Meine kleine Fischtaverne




In dieser kleinen griechischen Taverne, nicht weit weg vom Trubel der Touristenströme,
aber doch noch unberührt vom Tourismus, treffen sich fast nur Stammgäste. Der Wirt kennt sie alle beim Namen und kennt auch ihre kleinen und größeren Probleme; denn manche seiner Gäste haben nicht nur ihr Herz bei ihm ausgeschüttet sondern auch ihre Familienfeste in seinem Lokal gefeiert, Freud und Leid liegt sozusagen eng beieinander.

Da sind zum Beispiel die drei Baumeister Kosta, Lefteri und Harry. Drei völlig verschiedene Charaktere und doch seit Jahren in Freundschaft verbunden, zusammengeschweißt durch ihre gemeinsame Arbeit, verschiedene Erlebnisse, Erfolge und auch Pleiten.

Sie sind immer auf der Suche nach Aufträgen. Das war früher leichter als heute, viele Grundstücke wurden in dem kleinen Ort schon verbaut, es stehen nun Appartementhäuser darauf. Nur hin und wieder hält sich trotzig eines der kleinen Sommerhäuser zwischen den großen Häusern. Das sind die Themen, die unsere drei Baumeister bewegen.

Nacheinander kommen sie in die Taverne und bestellen durch lautes Zurufen drei mal Ouzo beim Wirt. Dieser nimmt die Bestellung durch zustimmendes Nicken des Kopfes zur Kenntnis. Er bringt drei kleine Fläschchen gemeinsam mit einer Schale Eiswürfel und einen Teller mit pikanten Häppchen und stellt alles auf den Tisch. Sodann bringt er auch noch einen Korb mit frischem Brot und eine große Karaffe mit kaltem Wasser. Die drei Freunde gießen den Ouzo langsam und bedächtig in die Gläser und geben je nach Geschmack ein oder zwei Eiswürfel dazu. Sofort färbt sich der Ouzo durch die schmelzenden Eiswürfel milchig ein. Sie stoßen an prosten sich zu und sehen sich dabei an. Dann nehmen sie einen kleinen Schluck und wenden sich den Häppchen am Teller in der Mitte zu. Es ist eine Auswahl des reichhaltigen Angebotes an Vorspeisen. Es ist bemerkenswert mit welcher Liebe jedes kleine Tomatenstück, jeder in Olivenöl angebratene Paprika zerteilt wird und gemeinsam mit einem Stück Weißbrot im Mund verschwindet.
Es ist Freitag nachmittags und sie unterhalten sich über die vergangene Woche, über die Hitze in der nahen Stadt der sie soeben entkommen sind und auch über den letzten Bestechungsskandal und über alle anderen kleinen Begebenheiten. Ihr dunkles, zufriedenes Lachen mischt sich mit den Rauschen der Wellen und den gedämpften Geräuschen aus der Küche zu einer Symphonie der Lebensfreude.
Am übermütigsten ist immer Harry. Wenn einer seiner Freunde etwas Passendes zum besten gibt oder einen Witz gut plaziert, schlägt er mit der rechten Hand über den Tisch in dessen Hand ein und ruft ihm ein Prost zu, um gleich anschließend auch sein Glas zum Mund zu führen. Ihre Unterhaltung wird immer lustiger und lauter. Eigentlich sollte Harry nach Hause gehen, da seine Frau mit dem Essen auf ihn wartet, doch er kann sich nicht von seinen Freunden trennen und erzählt immer wieder lustige Geschichten und Anekdoten über die alle lachen, obwohl sie schon alle kennen. Nun kommen auch noch andere Gäste in das Lokal, die Tische werden besetzt und das Spiel für den Wirt beginnt wieder von neuem.
Einer wird besonders laut und freudig begrüßt und am Tisch für ihn Platz gemacht. Es ist Vassili, einer der Zulieferer für die Projekte der drei Baumeister. Er hat schon eine Stunde zuvor telefonisch einen großen Fisch am Rost bestellt und setzt sich nun zu den Freunden; nicht ohne vorher eine große Geste der Begrüßung nach rückwärts in die Tiefe des Lokales zu senden und damit gleichzeitig zu signalisieren:
„Ich bin da, Ihr könnt servieren!“

Der Wirt ist schon unterwegs und bringt neuerlich einen Korb mit frischem Brot, vier Weingläser und einen zusätzlichen kleinen Teller. Den kleinen weißen Teller deshalb, da anzunehmen ist, daß auch Vassili von den kleinen Häppchen die noch am Tisch übrig geblieben sind, etwas nehmen wird. Dann eilt er wieder zurück und holt die bereits vorbereitete Fayence mit dem großen, am Rost durchgebratenen Fisch und stellt sie mit einer wahrlich königlichen Geste in die Mitte des Tisches. Einen leichten weißen Tischwein, die Lieblingsmarke der Freunde hat er unter dem Arm eingeklemmt und stellt ihn ebenfalls hin.

Der Fisch liegt nun in seiner ganzen Pracht hier mit leicht geöffnetem Maul und zwischen zwei Petersilienstämmchen läßt er die Zähne durchblitzen, das eine sichtbare Auge starrt ins Leere. Seine Außenhaut ist von der Holzkohle geschwärzt und in den Einschnitten ist das weiße Fleisch zu sehen. Heute morgen hat er noch gelebt und sich in den Fluten des Mittelmeeres getummelt Die Vergänglichkeit des Lebens wird in diesem Moment dem Betrachter nicht wirklich bewußt, es gewinnt schon mehr die Vorfreude auf den bevorstehen Genuß die Oberhand. Erst wenn ich diese Momente in meiner Erinnerung abrufe, drängt sich dieser Gedanke in mein Bewußtsein.
Ein großer Teller mit Salat, sowie eine kleine Schüssel mit einer Mischung aus Olivenöl und Zitrone folgen noch nach. Der Kopf wird nun von Vassili vom Körper des Fisches getrennt und zum Tellerrand geschoben. Mit der Gabel unter Zuhilfenahme der Finger wird nun die obere Hälfte des Fisches abgehoben und auf den vor ihm stehenden Teller gelegt. Das mit Zitrone vermischte Olivenöl wird mit einem Löffel sorgfältig über den Fisch gegossen. Mit einer einladenden Geste fordert er die Freunde auf, sich ebenfalls zu bedienen.

Der golden schimmernde Wein wird in die Gläser gefüllt, diese gehoben und alle prosten sich zu.
Kosta greift, wie immer wenn sich die Möglichkeit ergibt, zum Kopf des Fisches. Er liebt es, diesen sorgfältig zu zerteilen und jedes kleinste Stück genüßlich in den Mund zu schieben. Nur wirkliche Kenner und Genießer von Fischen können einen Fischkopf mit einer solchen Perfektion zerteilen und auslösen.
Harry winkt ab. Seine Frau wartet; was ihn jedoch nicht daran hindert nach einigen Minuten doch zuzugreifen und sich dem verlockenden Genuß hinzugeben.
Der Vierte im Bunde, Lefteri hat selbst kleine Fische bestellt und bekommt diese soeben serviert. Es sind kleine Goldbarben, die ein wunderbar zartes Fleisch haben und zu den „Edelfischen“ gehören. Auch er bittet die Freunde zuzugreifen.

Es ist immer wieder ein wunderbarer Anblick, wenn Menschen voller Lebensfreude mit sich und der Natur vereint, sich dem Augenblick so hingeben können wie unsere Freunde.

Dieses Mahl wird sich sicher bis in den späten Nachmittag hinziehen.








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