Kuchen kann als vollwertiger Ersatz nicht angesehen werden


Anmerkung zur Advents- und Weihnachtszeit vor 100 Jahren

Am 6. Dezember 1916 erschien unter der Überschrift „Kuchen- und Stollenbacken“ nachstehende Notiz, die auch per Handzettel und Plakate öffentlich gemacht wurde.
Das bevorstehende Weihnachtsfest wird bei manchem den Gedanken erweckt haben, sich durch Einsparen von Brotkarten Mehl zu erübrigen und mit dessen Hilfe Kuchen, Stollen oder sonstiges Gebäck her zustellen oder herstellen zu lassen. So begreiflich dieser Wunsch ist, so muss er doch bei dem Ernst der Zeit unbedingt zurück gestellt werden. Es wird deshalb von zuständiger Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass die Herstellung von Kuchen aller Art und jeder Form aus inländischem Getreidemehl in Bäckereien, Konditoreien und anderen Gewerbebetrieben sowie in Haushaltungen, Anstalten und dergleichen verboten ist und Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot mit Gefängnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis 1500 Mark geahndet wird. Jedes der zuständigen Stelle zur Anzeige gebrachte Vergehen muss unnachsichtlich verfolgt werden. Die Auffassung, dass es für die Allgemeinheit gleichgültig sein kann, wie der Einzelne das von ihm selbst ersparte Mehl verwendet, ist durchaus irrig. Denn das Einsparen von Mehl ist nur dadurch möglich, dass hierfür andere Nahrungsmittel genossen werden. Das Mehl muss so verwendet werden, dass es für die menschliche Ernährung den größten Nutzwert hat. Es muss zu Brot oder Semmeln verbacken oder zur Zubereitung von Speisen verwendet werden. Kuchen kann als vollwertiger Ersatz für diese Nahrungsmittel nicht angesehen werden.

Eine solche Mitteilung war ein derber Schlag in die ohnehin nicht vorhandene Vorweihnachtsstimmung. Es war die ständige Regulierung des Lebensmittelmarktes in Form neuer Rationierungen oder Festlegungen. Zum Ersten Advent die Einstellung der Ausgabe von Milchkarten für Kinder über 8 Jahre, am 2. Dezember das Verbot des Schlachtens von Spanferkeln, am 5. Dezember das Verbot der Herstellung von Pflaumenmus, am Folgetag die Beschlagnahme aller verfügbaren Schokolade und Kakao, die Verminderung des Anteils an Speisefett von ursprünglich 100 Gramm auf 30 Gramm, die Einmalverteilung von 100 Gramm Leberwurst für Schwerarbeiter usw. usf. Aus unserer heutigen historischen Sicht die totale Pleite eines normalen Lebens unter Kriegsbedingungen.

Und dennoch rückte man weiter zusammen. Es gab nahezu täglich Veranstaltungen der Mildtätigkeit. Konzerte und Auftritte von Kindern, Aktionen der Organisationen „Frauendank“ und „Heimatdank“. Und immer noch kamen viele Spenden in Form von Materialien oder Geld. Dazu der Goldaufkauf zur Finanzierung des Krieges. Allein in der „Radeberger Zeitung“ sind in der Zeit vom Ersten Advent bis zum Vierten Advent, der 1916 auf den 24. Dezember fiel, über siebzig Veranstaltungen im Radeberger Land benannt, in denen am Ende eine Spende eingesammelt wurde. Jede Woche auch weiterhin überall die Kriegsbetstunde, in der die Kirche die Aufgabe übernommen hatte, ideologisch für den Krieg und seelsorgerisch für die vorwiegend von Frauen besuchten Veranstaltungen tätig zu sein. Ein oftmals schwierig zu bewältigendes Spagat.

Aber es gab trotz dieser ungeheuer angespannten Lage auch Frohsinn und so etwas wie Vorfreude. Da außer in Dresden nirgendwo mehr Weihnachtsmärkte und Basare stattfanden, leistete man sich an den Adventssonntagen den Ausflug zum Strietzelmarkt, der nun eher unbeabsichtigt die Funktion von etwas „Normalität“ übernahm. Es waren vor allem der Genuss von Honig – und Lebkuchen, markenfrei. Die Buden wurden förmlich gestürmt und waren oft nach drei, vier Stunden ausverkauft. Und auch das Warenangebot nicht bewirtschafteter Artikel war fast wie in „Friedenszeiten“. Dazu der Begriff der aufkam „Es ist wie im tiefen Frieden!“ Dennoch auch Wucher hier und da, ein Weihnachtsbaum konnte schon mal 15 Mark kosten. In Radeberg wurden auch Weihnachtsbäume gehandelt, doch die über 1000 verfügbaren praktisch nicht abgesetzt. Es gab neben der Preisfrage, hier kostete ein Baum 4 bis 6 Mark, die oft zu hörende Meinung „Ohne unseren Vater ist das Weihnachtsfest kein Fest!“. Kirche und kommunale Körperschaften samt der Wohltätigkeitsvereine steuerten dem entgegen, doch außer gut gefüllter Kirchen zu den Weihnachtsgottesdiensten war wenig Feststimmung zu spüren.

Und hier die Botschaft „Der Krieg kann dem Weihnachtsfrieden nichts anhaben!“ Das Opfer, „das auf den Schlachtfeldern von unseren Vätern, Gatten, Söhnen und Brüdern ihren Familien erwiesen (wird)“, wird als höchstes Weihnachtsgut stilisiert. „Es gibt sehr viel Ratlosigkeit und Desorientierung unter den Daheimgebliebenen“, schreibt ein Chronist. Es war „erst“ die dritte Kriegsweihnacht, Kohlrübenwinter und die weitere Verelendung folgten, sodass der Ruf in Wachaus Kirche zum Neuen Jahr 1917 im Chorgesang „Verleih uns Frieden“ schon wie ein Aufschrei klang.

haweger


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