Gründe. Aber auch Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass ich nie diese Ungezwungenheit leben können werde. Der Vorteil ist, dass Nacktheit für mich immer noch einen sexuellen Reiz hat. Denn ich habe nie daran geglaubt, dass Erektionen aus Liebe entstehen.

Den ganzen Tag umgeben von Nackten, dann plötzlich Lust auf eine von ihnen zu bekommen, ist für mich nicht vorstellbar. Meine Libido lebt vom Kontrast. Und dazu gehört Bedecktes, das zur rechten Zeit entblättert wird. 

In der Öffentlichkeit stören mich allzu nackte Menschen nur dann, wenn sie schwitzend in Restaurants und Cafés sitzen. Das hat aber nichts mit Religion zu tun, sondern mit meinem ästhetischen Empfinden. 


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