Küchengeplauder


Küchengeplauder


Küchen hatten auf mich schon immer etwas Anheimelndes. Im Grunde genommen gehört eine Küche zum wichtigsten Raum einer Wohnung, sie ist sozusagen die Zentrale eines Hauses. Hier wird über die gute oder schlechte Laune der Bewohner mit entschieden, da das leibliche Wohl unzweifelhaft das Hauptanliegen der Familie ist.
        Ich erinnere mich an die Küche meiner Großmutter, die ich etwa im Alter von 5 Jahren bewusst kennenlernte. Ein riesengroßer Raum mit drei Fenstern, mehrere Schränke in unterschiedlicher Größe sowie ein riesiger Tisch, der immer mit einer Wachstuchdecke belegt war. Der Fußboden bestand aus roten Ziegelsteinen, die zweimal jährlich mit roter Farbe (Caput mortuum) überstrichen wurde. Die vorherige Generalreinigung brachte die gesamte Küche in einen unwahrscheinlichen Glanzzustand, der eigentlich nicht notwendig war, weil Großmutter stets sehr großen Wert auf Sauberkeit in ihrem Reich legte!
        Ich weiss noch ganz gut, dass ich diese große Küche niemals ohne Menschen gesehen habe. In der Küche traf sich die Verwandtschaft, hier wurde die Nachbarschaft empfangen, hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht, manchmal auch Klatsch verbreitet.
        Am Küchentisch saßen wir manchmal mit bis zu zehn Personen bei einer Mahlzeit zusammen. Wir ließen uns das gut vorbereitete Essen schmecken, die leckere Suppe, eine gute Hauptmahlzeit und auch das Dessert in mannigfaltiger Form. Selbst in den Tagen des Krieges, als alles fehlte und der Mangel das Hauptprodukt war, - hier in Großmutters Küche war immer etwas zu bekommen. Der Himmel mag wissen, woher oft diese Köstlichkeiten kamen! Vielleicht lag es an den guten Beziehungen zur alten dörflichen Familie außerhalb der Stadt?
        Da hing tatsächlich noch eine Anzahl von Dauerwürsten zwischen den Deckenbalken der Küche, während darunter in einem Eck kleine Wäsche trocknete, ebenso wie auch an der umlaufenden Stange des gewaltigen Kohleherdes. Dessen Backofen brachte oft die wundersamsten Brote und Kuchen ans Tageslicht! Auf dem Herd köchelte immer eine Emailkanne mit Kaffee, das war aber selten Bohnenkaffee, sondern eine Art geröstete Gerste, die dann als Kaffee fungierte.
              Das Geschirr, das Großmutter in der Küche benutzte, war sicher kein Meissener Porzellan. Es war Steingut in einer blaugrauen Farbe. Aber wir liebten Omas Tassen und Teller, vielleicht auch deswegen, weil es stets mit Inhalt versehen war. Brot war immer vorhanden, auch in den schwierigen Kriegstagen, Fleisch brachte Großmutter oft mit, wenn sie ihre Verwandtschaft in den Dörfern besuchte. Kartoffeln und Gemüse kamen aus dem eigenen Garten. So kann ich mich nicht erinnern, bis zum Ende des Krieges trotz der minimalen Zuteilung auf den Lebensmittelkarten jemals gehungert zu haben!
        Die wöchentliche Badeprozedur während meiner Besuchswochen bei der Großmutter war allerdings nicht unbedingt eine Sache, die ich liebte. Da war eine große Zinkwanne, die aus irgendeiner Versenkung plötzlich auf dem Boden stand, ein Waschkessel mit heißem Wasser stand bereits auf dem Herd, dieses wurde dann in die Wanne geschüttet, diese dann mit kaltem Wasser aufgefüllt. Der kleine Junge - ich - bekam dann die Übermacht der Erwachsenen zu spüren, mit Zeter und Mordio ging es sodann in die Wanne und damit zu Werke! Ich spüre die Seife(!) heute noch in den Augen. (von wegen Duschgel und Badezusatz).
So war es in der alten Küche, hier wurden während der Arbeit Lieder gesungen, abends Spiele mit der ganzen großen Familie gespielt - es war einfach eine Zeit, die ich nie vergessen werde, auch nicht missen möchte!
Und heute? Die Küche ist voller Geräte, elektrisch und elektronisch gesteuert. Zu jedem der unzähligen Geräte gehört selbstverständlich das eingehende Studium der Betriebsanleitungen in 17 Sprachen.
(Du weißt schon: Füge bitte Nippel A in Loch B zum expandern des ausgehenden Seitenflügels zum openmachen der Doorsegments. usw.)
        Jedenfalls ist es stets das Neueste vom Neuen, immer upgedatet auf dem letzten Level! Die Küche ist super-hyper-extra-modern, nur reden kann man dort nicht mehr, viel weniger noch singen. Die Wäsche trocknet im Trockner, das vorgefrostete Essen wartet im Gefrierschrank. Es gibt vorbildliche und moderne Zwei-Minuten-Mahlzeiten direkt aus der Microwave.
               Zum Sitzen beim Essen ist die Zeit zu knapp, es wäre ein unermesslicher Luxus, sich solch unproduktiver Tätigkeit hinzugeben. Man muss ja gleich wieder los, die Arbeit wartet. Da die Gerichte fast fertig sind, muss niemand mehr bei der Zubereitung singen. Da schaltet man schnell den mp3-Player ein und in elf Minuten gestoppter Zeit steigt man dann in das Auto, das abfahrbereit schon wartet oder wir rennen zur Bushaltestelle, um den Bus ja nicht zu verpassen.
        Das wäre ein unvorstellbares Chaos, denn eine Verspätung würde unser Chef nicht dulden, der gerade nach einem zweistündigen Geschäftsessen mit seinen Partnern das Restaurant »Gambrinus« verlässt.
Ach ja, das Bad, das hätte ich fast vergessen. Es ist natürlich ein Whirlpool mit allen Schikanen.
Schließlich der einzige Ort, an dem wir mal 15 Minuten für uns sein können, um abzuschalten. Bleiben noch Fragen offen?
        Gewiss, wir hatten in unserer Jugendzeit nichts von dem, das heute modern ist, manches gab es noch gar nicht. Und doch hatten wir viel mehr!
Wir hatten noch ein Wertgefühl, das Atmosphäre, Geselligkeit und fröhliches Leben beinhaltete. Großmutter hätte nicht verstanden, was damit gesagt werden sollte. Aber sie hatte in ihrem Reich, in ihrer Küche eines, das heute vielen nicht mehr bekannt ist: Sie war glücklich, und wir mit ihr.
Ich frage mich heute: Wie haben wir bloß mit unseren fehlenden Mitteln überlebt?

 
©by H.C.G.Lux


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Kommentare (5)

ladybird

Oftmals stand in den damaligen Küchen noch ein Kanapee...
lieber Horst,
in der Küche wurde gesungen: daran erinnern wohl die Küchenlieder?
"Mariechen saß weinend im Garten"....
In den kölner damaligen Wohnküchen, stand bei Feiern stets das Fässchen Kölsch (Bier) und alle Gäste standen drumherum mit ihren Gläsern, weil es einfach immer urgemütlich war....
In Eurer Küche gefällt mir die Eckbank so gut, die zum sich Wohlfühlen einlädt..Und das tat ich, als ich die ostfriesische Tee-zeremonie lernte.....
Danke Dir für diese wunderbare Erinnerungs-Küchenbeschreibung .....
ich bin ganz tief eingetaucht......
"Omas Zeiten" hatten etwas?
Weitere gemütliche Küchen-Eckbank-stunden wünscht Dir mit Ingrid
Renate aus Colonia

Pan

So war es einmal, Ihr Lieben - und bevor wir ganz in der Nostalgie versinken - es war beileibe nicht alles gut! An manche Gegebenheiten erinnere ich mich mit Grausen. 
Lassen wir es dabei - oder war früher wirklich alles besser?
Es gab keine "!Corona!" Dafür hatten wir die nächtlichen "Fliegeralarme"!
 Es gab keine Postwurf-Werbeprospekte der Firmen, Kaufhäuser und Läden - dafür standen wir stundenlang in der Schlange, und wenn wir Pech hatten, war der Artikel gerade ausverkauft ...
Und-und-und, jeder von uns kennt die Macken jener Zeiten, im Krieg und in den Jahren danach. Aber es tut doch gut, dass wir Senioren wissen, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten! Oder?
fragt mit einem Lächeln 🌞
Horst

Rosi65

Lieber Pan,

da sprichst Du mir aus dem Herzen, denn auch ich konnte mich noch nie für die hypermodernen Küchen, die den sterilen Charme eines OP-Raumes ausstrahlen, begeistern. Wie sollte ich mich denn da wohlfühlen, wenn ich dort nur mit  Materialien, die Kälte suggerieren, umgeben bin? Möbel aus Beton, Glas, Kupfer oder auch mit moderner Edelstahloptik versehen, sind vielleicht eher bei der Ausgestaltung einer Eisdiele sinnvoll.

Herzliche Grüße
  Rosi65
 

Syrdal


..wir hatten in unserer Jugendzeit nichts von dem, das heute modern ist, manches gab es noch gar nicht. Und doch hatten wir viel mehr!
Wir hatten noch ein Wertgefühl, das Atmosphäre, Geselligkeit und fröhliches Leben beinhaltete.“


Sehr treffend, dieses Fazit, lieber Pan!

All das, was du so plastisch beschreibst, kenne ich ebenso aus Kindheitstagen. Die „Wohnküche“ war im Haus meiner Großeltern das Zentrum des Familienlebens, hier traf man sich, hier wurde alles besprochen, hier wurde gegessen, gefeiert, gestritten und getanzt. Mag sein, dass sich die Bilder inzwischen ein wenig verklärt haben… aber in der Küche pulsierte das wahre Leben in allen Facetten. Und manchmal war es dort ganz still. Dann hörte man das leise Summen des Wassers in dem großen Wasserbecken, aus dem stets und immer heißes Wasser geschöpft werden konnte…

Eine schöne Erinnerung… Danke! ...und liebe Grüße zum Wochenende
Syrdal
 

Distel1fink7

Oh ja, die Küchen damals hab ich auch noch ganz nostalgisch in
Erinnerung. Außer , wie Du so schön beschreibst, das wöchentliche
Bad in der Zinkbadewanne in der Küche.

Das samstägliche Ritual die Kinder ( also ich kleines Mädchen) wurden ge-
badet zum Amüsement der Erwachsenen. Mein kleiner Bruder hatte sich
schon längst allerdings erfolglos verkrümmelt. 

Die Konsequenzen trag ich noch heute in mir. Mit Schrecken denke ich
daran, wie ich sich plötzlich über meine eingeseiften langen Haare einen
Sturzbach von Wasser ( es war ja nur ein Eimer Wasser ) unverhofft
 über meinem Kopf ergoss.

Resultat, bin heute Seniorin mit Angst, wenn mir das Wasser bis zum
Halse steigt. Und ja schwimmen wird für mich immer nur ein Traum
bleiben.

Danke Pan für die Erinnerung und für den Vergleich zu heute.


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